Bidens Iran-Politik und der Schatten der Obama-Doktrin

Ein turbulentes Jahrzehnt ist vergangen

Seit dem Höhepunkt der letzten iranischen Atomkrise und den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm ist ein turbulentes Jahrzehnt vergangen. Die merkliche Veränderungen der geopolitischen Landschaft in Westasien überschattet nunmehr – ob man will oder nicht – die jetzige Verhandlungsrunde mit Iran. Damals noch war die geopolitische Stellung Teherans in der Region im Zuge der neokonservative Kriege Washingtons gegen die Nachbarländer Irans auf ihrem Zenit – Iran als die unabdingbare Regionalmacht und führende „Soft Power“. Dies verhalf Teheran damals in den Verhandlungen mit Washington zu einer wichtigen Verhandlungsmasse.

Seither allerdings hat Iran diese Stellung eingebüßt, nachdem es jahrelang den Bogen seiner Machtausdehnung überspannt und somit regionale Befürchtungen seiner Vorherrschaft geschürt hat. Diese Entwicklung zeichnete sich v.a. im Zuge des „Arabischen Frühlings“, erst mit der Unterstützung der Assad-Diktatur in Syrien und später bei seiner zweiten Welle mit den deutlich anti-iranischen Akzente der irakischen und libanesischen Proteste 2019, demonstrierten den Wendepunkt iranischer Macht im Mittleren Osten.

Nebenwirkungen von Obamas Iran-Atomdeal

Als Nebenprodukt des JCPOA könnte Iran eine expansive regionale Agenda verfolgen, insbesondere in Syrien und im Irak, während die westlichen Mächte aufgrund ihrer Lehren aus dem Irak-Krieg eher zurückhaltend waren und die Vertragstreue Irans nicht durch eine in Teheran als konfrontativ verstandene Haltung gefährdet werden. Die Folge war westliches Schweigen zur iranischen Regionalpolitik und den eklatanten Menschenrechtsverletzungen in Iran selbst. Obwohl der JCPOA im Bereich der Nichtverbreitung erfolgreich war, indem er das iranische Nuklearprogramm effektiv eindämmte, investierte Teheran einen beträchtlichen Teil der wirtschaftlichen Dividenden des JCPOA in die Ausweitung seiner regionalen Aktivitäten und seines Programms für ballistische Raketen, sehr zum Leidwesen seiner regionalen Feinde sowie arabischen Bevölkerungen.

General Ghassem Soleimani (re.) hat die Regionalpolitik der Islamischen Republik mitgeprägt - hier mit Staatsoberhaupt Ali Chamenei
General Ghassem Soleimani (re.) hat die Regionalpolitik der Islamischen Republik mitgeprägt – hier mit Staatsoberhaupt Ali Chamenei

Aus diesen Gründen sehen Irans regionale Feinde (Israel, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) sowie ein beträchtlicher Teil der „arabischen Straße“ die Schattenseiten des JCPOA und von Obamas Iran-Politik. Der Vorwurf lautet, man hätte Teheran die Region auf einem silbernen Tablett präsentiert, was sich als kontraproduktiv für die geopolitische Stellung jener Staaten und für die politischen Ambitionen der Menschen erwies.

„Legitimen Interessen“ der Islamischen Republik

Um die kommenden Herausforderungen und einige Defizite der damaligen Obama-Politik zu verstehen, können wir den Fall des Iran-Sondergesandten Malley heranziehen. Auch wenn seine Aussagen der letzten Jahre Anlass für widersprüchliche Einschätzungen sein mögen, scheint klar, dass seine Ansichten zur regionalen Geopolitik und zur iranischen Außenpolitik die vorherrschende Geisteshaltung während der Obama-Ära widerspiegeln, die unter Biden repliziert werden könnte. Die Obama-Doktrin wurde von berechtigten Bedenken angesichts der katastrophalen Folgen des Irak-Krieges 2003 mit seinen geopolitischen Folgen, die zu Recht als strategischer Fehler angesehen werden, geprägt. Das ebnete jedoch den Weg für nicht-regionale (Russland) und regionale Mächte (Iran), um aus eigenen militärischen Interventionen Vorteile zu ziehen. Die Obama-Regierung entschied sich nach 2011 für eine nicht-interventionistische Politik in Syrien. Interessanterweise bedauert Blinken dies heute ebenso wie Malley selbst – obwohl dieser behauptet, dass alle anderen Optionen im syrischen Fall nachteiliger gewesen wären, und dass US-Militärinterventionen im gesamten Nahen und Mittleren Osten nur ernüchternde Ergebnisse gebracht hätten.

Die von der Obama-Doktrin inspirierte Denkschule ist sich der außenpolitischen Interessen Irans bewusst und sieht nicht wenige davon als legitim an. Bei ihrer Betrachtung der regionalen Geopolitik tappt sie somit nicht in die Falle einer Iran-Obsession, wie es der Fall war bei Trumps Außenminister Mike Pompeo, Israels früherem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Saudi-Arabiens starkem Mann, Kronprinz Mohammed bin Salman. Sie neigt jedoch dazu, die „legitimen Interessen“ der Islamischen Republik zu weit zu fassen und die negativen Auswirkungen sowie die Beweggründe der Regionalstrategie Teherans, ferner die Interessen des Regimes mit jenen der Bevölkerung zu verwechseln.

Alles in allem bedeutet dies für die gegenwärtigen Iran-Gespräche, dass die USA unter Biden und ihre europäischen Verbündeten davon ausgehen müssen, dass jedwede Änderung iranischer Politik stets ein Ergebnis von sowohl Druck als auch Angeboten sein wird. Zudem bleibt es abzuwarten, ob Biden aus den Nebenwirkungen der Obama-Doktrin die notwendigen Lehren ziehen wird, um eine in der Tat wünschenswerte umfassendere Einigung mit Iran über die Atomfrage hinaus zu erzielen – was für den regionalen Frieden und auch für die arabischen Bevölkerungen in Ländern, in denen Iran interveniert hat, von Vorteil wäre. Indes erhoffen sich viele Iraner eine minimale Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage durch eine Sanktionslockerung als Folge eines wiederbelebten Atomdeals, aber fürchten eine Quasi-Appeasement-Politik Bidens à la Obama gegenüber der zunehmend delegitimierten Herrschaft der Islamischen Republik. Um dies auszuschließen, müsste das Thema Menschenrechte integraler Bestandteil einer westlichen Iran-Politik werden.♦  

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Dieser Beitrag erschien zuerst in WeltTrends: Das außenpolitische Journal, Jg. 29.

Zum Autor: Ali Fathollah-Nejad, PhD, geb. 1981, ist Autor des viel gepriesenen Iran in an Emerging New World Order: From Ahmadinejad to Rouhani (Palgrave Macmillan, 2021) und Initiator des Berlin Mideast Podcast.

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