„Stimme und Antlitz“ – Funk und Fernsehen im Iran

Die größte, manche sagen die einzige Leistung Rouhanis in seiner vierjährigen Amtszeit war das Atomabkommen. Während ausländische Medien dieses Abkommen, mit dem eine gefährliche Weltkrise beigelegt wurde, als ein Meisterstück der Diplomatie lobten, traten im iranischen Fernsehen fast ausschließlich Gegner dieses Abkommens auf. Erst als auch Revolutionsführer Khamenei das Atomabkommen bejahte, schwiegen sie. Wie der Staatssender Rouhanis Politik konterkarierte, konnte man Anfang Januar 2016 beobachten. Das neue Jahr war gerade wenige Stunden alt, da stürmte eine kleine radikale Gruppe die saudische Botschaft in Teheran und zündete die diplomatische Vertretung an. Eine folgenschwere diplomatische Krise zwischen dem Iran und Saudi-Arabien brach aus. Einige arabische Länder zeigten sich mit den Saudis solidarisch und brachen ihre diplomatischen Beziehung zu Teheran ab, fast die gesamte Welt verurteilte die Botschaftsstürmung. Doch das iranische Fernsehen berichtete live über die Brandschatzung und lobte die Aktion als heldenhafte Tat. Rouhani war außer sich. Warum unterstütze das nationale Fernsehen solch destruktives Verhalten, das das Land in eine Krise stürze, fragte er mit bebender Stimme am selben Tag. Doch sein Protest blieb ohne Folgen. Die Angreifer wurden nie zur Verantwortung gezogen. „Unser Fernsehen war in all diesen Jahren das Medium der Regierungsgegner“, resümierte Rouhanis Sprecher vor drei Monaten, praktisch am Ende von dessen Amtszeit.
In weniger als drei Wochen sollen die Iraner einen neuen Präsidenten wählen. Doch es kommt keine Begeisterung auf. Von einem echten Wahlkampf ist nicht zu spüren, auch im staatlichen Fernsehen nicht. Die große Programmänderung ist, dass plötzlich Ebrahim Raisi, Rouhanis Hauptrivale, häufiger in Reportagen und Berichten vorkommt – als Freitagsprediger, Redner und Besucher bei anderen Ayatollahs. Wenige Wochen vor dem Urnengang ist die Einseitigkeit der Berichterstattung unübersehbar. Die Mehrheit der Großstädter hat sich deshalb längst vom heimischen Fernsehsender abgewandt. Dessen Programme sind nicht nur einseitig, sondern auch eintönig. 60 Prozent der Zuschauer in den Großstädten habe man längst an Satellitensender aus dem Ausland verloren, gestand Ezatollah Sarghami, ehemaliger Chef von „Stimme und Antlitz“, bereits vor drei Jahren.
Wahl  ohne Wahlkampf?
Trotzdem dürften wir den Einfluss der staatlichen Funk- und Fernsehsender nicht unterschätzen, betonte de Vizepräsdent Es-hagh Jahangiri, der für die nächste Präsidentschaftswahl kandidiert hat. Bleibt die derzeit herrschende Gleichgültigkeit der Bevölkerung bestehen, wird die Wahlbeteiligung sehr niedrig sein.

Die sechs Präsidentschaftskandidaten bei ihrem ersten TV-Duell
Die sechs Präsidentschaftskandidaten bei ihrem ersten TV-Duell

 
Am 19. Mai ist im Iran ein Wahltag, der entscheidend, sogar schicksalhaft sein könnte. Trotzdem strahlt das iranische TV eine merkwürdige Gelassenheit, eine geradezu abartige Normalität aus: Es herrscht auf der Mattscheibe die gewohnte Eintönigkeit. Was die Programmmacher mit dieser Politik bezwecken: Darüber kann man nur rätseln. Rouhani jedenfalls hat es – wie viele Präsidenten vor ihm – nicht vermocht, Funk und Fernsehen für seine Politik zu gewinnen, denn sie haben ihre eigene Interessen und verfolgen eigene Ziele.
Abgrund zwischen Rouhani und Raisi
Der Revolutionsführer könnte, wenn er wollte, die Programmmacher anweisen, mit dem Präsidenten ein bisschen gnädiger umzugehen. Doch ob Khamenei tatsächlich eine Wiederwahl Rouhanis will, wissen wir nicht, er hält sich noch zurück. Dabei liegen zwischen Rouhani und seinem Rivalen Raisi Welten. Rouhani will halbwegs normale Beziehungen zum Westen, Raisi dagegen will zurück zur Quelle der Revolution, die seiner Meinung nach verschüttet ist. Als diese Revolution erst neun Jahre alt war, gehörte der damals 26-jährige Raisi einem dreiköpfigen Komitee an, das innerhalb weniger Monate annähernd 5.000 Regimegegner zum Tode verurteilte und hinrichten ließ. Aus dieser Zeit stammt sein Beiname „Ayatollah des Massenmords“. Raisi hat von den ersten Stunden der Revolution an als Revolutionsrichter gearbeitet und blieb Richter bis heute, bekannt für seine Gnadenlosigkeit.
Will Khamenei tatsächlich einen solchen Mann als künftigen Präsidenten Irans installieren? Seine „Stimme und Antlitz“ vermitteln mit ihren Programmen jedenfalls diesen Eindruck. Donald Trump im Weißen Haus und Ayatollah Raisi im Teheraner Präsidentenpalast – gruseliger können sich manche Iraner die Zukunft gar nicht vorstellen.
  ALI SADRZADEH
Persischsprachige Quellen: fa.wikipedia.org , rasekhoon.net , tabnak.ir/fa/news , http://padsha.com
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