„Stimme und Antlitz“ – Funk und Fernsehen im Iran

Am 9. Mai 2016 erschien auf der Webseite Tabnak eine kleine, aber höchst interessante Meldung über einen bevorstehenden Wechsel an der Spitze von Funk und Fernsehen. Dieses Nachrichtenportal gehört Mohssen Rezai, dem allerersten Chef der Revolutionsgarden: Er erlaubt sich ab und zu, Insidermeldungen aus den dunklen Kanälen der Macht zu veröffentlichen.
An diesem Tag las man bei Tabnak, dass seit einer Woche Geheimdienstler in der Chefetage von „Stimme und Antlitz“ arbeiteten: Sie hätten Stempel sichergestellt, Unterschriften und Akten überprüft. Eine Machtübergabe an der Spitze der Institution sei praktisch abgeschlossen, alles sei für den neuen Chef bereit. Am Ende dieser Meldung las man dann den interessanten Satz, in den nächsten Tage werde der Revolutionsführer den neuen Chef von „Stimme und Antlitz“ ernennen.
Und tatsächlich geschah das zwei Tage später: Khamenei ernannte den 60-jährigen Sicherheitsfachmann Ali Asgari zum neuen Chef von Funk und Fernsehen. In der iranischen Machthierarchie steht der Chef von Radio und Fernsehen dort, wo Leute wie der Generalstabschef der Armee zu finden sind. Nach dem jüngsten Wechsel stellt sich deshalb die Frage, ob die Revolutionsgarden jener Schwanz sind, der den Hund zum Wedeln bringt – den Revolutionsführer inklusive. Oder ist es umgekehrt? Wie auch immer …
Überwachung wie beim Geheimdienst
Nicht nur die Besetzung für die höchste Position von Radio- und TV, sondern auch die der untersten Stelle in dem Riesenapparat wählen die Revolutionsgarden selbst aus. Will jemand bei Radio und Fernsehen arbeiten und sei es nur als Gärtner oder Gebäudereiniger, muss er eine so strenge Überprüfung über sich ergehen lassen, als ob er Geheimagent werden will. Nicht nur seine eigene Vergangenheit und Gegenwart müssen einwandfrei sein, sondern auch die seiner Familie.
Eine 35-jährige Buchhalterin, die vor kurzem den Iran verlassen hat, erzählte neulich glaubwürdig folgende Geschichte: Nach dem Studium des Rechnungswesens habe sie vier Jahre lang in einem Steuerberaterbüro in der Provinz gearbeitet. Eines Tages las sie eine Stellanzeige auf der Homepage des staatlichen Rundfunks: Man suche eine Sekretärin mit guten EDV-Kenntnissen und ausreichender Arbeitserfahrung. Die Anforderungen passten, sie bewarb sich und wurde bald zu einem Vorstellungsgespräch nach Teheran bestellt. Voller Freude, der Enge der Provinz entkommen zu können, habe sie sich auf den Weg in die 1.000 Kilometer entfernte Hauptstadt gemacht. Ihr fachliches Können war unbestreitbar, in dem Vorstellungsgespräch sei sie nur zu ihrer politischen Zuverlässigkeit und religiösen Glaubensfestigkeit befragt worden.

Der staatliche Hörfunk- und Fernsehsender in Teheran wird bewacht wie eine Kaserne
Der staatliche Hörfunk- und Fernsehsender in Teheran wird bewacht wie eine Kaserne

 
Sie kehrte nach Hause zurück und wartete auf Antwort. Zwei Wochen später erzählen ihr Nachbarn, Geheimdienstler aus Teheran hätten sich kürzlich für ihr politisches und islamisches Betragen interessiert. Man habe auch Fragen zu Familienmitgliedern der jungen Frau gestellt. Was die Nachbarn gesagt, was die Geheimagenten herausgefunden haben, ist ungewiss. Die junge Frau bekam jedenfalls nie eine Antwort. Wenn schon bei der Einstellung einer einfachen Sekretärin eine solche Agentenaktion notwendig ist, kann man nur erahnen, was die Geheimdienste alles tun, wenn es um die Besetzung wichtigerer Posten wie Reporter, Redakteure oder Regisseure geht.
 Ein Mammutapparat
Und welche Ausmaße muss eine solche Überwachung bei einer Institution haben, die annähernd 30.000 Mitarbeiter hat. Funk und Fernsehen der Islamischen Republik strahlen 100 TV- und noch mehr Radioprogramme aus, nicht nur in persischer, sondern in Dutzend anderen Sprachen. „Stimme und Antlitz“ besitzt eigene Produktionsfirmen, unterhält eigene Schulen und Hochschulen, und die Anstalt genießt für alle Aktivitäten die Freiheit, eigenen Gesetzen zu folgen. Sie sei eine Außenstelle der Revolutionsgarden, nicht mehr und nicht weniger, berichten übereinstimmend ehemalige Mitarbeiter. Mit anderen Worten: Es sind die Garden, die nicht nur das Personal, sondern auch das Programm bestimmen.
Rouhanis vergebliche Gehversuche
Präsident Rouhani war erst wenige Monate im Amt, als er in einer seiner ersten Rede diesen bemerkenswerten Satz sagte: „Wenn man Geheimdienste, Gewehre, Geld und Informationen zusammenlegt, und alles einer einzigen Hand übergibt, dann wird diese Hand mit Sicherheit korrupt.“
Der Präsident brauchte nicht zu sagen, wessen Hand das sei, von der er sprach. Jeder Iraner wusste, dass die omnipotenten Garden gemeint waren. Zwei Tage nach dieser Rede reagierte General Aziz Jafari, der oberste Kommandant der Revolutionsgarden. Er habe den Präsidenten zur Rede gestellt, ob er mit diesen Worten die Revolutionsgarden gemeint hätte, sagte Jafari vor Journalisten. Rouhani haben mit Nein geantwortet, so der General – damit sei die Sache erledigt.
Doch nichts war erledigt. Das war nur der Anfang einer offenen und versteckten Auseinandersetzung zwischen dem Präsidenten und dem staatlichen Sender. Sie dauert noch an – und Rouhani war dabei in den vergangenen vier Jahren stets der Verlierer. In seiner Amtszeit durfte der Präsident gerade vier Mal Interviews im staatlichen Fernsehen geben. Live-Gespräche mit Rouhani waren selten.
Atomabkommen und Botschaftsbesetzung
Fortsetzung auf Seite 3