Ein bunter Rat für den Übergang zu einem neuen System

Bekommen Sie dabei aus dem Iran Tipps oder Vorschläge?

So ist es. Unsere Pläne würden grundsätzlich abstrakt und subjektiv sein, wenn wir Vorschläge aus dem Iran ignorieren und die Ansichten derer, die Gefahren und Bedrohungen ausgesetzt sind, nicht berücksichtigen würden. Wir betonen stets, dass sich die Streikenden und Protestierenden zusammenschließen und landesweit agieren sollen. Die Menschen vor Ort informieren uns über die Hürden für so einen Zusammenschluss beziehungsweise zeigen uns Wege, wie wir diesbezüglich handeln sollen. Sie sagen uns, welche Gefahren es konkret gibt – wie etwa die staatlichen Sicherheitsorgane reagieren würden, wenn die protestierenden Lehrer*innen oder Arbeiter*innen über ihre eigenen Forderungen hinaus noch andere gesellschaftliche Gruppen unterstützen würden. Auch Angehörige des Militärs und des Geheimdienstes kontaktieren und beraten uns. Durch diese ständige Interaktion aktualisieren wir unsere Pläne und machen sie umsetzbar.

Was hat der ITC in den über zwei Jahren seines Bestehens konkret erreicht?

Wir haben herausgefunden, dass wir mit allgemein anerkannten politischen Gruppen, die sich dem Council nicht anschließen wollen, gemeinsame Projekte durchführen können. Das heißt, wir setzen klare Ziele und arbeiten auf Augenhöhe und mit Respekt und Anerkennung. Mit den Monarchisten, die im Iran eine konstitutionelle Monarchie errichten wollen, und mit Reza Pahlevi (dem Sohn des letzten Schahs Mohammad Reza, Anm. der Red.) haben wir beispielsweise die Kampagnen „Nein zur Islamischen Republik“ und „Wahlboykott“ sehr erfolgreich durchgeführt. Der Erfolg war allerdings nicht nur unser Verdienst. Viele Zivilaktivist*innen, Künstler*innen und ähnliche gesellschaftliche Gruppierungen haben dabei mitgewirkt. Das hat dazu geführt, dass sich die Menschen im Iran erstmals nicht mit dem kleineren Übel zufrieden gegeben haben, wie ein Blick auf die vorherigen Wahlen zeigt.

Sie beziehen sich hier auf die historisch niedrige Wahlbeteiligung von 48,8 Prozent.

Genau.

Die Kampagne "Nein zur Islamischen Republik" richtete sich gegen die Präsidentschaftswahlen im Iran und war eine der seltenen gemeinsamen Aktionen von zahlreichen iranischen Oppositionsgruppen
Die Kampagne „Nein zur Islamischen Republik“ richtete sich gegen die Präsidentschaftswahlen im Iran und war eine der seltenen gemeinsamen Aktionen von zahlreichen iranischen Oppositionsgruppen

Hatten Sie auch Misserfolge?

Zu unseren Misserfolgen gehört, dass wir zwar prominente politische Persönlichkeiten für uns gewinnen konnten, aber keine Gruppen. Dem liegen allerdings historische Motive zugrunde. Diese Gruppen lassen sich grundsätzlich nicht überzeugen, weil sie oft das Produkt einer von Diktatoren geführten Gesellschaft sind. Ihrer Führung und Struktur fehlt im Allgemeinen die nötige Vision für einen Übergang zur Demokratie. Sie sind nicht in der Lage, die Macht mit anderen zu teilen. Anstatt ihre Erfahrungen und Ziele in einen demokratischen Wettbewerb einzubringen, bis der Polizeistaat zusammenbricht, konkurrieren sie mit anderen Gruppen. Dadurch entstehen tiefe Klüfte.

Glauben Sie nicht, dass die anderen Parteien und Gruppen ähnlich über den ITC denken?

Sicherlich muss es aus der Sicht der anderen Einwände gegen uns geben, die dieses Problem verursachen. In der Praxis haben wir uns allerdings wiederholt an alle demokratischen Organisationen gewendet, die einen friedlichen Umgang pflegen. Die einzige Organisation, die wir nicht kontaktiert haben, ist die der Volksmudschahedin, weil sie weder in ihrem Handeln noch in ihren internen Strukturen unseren Richtlinien entspricht. Sie erhebt den Anspruch, die alleinige Alternative zum Regime zu sein.

Die Bildung eines breiten Bündnisses bzw. einer Einheitsfront gegen das islamische Regime steht also noch nicht auf Ihrer Agenda?

Unser Konzept besteht darin, mit den zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen und Organisationen im Land ein Bündnis einzugehen. Wir haben die Hoffnung allerdings keinesfalls aufgegeben, dass dabei auch eine politische Allianz entsteht. Das Zukunftsmodell für den Iran besteht vielleicht gar nicht aus einem Bündnis jener politischen Parteien, die möglicherweise nicht mehr zeitgemäß sind. Oder vielleicht braucht das Land gar keine neuen Parteien aus jungen Generationen. Es kann sein, dass die Zusammenarbeit von bereits bestehenden Gruppen vor Ort, die politisch aktiv sind, das Zukunftsmodell ausmacht. Der Übergang zu einem anderen System fällt wohl in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich aus. Es gibt kein einheitliches Rezept.

Ihre Mitstreiter*innen sind teilweise seit fünfzig Jahren politisch aktiv. Würden die jüngeren Generationen nicht denken, Sie würden ihre Bedürfnisse und Forderungen ignorieren?

Diese Generationenkluft stellt in der Tat ein Problem dar. Wir haben allerdings versucht, uns den Jüngeren anzunähern, um das Problem zu überwinden. Die Jugend und die Frauen, die oft politische Gruppen meiden, sind glücklicherweise bei uns zumindest so viel vertreten wie die ältere Generation. Ihre Zahl muss aber viel mehr sein als die aus meiner Generation, der nur sieben Millionen Menschen (von etwa 85 Millionen Einwohner*innen des Iran – Anm. d. Red.) angehören. Anfangs hatten wir mehr ältere, hauptsächlich männliche Mitglieder. Im Moment sind sie zur Hälfte Frauen und junge Männer. Die Mitgliedschaft bei der Opposition bietet allerdings kaum Privilegien, sondern ist in der Regel eher mit Schwierigkeiten und Ärger behaftet. Einige ältere Männer des ITC haben sich bewusst zurückgezogen und den Weg für Frauen und junge Mitglieder frei gemacht.

Die Sanktionen haben die Armut im Iran verstärkt - Hassan Shariatmadari: Aus unserer Sicht hat die Islamische Republik die Sanktionen zu verantworten!
Die Sanktionen haben die Armut im Iran verstärkt – Hassan Shariatmadari: Aus unserer Sicht hat die Islamische Republik die Sanktionen zu verantworten!

Das Thema Sanktionen gegen die Islamische Republik spielt für die oppositionellen Gruppen eine zentrale Rolle. Ihnen wird deshalb oft vorgeworfen, für die Verstärkung der Sanktionen zu sein, die ja letzten Endes die Bevölkerung am härtesten treffen. Wie steht der ITC dazu?

Aus unserer Sicht hat die Islamische Republik die Sanktionen zu verantworten. Die laufenden Atomgespräche, bei denen auch Deutschland die bisherigen Forderungen des Iran als inakzeptabel bezeichnet hat, zeigen, dass die Islamische Republik den Weltfrieden gefährden möchte. Die Mehrheit derjenigen, die uns kontaktieren, machen die iranischen Machthaber für die Sanktionen verantwortlich. Welche alternativen Mittel stehen gegen ein aufrührerisches, abenteuerlustiges Regime, das den Weltfrieden gefährdet, zur Verfügung? Die Politiker in den demokratischen Ländern haben zwei Alternativen: Sanktionen oder Krieg. Glücklicherweise hat die Welt den ersten Weg gewählt.

Das heißt, Sie befürworten die Sanktionen?

Wir haben immer betont, dass man zwischen der iranischen Bevölkerung und dem Staat unterscheiden soll. Sanktionen müssen gezielt das System treffen. Wir haben leider gesehen, dass hochrangige Politiker aus dem Iran zwecks medizinischer Behandlungen leicht nach Deutschland reisen konnten, einfachen Menschen aber oft kein Visum erteilt wird. Ein ähnliches Phänomen ist auch in den USA zu beobachten. Angehörige der iranischen Machthaber studieren dort, aber den einfachen Menschen wird diese Möglichkeit verwehrt. Ja, wir stellen fest, dass die Sanktionen die Menschen im Iran treffen, das ist die Kehrseite der Medaille. Wir protestieren dagegen und sind der Auffassung, dass die Sanktionen das System treffen sollen, damit das Volk weniger leidet. Uns ist allerdings bewusst, dass das nicht einfach umsetzbar ist.

Sind Sie auf internationaler Ebene mit Politiker*innen in Kontakt, um Ihrem Protest Ausdruck zu verleihen?

Ja. Wir haben eine Kommission für internationale Beziehungen, die in ständigem Kontakt mit amerikanischen und europäischen Politiker*innen, dem Europaparlament, sogar mit Politiker*innen aus den Ländern des Nahen Ostens steht. Wir wollen die Friedensbotschaft der iranischen Bevölkerung überallhin tragen und zeigen, dass im Iran die Menschen und das martialische und abenteuerlustige System getrennte Wege gehen. Wir lehnen grundsätzlich jede Art von Politik ab, die unsere nationalen Interessen gefährden würde. Die Interessen dieses totalitären Systems haben überhaupt nichts mit denen des iranischen Volkes zu tun. Wir versuchen, das so deutlich wie möglich darzustellen.

Welche konkreten Maßnahmen haben Sie bereits getroffen?

Ein Beispiel ist die Coronapandemie. Wir haben versucht, Impfstoffe für den Iran zu besorgen. Die Bundesregierung und die Regierungen anderer westlichen Länder haben sich bereit erklärt, dem Iran große Mengen von Impfstoffen zu schenken. Die Islamische Republik hat das jedoch abgelehnt, weil sie selber Impfstoffe herstellen und daran verdienen wollte. Wir müssen uns bei den demokratischen Staaten für ihren guten Willen bedanken. Das Ganze scheiterte jedoch an der Sturheit der iranischen Machthaber und des Revolutionsführers Chamenei.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass politische Gruppen oder Bündnisse von Gruppen und Organisationen sich nach einiger Zeit auflösen. Haben Sie sich auf solch eine Situation vorbereitet?

Ja, ein solches Risiko besteht in der Politik immer. Auch die großen europäischen Parteien waren und sind mit dieser Gefahr konfrontiert. Glücklicherweise haben wir eine solche Situation nicht erlebt. Wir haben versucht, eine demokratische Atmosphäre zu schaffen, in der die Menschen ihre Meinung äußern können und diese nicht nach draußen tragen müssen. Wir hoffen, diese Einheit bewahren zu können.♦

© Iran Journal

Hier finden Sie das gesamte Dossier „Alternativen zur Islamischen Republik im Iran“. 

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