Khamenei warnt seine Anhänger

Die US-Sanktionen, eine handlungsunfähige Regierung, hohe Inflation, steigende Preise und dazu noch Covid 19 lassen die Iraner*innen verzweifeln. Nun tauchte das iranische Staatsoberhaupt nach acht Monaten, in denen Ali Khamenei nur per Video zu sehen war, wieder auf und sprach ein Machtwort. Khamenei habe den Ernst der Lage erkannt, schreibt Nasrin Bassiri.

Am Samstag, den 24. Oktober, tauchte Irans Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei erstmals nach acht Monaten Abwesenheit überraschend wieder persönlich auf. Khamenei diskutierte mit dem Staatspräsidenten Hassan Rouhani und Vertretern des „Hauptquartiers zur Bekämpfung von Corona“ über Maßnahmen gegen das Virus. Das Treffen fand in einem riesigen Saal statt. Seit Beginn der Coronapandemie hielt Khamenei nur noch per Video Kontakt zur Öffentlichkeit. Selbst an den wichtigsten Tagen des religiösen Trauermonats Muharram war er der Menge ferngeblieben, obwohl die üblichen Straßenumzüge und andere öffentliche Veranstaltungen trotz Corona ausdrücklich erlaubt waren. Persönlich hat Khamenei seit Beginn der Pandemie nur den irakischen Ministerpräsidenten Mustafa Alkazemi getroffen, als der im Sommer den Iran besuchte.

Der Grund für sein überraschendes Auftauchen: Khamenei ist besorgt, dass Konflikte zwischen rivalisierenden Kräften in Parlament und Regierung aus dem Ruder geraten.

Konflikte zwischen Regierung und Parlament

Das iranische Parlament und der Staatspräsident werden gemäß der iranischen Verfassung direkt von der Bevölkerung gewählt. Von einer freien Wahl kann dabei allerdings keine Rede sein. Denn die Kandidatinnen und Kandidaten werden im Vorfeld vom Wächterrat aussortiert. Und die Mitglieder dieses wichtigen Rates werden von Khamenei ernannt. Er bestimmt also, aus welchen Kandidat*innen das Parlament und der Staatspräsident gewählt werden.

Hassan Rouhani war dabei anders als sein Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad kein Wunschkandidat Khameneis: Rouhani ist kein Hardliner, die die USA verbal angreift und Israel von der Erdoberfläche verschwinden lassen will. Deshalb wurde er von Khamenei stets an der kurzen Leine gehalten. Zwar ließ der religiöse Führer des Iran den Atomdeal des moderaten Präsidenten durchgehen, doch ließ Khamenei keine Gelegenheit aus, Rouhani verbal anzugehen.

Die Sanktionen, die nach der Aufkündigung des Atomabkommens durch die USA gegen den Iran verhängt wurden und ihre Folgen wie wachsende Arbeitslosigkeit, Verteuerung von Lebensnotwendigem und eine hohe Inflation führten zu Streiks und Unruhen. Während Rouhanis zweiter Amtszeit war es zu blutigen Straßenprotesten gekommen, bei denen viele hundert Menschen der Gewalt der Sicherheitskräfte zum Opfer fielen. Das führte dazu, dass einige Parlamentsmitglieder Verständnis für die Unzufriedenheit der Bevölkerung zeigten und Ungerechtigkeit, Unterschlagung und Amtsmissbrauch kritisierten. Doch das neue Parlament, das sich Ende Mai 2020 formierte und beinahe ausschließlich aus Hardlinern besteht, ließ kaum eine Gelegenheit verstreichen, um mit der Regierung abzurechnen. Es stellte zahlreiche An- und Vertrauensfragen an Rouhani und seine Minister.

Armut und allgemeine Unzufriedenheit der Iraner*innen führten im November 2019 zu landesweiten Protesten, die gewaltsam aufgelöst wurden!
Armut und allgemeine Unzufriedenheit der Iraner*innen führten im November 2019 zu landesweiten Protesten, die gewaltsam aufgelöst wurden!

Machtkampf auf höchster Ebene

Bislang ist Rouhani den Einladungen des Parlaments nicht gefolgt. Außenminister Mohammad Javad Zarif kam am 5. Juli erstmals einer Einladung ins Parlament nach. Zahlreiche der 276 Abgeordneten beschimpften ihn bei dieser Gelegenheit als Lügner und nahmen ihn wegen des Atomdeals scharf unter Beschuss: Er habe die Bevölkerung über den Deal falsch informiert und den Iran dem Snapback-Mechanismus ausgeliefert.

Reza Farajidana, Minister für Wissenschaft und Technologie, folgte am 19. August einer Einladung ins Parlament. Ihm wurde vorgeworfen, Studenten und Lehrkräfte, die aufgrund ihrer Systemkritik von den Hochschulen und aus dem Lehrbetrieb entfernt worden waren, zurückgeholt zu haben. Farajidana hatte stets betont, sich für Gleichbehandlung und gegen Bevorzugung und Vorteilsnahme einzusetzen. Ihm wurde von den Abgeordneten vorgeworfen, er habe „Anti-Religiösen“ Tür und Tor geöffnet. Das Parlament stellte die Vertrauensfrage, und mit der Mehrheit der Hardliner wurde Farajidana seines Amtes enthoben.

Seyed-Naser Mousavi-Largani, Mitglied der Parlamentsvorstands, hat diverse Male versucht, auch Präsident Rouhani ins Parlament zu laden. Als dieser sich mit Hinweis auf die Coronapandemie weigerte, organisierte er 134 Abgeordnete, die Rouhani schriftlich aufforderten, vorzusprechen. Am 18. Oktober stellten zwei Parlamentsmitglieder, Mohammad-Taghi Naghdali und Javad Nikbin, Rouhani die Vertrauensfrage.

Nur ein Vorwand

Vor diesem Hintergrund tauchte Ayatollah Khamenei am 24. Oktober persönlich zu einem Treffen mit dem „Hauptquartier zur Bekämpfung von Corona“ auf. Denn zu dem Zirkel gehören neben leitenden Medizinern großer iranischer Universitäten wichtige Führungspersonen des Iran: neben mehreren Ministern etwa der Generalstabschef der Streitkräfte Mohammad Hossein Bagheri, Generalstaatsanwalt Mohammad Jafar Montazeri, Abdolali Aliasgari, der Leiter des staatlichen Rundfunks sowie der oberste Polizeichef Hossein Ashtari und mit Alireza Eerafi auch ein Mitglied des Wächterrats.

Khamenei nutzte die Gelegenheit für ein Machtwort: Mit Hinweis auf die Notwendigkeit von Einheit und Zusammenhalt im Land erklärte er, Kritik an den Staatslenkern könne zwar „berechtigt und erlaubt“ sein, „Schmähungen“ aber nicht. 

Schnelle Rückzüge

Und die Kritik des Religionsoberhaupts zeigte baldige Wirkung. Khameneis Erklärungen während des persönlichen Treffens mit dem Präsidenten und den Mitgliedern des Nationalen Anti-Corona-Hauptquartiers hätten zu einem „Rückzug“ derjenigen geführt, die die Regierung und den Präsidenten beleidigt und bedroht hatten, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur IRNA.

So schrieb etwa der Abgeordnete Mojtaba Solnoori, Leiter der Nationalen Kommission für Sicherheit und Außenpolitik des iranischen Parlaments und zuvor scharfer Kritiker von Präsident Rouhani, noch am Abend des 24. Oktober auf seinem Twitter-Account, er betrachte „das Befolgen der Befehle meines Führers als das oberste Gebot“ und erkläre, künftig „gehorsam zu sein und meinen rechtmäßigen Verpflichtungen nachzukommen“. Kurz vor Khameneis Machtwort hatte Solnoori noch gefordert, dieser solle „den Befehl erteilen“, Präsident Rouhani „100 Mal hinzurichten, damit „das Volk erleichtert“ würde.♦

  Nasrin Bassiri

© Iran Journal

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