Rätselraten um Saad Hariris Rücktritt

Neben der politischen gibt es auch eine finanzielle Seite der gesamten Hariri Angelegenheit. Der 2005 in Libanon ermordete Vater Saad Hariris, Rafic Hariri, mehrfacher Ministerpräsident und großer Wohltäter Libanons nach dem dortigen Bürgerkrieg (1975-91), war der Gründer und Chef einer der großen saudischen Baufirmen, Saudi Oger genannt, die er seit 1978 aufgebaut hatte. „Oger“ hat in Saudi-Arabien in den 80er Jahren ganze Städte errichtet. Rafic Hariri war zum mehrfachen Milliardär geworden. Er, und vor ihm sein Sohn, hatten auch die saudische Staatsangehörigkeit erhalten. Sein Sohn hatte die Firma geerbt, die nach den damaligen Schätzungen im Jahr 2005 rund 4,1 Milliarden Dollar wert gewesen sein soll.
Doch wie alle großen Baufirmen in Saudi-Arabien litt „Saudi Oger“ unter dem sinkenden Erdölpreis, der das saudische Staatseinkommen halbierte. Viele der großen staatlichen Bauaufträge wurden zurückgenommen oder eingeschränkt. Groß Bauvorhaben wurden gestrichen. Die Großfirmen, darunter Oger und auch jene der Ben Laden Familie, konnten ihre Tausenden von Arbeitern nicht mehr bezahlen. Es war unklar, inwieweit der Staat die Verantwortung für die gestrichenen Aufträge tragen würde. Nach Forbes war das Vermögen von Saad Hariri 2016 auf 1,4 Milliarden zurückgegangen. Gegenwärtig sind die Rechnungsprüfer von Pricewaterhouse Coopers vom Königreich beauftragt, die Lage von Oger zu beurteilen. Es gibt Schätzungen, nach denen die Baufirma saudischen Banken 3,2 Milliarden Dollar schuldet.
Unter Druck durch Saudi-Arabien?
Saad Hariri hatte am Tag vor seiner Abreise nach Riad einen Berater Khameneis, Ali Akbar Velayati, getroffen und zuvor mit einem saudischen Abgesandten über seine Firma verhandelt. Der Saudi hatte auf Twitter erklärt, alle Probleme seien gelöst. Saad Hariri habe sich, den Berichten nach, in Libanon vor seiner Abreise fröhlich und sehr erleichtert gezeigt. Doch dann, am saudischen Fernsehen, tönte er anders.

Am Tag vor seiner Reise nach Saudi-Arabien traf Saad Hariri (re.) Ali-Akbar Velayati, den Berater des iranischen Revolutionsführers Khamenei
Am Tag vor seiner Reise nach Saudi-Arabien traf Saad Hariri (re.) Ali-Akbar Velayati, den Berater des iranischen Revolutionsführers Khamenei

 
Diese finanzielle Geschichte stärkt den Verdacht jener, die glauben, der libanesische Ministerpräsident sei nach Riad gelockt und dort zu seinen Aussagen über Rücktritt und ein angebliches Mordkomplott durch die Hizbullah und Iran gezwungen worden. Zweck der Saudis sei, je nach Gewährsmann, entweder Saad Hariri zusammen mit den anderen wegen angeblicher Korruption festgehaltenen Saudi-Geschäftsleuten dazu zu zwingen, Gelder herauszugeben. Im Falle Hariris in erster Linie Gelder, die er außerhalb Libanons und außerhalb Saudi Arabiens beiseite gebracht habe. Oder aber auch – nach einer zweiten Version – um in Libanon, statt eines Versöhnungsversuches zwischen Hizbullah und den libanesischen Sunniten, wie ihn Saad Hariri als Chef einer alle Tendenzen umfassenden Regierung betrieben hatte, neuen Zwist zwischen den beiden libanesischen Blöcken herbeizuführen und dadurch Hizbullah in Libanon zu destabilisieren. Natürlich lässt sich auch die Möglichkeit denken, dass Riad und der dortige Machthaber, Kronprinz Mohammad Bin Salman, beide Ziele zugleich verfolgen.
Israel in Beobachterstellung
Was mit Libanon und dort besonders mit der Hizbullah geschieht, interessiert nicht nur die Libanesen, sondern auch in beträchtlichem Masse Israel. Dort wird der vermutete Versuch Irans, sich einen direkten Zugang zur Hizbullah in Südlibanon zu verschaffen, indem die Revolutionsgarde am Projekt eines Landkorridors arbeiten, der über den Irak und durch Syrien hindurch diese Verbindung herstellen soll, genau beobachtet. Wenn die inneren Spannungen in Libanon mit Hilfe von Saudi-Arabien und von Iran zunehmen, wächst auch die Gefahr von neuen Zusammenstößen zwischen Israel und der Hizbullah, weil beide Seiten sich veranlasst sehen könnten, durch einen Waffengang einen Ausweg aus ihrer Bedrohungslage zu suchen.♦
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