Die Reformisten im Iran betteln um etwas Macht

Zufrieden mit jeder Kleinigkeit

Die Mehrheit der machtorientierten Reformisten glaubt mittlerweile nicht mehr an das Zügeln der Hardliner und die Beteiligung an der Macht. Sie beharrt auch nicht mehr auf die kompromisslose Umsetzung der Verfassung. Sie hat die Strategie des „Drucks von unten und der Verhandlung auf höchster politischer Ebene“ aufgegeben und verfolgt die Strategie der Normalisierung der Beziehungen zum eigentlichen Kern der Macht.

Die Reformisten versuchen, in mittleren Regierungsrängen Fuß zu fassen, etwa im Parlament oder in den Stadträten und Landkreisen zu sitzen. Sie unterstützen auch die Protestbewegungen auf den Straßen nicht mehr und haben sich sogar früher als manche Ultrakonservative gegen die Proteste vom Januar 2018 und November 2019 positioniert.

Glauben an die Wahlurne im Iran

Die Mehrheit der Reformisten, die regieren wollten, verstand sich seit Anbeginn nicht als eine Alternative zur Islamischen Republik im Sinne einer Abschaffung des Regimes. Sie sah sich eher als eine Alternative zu den islamischen Hardlinern, den so genannten Linientreuen, und das im Rahmen der Verfassung. Dieser Traum transformierte die Reformisten im Laufe der Zeit von einem politischen Lager, das lieber redet als handelt, in ein Lager, das sich zufrieden gibt mit dem, was es bekommt.

In einem autoritär regierten Land wie dem Iran ist aber die Überwindung des autoritären Regimes die wichtigste Voraussetzung dafür, als politische Alternative anerkannt zu werden. Um das zu erreichen, bedarf es unter anderem der Anlehnung an zivilgesellschaftliche Bewegungen und Gruppierungen. Dafür ist es unabdingbar, organische Kontakte zu Vertretern der Zivilgesellschaft zu knüpfen und diese zu pflegen. Die Reformisten im Iran haben diese gesellschaftliche Stütze verloren.

Die Mehrheit der Reformisten hält nach wie vor die Wahlurne für das prädestinierte Instrument, um die aus ihrer Sicht nötigen Reformen zu erzielen. Dementsprechend nahm sie wiederholt aktiv an Wahlen teil, bei denen ihre Niederlage bereits zuvor entschieden war. Ihre Kandidaten scheiterten stets an der hohen Hürde des Wächterrats, der die Kandidatinnen und Kandidaten auf ihre Regimetreue überprüft und zulässt oder ablehnt. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2021 bekam ihr Kandidat, der damalige Zentralbankchef Nasser Hemmati, nur acht Prozent der Stimmen. Die Wahlen in der Islamischen Republik werden von demokratischen Kräften allerdings nicht anerkannt. Es gibt keine unabhängigen Kontrollen bei der Stimmenauszählung.

Abdolnasser Hemati, Kandidat der Reformisten bei der Präsidentenwahl 2021 bekam nach offiziellen Angaben nur acht Prozent der Stimmen
Nasser Hemati, Kandidat der Reformisten bei der Präsidentenwahl 2021 bekam nach offiziellen Angaben nur acht Prozent der Stimmen

Rangordnung der Kräfte vertauschen

Die Verfassung der Islamischen Republik beruht auf der Einhaltung der islamischen Gebote, was sie von weltlichen Republiken unterscheidet. Außerdem stellt sie den „Velayat-e Faqih“, den obersten islamischen Rechtsgelehrten, über die vom Volk gewählten staatlichen Organe: das Parlament und den Präsidenten.

Eine kleine Gruppe innerhalb der reformistischen Lager, die weder in die Machenschaften der Sicherheitsorgane verwickelt ist noch irgendwelche wirtschaftlichen Privilegien genießt, setzt sich immer noch für tiefer greifende strukturelle Reformen der Islamischen Republik ein, deren Hauptmerkmal die Änderung des Grundgesetzes ist. Diese Gruppe plädiert für die Stärkung der demokratischen Aspekte der iranischen Verfassung – der republikanischen Grundsätze – und die Einschränkung ihrer nicht-demokratischen Bausteine – an erster Stelle des Grundsatzes des „Velayat-e Faqih“.

Diese Gruppe von Reformisten strebt nicht zwangsläufig eine grundsätzliche Veränderung der Konstellation der politischen Kräfte im Iran an. Sie will die Rangordnung der Kräfte vertauschen, so dass die reformistischen und gemäßigten Kräfte innerhalb der Islamischen Republik die Oberhand gewinnen.

Da diese reformistische Strömung in der Vergangenheit als Teil der regierenden Elite galt, steht sie auch jetzt anderen politischen Strömungen und der Zivilgesellschaft mit einer gewissen Arroganz gegenüber. Sie hält sich für das politische Zentrum der Opposition und hat klar erkennbare Grenzen zu den meisten Gruppen und Kräften außerhalb des politischen Systems. Sie ist es nicht gewöhnt, diesen marginalisierten Kräften ausgewogen und auf Augenhöhe zu begegnen.

Das führt dazu, dass auch ihr die Zustimmung der meisten oppositionellen Kräften fehlt. Außerdem wird sie von der breiten Öffentlichkeit für die bestehenden Verhältnisse im Iran mitverantwortlich gemacht.

Die Reformisten werden nicht als Alternative des Regimes gelten, solange sie nur eine Strukturreform innerhalb des Systems verfolgen und nicht die Islamische Republik hinter sich lassen wollen. Sie müssen sich von der Ideologie und der Struktur des islamischen Regimes im Iran klar abgrenzen und ihr Verhältnis zu anderen transformationswilligen Kräften verbessern. In ihrer jetzigen Form werden sie weiterhin am äußersten Rand der Machtzirkel verweilen und von den Hardlinern und der umstürzlerischen Opposition gleichermaßen nicht ernst genommen werden.♦

Aus dem Persischen übertragen von Iman Aslani

Zum Autor: Hamid Assefi ist Publizist und politischer Analyst und ständiger Gast bei persischsprachigen Medien im Ausland wie BBC, Iran International, VOA. Er lebt in Teheran und wurde mehrfach wegen seiner kritischen Äußerungen und der Unterstützung von Menschenrechtsaktivist*innen verhaftet.

Hier finden Sie das gesamte Dossier „Alternativen zur Islamischen Republik im Iran“. 

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