Hat Rouhani seinen Traum ausgeträumt?
Hassan Rouhani sucht die Nähe zum harten Kern des Machtzirkels der Islamischen Republik – und verliert dabei seine Basis. Hat der iranische Präsident die Nachfolge von Revolutionsführer Ali Khamenei im Auge oder handelt er aus Überzeugung? Kann er seine Wahlversprechen noch erfüllen – die Wirtschaft ankurbeln und für mehr persönliche Freiheiten sorgen? Antworten von Jamshid Barzegar, dem Leiter der persischsprachigen Redaktion der Deutschen Welle.
Bei einer parlamentarischen Befragung konnte Hassan Rouhani die iranischen Abgeordneten am vergangenen Dienstag nicht überzeugen. Einerlei, ob die Unzufriedenheit der Parlamentarier mit den Antworten des iranischen Präsidenten zu einem Misstrauensantrag oder zu einer Schlichtung hinter den Kulissen führen wird – fest steht, dass Rouhani dadurch noch mehr seiner Position in der Machtstruktur der Islamischen Republik eingebüßt hat.
Abgesehen vom ersten Präsidenten der Islamischen Republik, Abolhassan Banisadr, der vor knapp vierzig Jahren durch das Parlament für „politisch inkompetent“ erklärt und abgesetzt wurde, war die Befragung Rouhanis in der vergangenen Woche die zweite ihrer Art. Beim ersten Mal wurde Rouhanis Vorgänger Mahmoud Ahmadinedschad befragt. Mit seinen Antworten waren die Parlamentarier damals allerdings zufrieden.
Doch die heutige Situation des Iran unterscheidet sich gewaltig von der der Ahmadinedschad-Ära. Rouhani kann derzeit nicht einmal die reformistisch und gemäßigt orientierte parlamentarische Fraktion „Hoffnung“, die ihm normalerweise beisteht, überzeugen. Sowohl die radikalen „Prinzipientreuen“, die gegen Rouhani sind, als auch die Gemäßigten, die seinen Kurs teilen, haben den Druck auf den Präsidenten erhöht.
Erster Schritt zur Absetzung Rouhanis?
Rouhani wurde nach Misstrauensvoten gegen zwei seiner Minister und deren darauf folgende Absetzung ins Parlament bestellt. Dass er die Mehrheit der Abgeordneten nicht überzeugen konnte, macht die gegenwärtige politische Lage und die politische Zukunft des Präsidenten noch unübersichtlicher und lässt die Gerüchteküche weiter brodeln: Seit Monaten kursieren Gerüchte, dass ein Teil des Regimes versuche, die Regierung Rouhani abzusetzen.
Rouhani wurde kürzlich gar bei einer Protestaktion in der „Feyziyeh-Schule“, einer der wichtigsten religiösen Schulen der Islamischen Republik, mit dem Tod gedroht. Rouhani werde das gleiche Schicksal widerfahren wie seinem wichtigsten und mächtigsten Unterstützer Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, skandierten die Protestierenden – Rafsandschani war im Januar 2017 tot in einem Schwimmbad gefunden worden.
Kurswechsel eines „Gemäßigten“
Bereits in seiner ersten Amtszeit war Rouhani mit dem Schicksal Abolhassan Banisadrs – Amtsenthebung und Verfolgung – bedroht worden. Mittlerweile drohen ihm seine Gegner mit dem Tod. Gleichzeitig übernehmen sie damit offenbar die Verantwortung für Haschemi Rafsandschanis Tod , um die Ernsthaftigkeit ihrer Drohung zu unterstreichen.
Akbar Haschemi Rafsandschani hatte Hassan Rouhani gleich in seinem ersten Amtsjahr gewarnt, er solle den Forderungen seiner Wählerschaft nachgehen, um eine Schwächung seiner gesellschaftlichen Stützen zu vermeiden. Doch der Präsident nahm diese Warnung nie ernst. Außer in den letzten zwei Wochen seines Wahlkampfes ging er in eine völlig entgegengesetzte Richtung: Nicht nur hielt er seine Wahlversprechen nicht und büßte damit massiv an Wählerschaft ein, sondern er ließ auch ein relativ breites Spektrum der Reformisten am Rande der politischen Machtzirkel liegen. Dagegen versuchte er, dem harten Kern des Machapparats, der von Radikalen dominiert wird, näher zu kommen.
Diesen Kurs schlug der als gemäßigt geltende Präsident spätestens seit Mitte seiner ersten Amtszeit von 2013 bis 2017 ein. Das führte dazu, dass die Reformisten, die hinter Rouhani standen, bei der Rechtfertigung ihrer Unterstützung für ihn in Bedrängnis gerieten. Deshalb ließen sie zunehmend Kritik an Rouhanis Regierung laut werden – allerdings wesentlich später als der Rest der Gesellschaft.
Dann wurde die Regierung mit einer neuen Entwicklung konfrontiert: die Unruhen vom vergangenen Januar. Seither dauern Proteste und Streiks verschiedener Bevölkerungsschichten, die enttäuscht von beiden politischen Lagern verzweifelt nach einem Heilmittel für ihr Leid suchen, an. Dieses Leid ist entstanden durch Wasserknappheit und Luftverschmutzung, ungezügelten Anstieg der Lebenshaltungskosten, wachsende Arbeitslosigkeit und Korruption bis jüngst zur Währungskrise.
Hassan Rouhani, der seine gesellschaftliche Basis nicht bewahren wollte oder konnte, möchte jetzt mehr denn je seine Stellung in der Machtstruktur festigen.
Nur ein Wunsch?
Fortsetzung auf Seite 2