Wohin mit dem Atom-Programm des Iran?
Eine Momentaufnahme

Die Einwände der IAEA mit Bezug auf die Verifikation der Einhaltung der Verpflichtungen der IRI im Rahmen der Wiener Nuklearvereinbarung JCPOA:

– Der Bericht stellt fest, dass die in der JCPOA definierten Limits für nukleare Aktivitäten im Iran weit überschritten worden sind:

    • Es befinden sich 62 Zentrifuge-Kaskaden verschiedenen Entwicklungsstands im Betrieb von IR-1 bis IR-6. Zulässig sind ca. 5.000 IR-1-Zentrifugen.
    • Die Menge des angehäuften angereichertes Urans beträgt 5841,3 kg UF6, wovon 751,3 kg mit 20% und 142,1 kg mit 60% Anreicherungsgrad. Erlaubt sind 300 kg UF6 mit 3,67% Anreicherungsgrad.

– Unterbrechung und Beeinträchtigung des technischen Monitorings des NP, d.h. das Entfernen aller Kameras sowie In-Line-Sensoren zum Detektieren der Menge und des Anreicherungsgrades. Das hat zur Folge, dass die IAEA insbesondere den lückenlosen Überblick über hergestellte Zentrifugen-Teile, produziertes Schwerwasser und gewonnenes Uran-Oxid verloren hat und dies für die vergangenen drei Jahre.

– Die IAEA kommt zu der Schlussfolgerung, dass die Hindernisse auf dem Weg der Überwachung und des Monitoring der IRI-Nuklearaktivitäten schwerwiegende Implikationen hat, die die IAEA daran hindern, zu garantieren, dass das NP des Iran von friedlicher Natur ist.

– Der IAEA-Generaldirektor stellt fest, dass die IRI seit drei Jahren die provisorische Anwendung des Zusatzprotokolls (Additional Protocol) zur NPT ausgesetzt hat. Seither hat die IAEA keinen komplementären Zugang zu Nuklear-Einrichtungen und sonstigen Standorten außerhalb diesen.

– Der Generaldirektor bedauert es zutiefst, dass der Iran seine ablehnende Entscheidung bezüglich der erfahrenen IAEA-Inspektoren aus gewissen Ländern nicht rückgängig gemacht hat. Er bekräftigt, dass ohne die erfahrenen Inspektoren eine effektive Verifikation der IRI-Aktivitäten nicht gewährleistet ist.

Resolution des BoG

Seitens der E3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) wurde ein Resolutionsentwurf eingereicht, der im Vorfeld zwischen den USA und E3 umstritten war. Er wurde etwas abgemildert präsentiert und am 5. Juni 2024 mit 20 Ja-, 2 Nein-Stimmen und 12 Enthaltungen angenommen. Die Resolution hat alle oben beschriebenen Forderungen, Feststellungen und Beschwerden der IAEA bezüglich der Abweichungen der IRI aufgenommen und die IRI aufgefordert, sie dringlich zu erfüllen. Parallel dazu richteten die E3 ein Schreiben an den UNO-Sicherheitsrat, in dem sie die Verfehlungen Teherans aus ihrer Sicht aufgelistet haben.

Auf der anderen Seite haben sieben Mitglieder der IAEA (Russland, China, Iran, Venezuela, Nicaragua, Kuba und Syrien) in einer Erklärung die Schuld an diesem Konflikt dem Westen und dem Austritt der USA aus der JCPOA zugeordnet.

IAEA-Boards of Governors hat am 5. Juni 2023 eine Resolution beschlossen, in der Teheran angewiesen wird, Forderungen der IAEA dringlich zu erfüllen
IAEA-Boards of Governors hat am 5. Juni 2023 eine Resolution beschlossen, in der Teheran angewiesen wird, Forderungen der IAEA dringlich zu erfüllen

 Antwort der IRI auf die Resolution

Die Reaktion aus Teheran auf die Resolution ließ nicht lange auf sich warten: Es wurde wiederum mit der Forcierung der Anreicherung reagiert. Teheran hat entschieden, acht Kaskaden der entwickelten IR-6-Zentrifugen in dem sensibelsten Ort der Nuklearanlagen Irans, nämlich in in den Bergen vergrabenen Einrichtungen in Fordo, zu installieren, sowie 18 IR-2-Zentrifugen in Natanz.

Die Entscheidung stellt jedoch m. E. keine qualitative Änderung der Nuklearpolitik der IRI dar. Das Regime kann ohnehin innerhalb von Wochen genügend 90% angereichertes Uran für einige Atombomben produzieren. Der Einsatz neuer Zentrifugen erhöht die Anzahl der möglichen potenziellen Bomben.

Nach dieser Mitteilung aus Teheran haben die E3 eine Erklärung mit dem Hinweis abgegeben, dass die JCPOA im Begriff sei, zu einer leeren Hülle zu verkommen. Dieser Ausdruck könnte als eine verklausulierte Drohung für die Aktivierung des Snap-back-Mechanismus interpretiert werden.

 Einschätzung der Resolution durch das BoG der IAEA

Sie bekräftigt zwar alle Forderungen des Generaldirektors Grossi. Aber der Ton und die Forderungen der Resolution gehen nicht über die zwei vorangegangenen Resolutionen hinaus. Eine wesentliche Forderung, die eine qualitative Abweichung von den bisherigen bedeutet hätte, wäre die explizite Aufforderung an die Adresse der IAEA, einen umfassenden Bericht über den Stand des NP der IRI zu erstellen – das Beispiel dafür wäre der Bericht des ehemaligen Generaldirektors der IAEA, Yukyia Amano, im Jahre 2011, der den Druck auf das Regime dermaßen erhöhte, dass es letztendlich in eine Vereinbarung wie die JCPOA eingewilligt hat. Aber die Formulierung diesbezüglich ist weich; es ist nur von einer „May“-Bestimmung die Rede.

Es war bekannt, dass es im Vorfeld zur Sitzung der BoG Differenzen über Für und Wider des Einreichens einer Resolution zwischen den E3 und den USA gab. Am Ende haben die E3 sich durchgesetzt.

Aus meiner Sicht könnten die Gründe für diese Differenzen im Folgenden bestehen:

– Mangels Sanktionierungsmöglichkeit bleibt eine Resolution wie die bisherige weitgehend folgenlos und daher symbolisch. Eine BoG-Resolution ist normalerweise nur dann wirksam, wenn das BoG den Fall vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bringt. Bei der gegenwärtigen Konstellation ist eine Entscheidung zu Lasten des IRI-Regimes undenkbar, weil die entstandenen Animositäten zwischen Russland und China auf der einen Seite und den USA wie Europa auf der anderen Seite jeglichen vom Westen initiierten Beschluss mit ihrem Veto-Recht vereiteln würden.

– Sie könnte dem Regime einen Vorwand liefern, sein NP einen Schritt weiter in Richtung militärischer Anwendung voranzutreiben – wie bislang geschehen.

– Mit Blick auf die hoch gespannte Lage im Mittleren Osten und angesichts des von der Hamas angezettelten und von Netanyahu weit überproportional eskalierten verheerenden Kriegs in Gaza will die Biden-Administration die Situation nicht weiter verschärfen und das IRI-Regime provozieren.

– Der Sinn der E3-Initiative könnte neben der Aufrechterhaltung des Drucks auf das islamische Regime allerdings auch darin bestehen, dass sie den in der JCPOA vorgesehenen, mit der Resolution 2231 des UNO-Sicherheitsrates sanktionierten „Snap-back“-Mechanismus nicht aus der Hand geben wollen. Dieser Mechanismus besagt, jeder JCPOA-Unterzeichner könne seine Unzufriedenheit mit der Gegenseite thematisieren und nach einer definierten Prozedur beim Fortbestehen der Uneinigkeit den Fall an den UNO-Sicherheitsrat verweisen. Die JCPOA und die Resolution 2231 des UNO-Sicherheitsrates können die verhängten Sanktionen gegen die IRI nicht aufheben, sondern lediglich suspendieren, so dass jedes Mal auf Empfehlung der JCPOA-Parteien der Rat über die Fortsetzung der Suspendierung entscheiden kann. Sollte hier keine Einstimmigkeit herrschen, kann die Suspendierung beendet und alle vor dem Abschluss der JCPOA verhängten weltweiten UNO-Sanktionen gegen Iran reaktiviert werden. Hierbei wirkt sich das Veto-Recht ausschließlich zugunsten der westlichen Länder aus.

– Die Sicherheitsrat-Resolution 2231 legt fest, dass nach 10 Jahren, wenn nicht anderes verhandelt wird, die UNO-Sanktionen endgültig aufgehoben würden. Daher kann man die von der E3 initiierten Resolution als die propagandistische wie psychologische Vorbereitung zur eventuellen Aktivierung des Snap-back-Mechanismus verstehen.

 Fazit

Das islamische Regime verzichtet mit oder ohne die Bombe nicht auf sein Nuklearprogramm. Der Westen hat immer wieder erklärt, eine IRI mit Atomwaffen nicht tolerieren zu wollen. Israel fürchtet, dass seine nukleare Hegemonie in der Region relativiert wäre, und würde dies mit aller Macht unterbinden wollen. Die Nachbarstaaten wie Saudi-Arabien, Ägypten und die Türkei könnten bestrebt sein, das dann weiter gestörte nukleare Gleichgewicht wieder herzustellen. Kurzum: Das ganze System der Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) könnte kollabieren.

Die Leidtragenden sind die iranischen Bürger:innen, die zu Geiseln einer verfehlten, fehlgeleiteten Atompolitik eines despotischen Regimes geworden sind. Es ist zu befürchten, dass es nicht nur bei den bisherigen verheerenden ökonomischen Verlusten bleibt, sondern dem Land auch noch einen zerstörerischen Krieg beschert.♦

Zum Autor: Dr. Behrooz Bayat, geboren im Iran, studierte Physik an den Universitäten Teheran, Frankfurt am Main und Marburg. Nach Promotion und Forschungstätigkeit arbeitete er unter anderem als freiberuflicher Berater für die Internationale Atomenergiebehörde in Wien. In seinen Publikationen setzt er sich u.a. mit der Nuklearpolitik des Iran auseinander.

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