Waffenruhe – mit welcher Perspektive?
Ein Kommentar von Habib Hosseinifard
Die Waffenruhe zwischen Iran und Israel markiert keinen klaren Sieg für eine der Seiten. Während Teheran trotz erheblicher Verluste versucht, nicht als besiegt dazustehen, verliert auch die israelische Kriegsstrategie an Rückhalt. Eine Analyse der unterschiedlichen Interessen in Tel Aviv und Washington und der Folgen für das Regime in Teheran, die iranische Opposition sowie das internationale Recht.
Der angekündigte Angriff Irans auf den US-Stützpunkt Al-Udeid in Katar als Vergeltung für den nächtlichen Angriff der USA auf iranische Atomanlagen war weitaus zurückhaltender als der iranische Raketenbeschuss der Al-Asad-Basis im Irak nach der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimanis durch US-Kräfte. Ziel dieser kontrollierten Reaktion war, der Islamischen Republik ein Mindestmaß an Gesichtswahrung zu ermöglichen, um nicht völlig geschwächt an den Verhandlungstisch zurückkehren zu müssen.
Auch das zwölftägige Festhalten Teherans an der Konfrontation mit Israel – ohne Zeichen des Einlenkens, trotz der militärischen Überlegenheit der Gegenseite – diente genau diesem Ziel: Sollte es zu einer Waffenruhe kommen, sollte diese nicht als Ergebnis einer iranischen Kapitulation erscheinen, sondern von Israel – das den Krieg begonnen hat – oder von den USA ausgerufen werden, ohne dass zuvor ein Rückzug oder Zugeständnisse seitens Teherans erkennbar gewesen wären.
Teheran setzt dabei auf zwei Faktoren: erstens die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Raketenangriffe auf die israelische Gesellschaft, und zweitens den damit steigenden Druck der Verbündeten Israels sowie der Staaten in der Region auf Washington, Tel Aviv zur Beendigung der Kampfhandlungen zu bewegen. Auch das Aufbrechen der Einigkeit in der EU hinsichtlich der Bewertung der israelischen Kampfhandlungen dürfte Teheran in seinem Kalkül bestärkt haben. Ein Kalkül, das freilich mit enormen Risiken verbunden war.
Nun ist also – womöglich brüchig – eine Waffenruhe eingetreten. Und auch wenn sie auf gewisse Prämissen Irans zurückzuführen scheint, so ist doch offensichtlich: Der Iran, der demnächst an den Verhandlungstisch treten würde, ist nicht mehr dasselbe Land wie vor zehn Tagen. Iran hat empfindliche militärische und sicherheitspolitische Verluste erlitten, deren Auswirkungen in kommenden Gesprächen nicht spurlos bleiben werden.
Dass es überhaupt zur Waffenruhe kam, liegt nicht zuletzt daran, dass Israel, das sich seit 20 Monaten im Gaza-Krieg befindet, schlicht nicht auf einen weiteren langen Krieg vorbereitet war. Seit 20 Monaten befindet sich das Land bereits im Gaza-Krieg. Am entscheidendsten aber war wohl die mangelnde Unterstützung der USA für eine Fortsetzung der Kämpfe – und das Auseinanderklaffen der strategischen Kriegsziele von Washington und Tel Aviv. Während Israel offenbar ernsthaft auf eine völlige Zerschlagung des iranischen Staates setzte, verfolgte die US-Regierung eine andere Linie. Trotz Trumps merkwürdiger Botschaft, man wolle „die Größe nach Iran zurückbringen“, war in Washington ein Sturz des Regimes nie erklärtes Ziel. Vielmehr galt dort: Ein geschwächter Iran, regiert von einer bekannten Führung, die unter innerem und äußerem Druck steht und in den Machtkampf um die Nachfolge Khameneis verstrickt ist, zuletzt auch noch erhebliche militärische Verluste erlitten hat – dieses Szenario erschien sowohl Washington als auch den Staaten der Region weitaus sicherer als ein völliges Machtvakuum in Teheran, das eine neue Welle regionaler Instabilität auslösen könnte.
Die Unterstützung der USA für Israels Schläge gegen Fordo, Isfahan und Natanz diente offenbar dazu, Israel seine militärischen Hauptziele – die Zerstörung des iranischen Atomprogramms – erreichen zu lassen, um es danach zum Rückzug zu bewegen. Auch Trumps scharfe Rüge an die Medien, sie sollten nicht über das vermeintliche Scheitern des Angriffs auf Fordo berichten, deutet in diese Richtung: Das Momentum des Erfolgs sollte gewahrt bleiben.
Dass Trump überhaupt in den Krieg einstieg und Fordo bombardieren ließ, hat in den USA – besonders bei seiner eigenen Anhängerschaft – für Kontroversen gesorgt. Seine Rolle bei der Waffenruhe ist daher auch Teil eines innenpolitischen Balance-Aktes: Trump will zurück zu seiner Wahlkampf-Rhetorik, die versprach, die USA aus neuen Kriegen herauszuhalten.
Auch in Israel haben wohl die Erfahrungen mit dem zögerlichen Kurs der USA, die unerwartet schweren Rückschläge und die Furcht vor einem langen Abnutzungskrieg dazu geführt, dass man sich mit der Idee einer Waffenruhe anfreundete – bis sie schließlich unter US-Druck umgesetzt wurde. Bis zur letzten Minute allerdings versuchte Israel, die militärischen und strukturellen Fähigkeiten der Islamischen Republik maximal zu beschädigen – und brandmarkt nun jede iranische Reaktion als Bruch der Waffenruhe, um sich eine militärische Replik offen zu halten. Teheran wiederum behauptet, die israelischen Angriffe hätten bis 9 Uhr morgens angedauert und man werde sich dafür rächen – was angesichts des gegenseitigen Misstrauens die Waffenruhe insgesamt fragil erscheinen lässt.
Trotz schwerer militärischer, sicherheitspolitischer und nachrichtendienstlicher Verluste ist dieses Waffenstillstandsabkommen – anders als etwa frühere mit der Hisbollah – nicht auf der formalen Anerkennung aller Bedingungen Washingtons oder Tel Avivs durch Teheran begründet. Das verleiht Iran – trotz der Schwäche – ein gewisses Maß an Eigenständigkeit, die es bei kommenden Gesprächen nutzen könnte, um nicht nur aus einer Position totaler Schwäche zu agieren. Ob dies gelingt, hängt nun von der diplomatischen Klugheit Teherans ab – und davon, ob es die derzeitige Distanz zwischen Trumps und Netanjahus Regierung zu nutzen versteht, um mit Flexibilität und Initiative in Verhandlungen zu gehen. Ein Abkommen, das ausschließlich den Interessen der Gegenseite entspricht, ließe sich so vielleicht vermeiden. Ob man solche Hoffnung auf die Islamische Republik setzen kann, ist allerdings fraglich. Doch in der Diplomatie gilt: „Nie“ ist ein Wort, das selten Bestand hat.
Unabhängig davon, wie die Gespräche verlaufen, wird sich die Islamische Republik aber auch innenpolitisch mit neuen Herausforderungen konfrontiert sehen: Der Krieg wurde weitgehend auf Grundlage der bisherigen antiamerikanischen und antizionistischen Regionalpolitik Teherans angezettelt – nun wird man sich Fragen gefallen lassen müssen: Fragen an Khamenei, an den harten Kern der Macht, an die militärische und sicherheitspolitische Führung, die bis vor kurzem noch behauptete, ein solcher Krieg sei ausgeschlossen. Der Mythos der unangreifbaren Sicherheitsmacht der Islamischen Republik hat einen tiefen Riss bekommen. Das könnte mittelfristig auch strukturelle Folgen für das Regime haben.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hat dieser Krieg auch jenen Teil der Opposition entzaubert, der seine Hoffnung auf einen Regimewechsel an die Flügel israelischer F-35-Kampfjets geknüpft hatte. Dass diese Kreise*– samt der ihnen nahestehenden Medien – diesen strategischen Fehler, der klar gegen die nationalen Sicherheitsinteressen Irans (nicht nur gegen die der Islamischen Republik) gerichtet war, nicht offen eingestanden oder korrigiert haben, stellt ihre künftige Glaubwürdigkeit in Frage.
Für die Islamische Republik enthält dieser Krieg auch eine unangenehme Lektion: Die Atomwaffe ist, entgegen aller Legenden, offenbar kein Garant für Abschreckung. In den vergangenen zwei Jahren hat Iran zwei Atommächte – Pakistan und Israel – entweder angegriffen oder deren Angriffe überstanden und nun einen zwölftägigen Krieg gegen eine der beiden geführt. Ob Teheran daraus Konsequenzen zieht, sein Atomprogramm überdenkt und – selbst, wenn es technische Fortschritte erzielt – auf dessen Weiterverfolgung verzichtet, um dadurch ein Zeichen des guten Willens zu setzen, das auch als Druckmittel für eine atomwaffenfreie Region und eine kollektive Sicherheitsstruktur in der Region dienen kann, bleibt fraglich. Aber unmöglich ist es vielleicht nicht.
* Anmerkung der Redaktion: Einige Fraktionen der iranischen Opposition betrachteten den Krieg als Chance, das Regime zu stürzen und sich selbst als politische Alternative zu positionieren.