Wahlen im Iran: Die Hybride zerfällt
Der Blutrichter ist gesetzt
Auf der Liste blieben am Ende sieben Personen. Sechs von ihnen fungieren wie reine Verzierung um die wichtigste Person, die bereits als gewählt gesetzt ist. Mit dem bekannten „Blutrichter“ Ibrahim Raissi, der seit der Revolution ausschließlich in politischen Verfahren urteilte, soll der Weg zur puren islamischen Herrschaft geebnet werden. Am Vortag der Wahl zogen dann wie erwartet drei Kandidaten ihre Kandidatur zurück, damit Raissis Durchmarsch ohne jegliche Reibung über die Bühne gehen könne, so jedenfalls ihre einhellige Erklärung.
Das Ende des Dualismus
Dieser Urnengang ist zweifelsohne ein Meilenstein, ein Wendepunkt, um das strapazierte Wort „historisch“ zu vermeiden. Die islamische Republik beginnt mit dieser „Wahl“ eine neue Phase ihrer Existenz. Die hybride Ordnung ist am Ende: Die unvereinbare Mischform „islamisch“ und „Republik“ zerfällt in ihre Einzelteile. Der scheinbare Dualismus – hier die „Reformer“, dort die „Prinzipientreuen“ – geht zu ende, die Vereinheitlichung der Macht nimmt Gestalt an. Entsprechend wird der politische Raum eng, sehr eng.
Wem dient dieser ungeheure Vorgang? Wer hat diese Szenerie arrangiert? Der alte, kranke Khamenei oder sein machtbesessener Sohn Modjtaba? Oder waren es jene radikalen Männer in den Geheimdiensten, die immer eine rein islamische Herrschaft und keine Republik haben wollten?
Die dunkle Macht outet sich
Einer dieser Männer trat am vergangenen Sonntag im staatlichen Fernsehen auf und sprach frank und frei darüber, wie die Wahllisten zustande kommen. Heydar Moslehi heißt er und ist nicht irgendwer, sondern der Chef, manche sagen: die Blackbox der dunklen Macht. Der 61-Jährige war unter Ahmadinedschad Geheimdienstminister. Der ultraradikale Geistliche ist Kopf, Sprecher und Manager einer sehr einflussreichen Clique, die sich جبهه پایداری (Widerstandsfront) nennt.
Ihre Mitglieder glauben, mit dieser Wahl ihrem Ziel ganz nah zu sein. Seit Beginn der Revolution kämpfen sie mit brutalen Mitteln für eine rein islamische Herrschaft schiitischer Prägung im Iran, ohne störende Beiworte wie Republik, Demokratie und dergleichen. Die Männer kommen wie Moslehi alle von diversen Sicherheitsbehörden, den Revolutionsgarden oder den paramilitärischen Gruppen der so genannten Basidjis. Es ist ein Angst einflößendes Netzwerk der Neureichen, mit Verbindungen zu allen Machtinstitutionen im In- ebenso wie im Ausland. Einer von ihnen hat eine US-Greencard, andere sind Inhaber von Doktorgraden irgendwelcher privaten Colleges in Großbritannien oder Australien. Sie sind alle Schüler des inzwischen verstorbenen und von Khamenei sehr verehrten Ayatollahs Messbah Yazdi. In vielen Büchern, Artikeln und Ansprachen predigte dieser offen, dass Islam und Republik, Religion und Wahlen nicht kompatibel seien.
In seinem Fernsehauftritt erklärte der Ex-Geheimdienstminister offen, wie der Wächterrat die Kandidatenliste nach der Expertise des Geheimdienstes oder besser gesagt: nach den Plänen dieser dubiosen Clique zusammenstellt. Nun sind diese Männer mit Raissi an ihrem Ziel.
Der abgefahrene Zug
Oder ist es gar nicht ihres, sondern das Ziel von Ayatollah Khomeini, dem Gründer der Islamischen Republik? „Ich werde mich auch gegen das ganze Volk erheben, sollten die Grundsätze des Islams in Gefahr sein“, sagte dieser vor fast 43 Jahren. Erheben kann sich Khomeini nicht mehr, das braucht er auch nicht, er kann weiter in seinem Grab ruhen: Seine wahren Jünger sind am Ziel.
Die Reformer, die seit Bestehen dieses Systems auf der Suche nach Spuren einer Republik waren, sind zerstritten, enttäuscht und ratlos. Ein Rest von ihnen will den Wahlboykottrufen trotzen und ruft zur Stimmabgabe auf, um das abgekartete Spiel der dunklen Macht zumindest an den Urnen zu vereiteln. Doch der Zug ist längst abgefahren.♦
© Iran Journal
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