Nachfolger gesucht: Debatte über den Gottesstaat nach Khamenei
Mitten in in einer tiefen innen- wie außenpolitischen Krise wird im Iran offen über die Nachfolge des mächtigsten Mannes im Staate debattiert. Diverse Machtzentren wollen schon jetzt die Zusammensetzung des künftigen Expertenrats diskutieren, der den nächsten iranischen Revolutionsführer bestimmt. Die Wahl des Gremiums findet allerdings erst in zwei Jahren statt. Deshalb rätseln viele über die Hintergründe dieser ungewöhnlichen Debatte.
Sensationelle Worte ließ der Ayatollah Ghorban-Ali Dorri-Nadjafabadi vor kurzem in der Stadt Schiraz hören: „Gott möge dem geistlichen Führer ein langes Leben schenken, aber wir müssen trotzdem das Undenkbare denken. Daher geht es bei den nächsten Wahlen des Expertenrats um den Nachfolger des Revolutionsführers, besser gesagt: um die Zukunft der Islamischen Republik.“
Mehr al drei Wochen sind seit diesen Worten des Ayatollahs vergangen – und die Spekulationen hören nicht auf. Die Gerüchtebörse erlebt enorme Konjunktur und viele spannende Fragen: Wie geht es dem amtierenden Revolutionsführer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, gesundheitlich? Kann und will er selbst zu Lebzeiten das Feld bestellen und einen Nachfolger ernennen? Und vor allem: Warum taucht die Frage nach Khameneis Nachfolge gerade jetzt auf, mitten in Zeiten innen- und außenpolitischer Krisen, zudem zwei Jahre vor der Wahl des zuständigen Gremiums und dann auch noch aus so berufenem Munde?
Greises Gremium
Über Meldungen spekulieren und Gerüchte analysieren gehört zwar zu den Lieblingsbeschäftigungen der IranerInnen. Doch diesmal lohnt es sich in der Tat, die Äußerung des Ayatollahs näher zu betrachten. Denn Dorri-Nadjafabadi gehört selbst dem Präsidium des amtierenden Expertenrats an. Dieses Gremium wird alle acht Jahre gewählt, um nur zweimal jährlich zu tagen, und seine einzige Aufgabe besteht darin, den mächtigsten Mann der Islamischen Republik zu wählen und ihn während seiner Amtszeit zu kontrollieren. Diese Kontrolle findet in der Realität allerdings nicht statt, denn über diesen Aufgabenpunkt herrscht keine Einigkeit unter den 86 Mitgliedern des Rates, die mehrheitlich greise Ayatollahs jenseits des achtzigsten Lebensjahres sind.
Der Präsident des Rates, Mahdavi Kani, liegt seit einer Woche in einem Teheraner Krankenhaus im Koma. Dorri-Nadjafabadi gehört mit seinen 72 Jahren aber zu den jüngeren in der Expertenversammlung. Der Ayatollah zählt auf seiner persönlichen Webseite 25 Spitzenpositionen auf, die er seit Beginn der Revolution inne hatte – fast alle im Milieu des Geheimdienstes und der Revolutionsgarden. Dorri-Nadjafabadi war Geheimdienstminister, Generalstaatsanwalt, Provinzgouverneur, Regierungsbeauftragter in der unruhigen Provinz Kurdistan und sogar Chef des mächtigen Wirtschaftskonglomerats Khatomalanbia, das den Revolutionsgarden gehört.
Aktuell sitzt Dorri-Nadjafabadi in mehreren Gremien und Kommissionen und ist Vertreter Khameneis in Teheran und Umgebung. Um seine Wiederwahl in den Expertenrat in zwei Jahren braucht er sicher nicht zu fürchten. Aber warum spricht ein so mächtiger Mann solch ein sensibles Thema wie die Nachfolge des Revolutionsführers öffentlich an? Und warum wird das Thema umgehend ausschließlich in Presseorganen und auf Webseiten aufgegriffen, die – wie Djawan, Tasnim und Fars News – den Revolutionsgarden oder dem iranischen Geheimdienst nahestehen?
Angst vor einer Hängepartie
Dorri-Nadjafabadi lieferte in seiner aufsehenerregenden Rede in Schiraz selbst nachvollziehbare Gründe für sein frühzeitiges Vorpreschen. Für die Wahl des künftigen Führers brauche man einen nationalen Konsens so wie einst bei der Wahl Ayatollah Khameneis, sagte Dorri-Nadjafabadi da. Deshalb müsse man rechtzeitig aktiv werden. Bei der Wahl Khameneis vor 25 Jahren gab es allerdings mehr Konflikte als Konsens. Als der damalige Expertenrat einen Tag nach dem Tod von Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini im Juni 1989 in einer sehr gespannten Atmosphäre den neuen Revolutionsführer bestimmen wollte, war keineswegs sicher, wer am Ende das Rennen machen würde. Ali Khamenei war damals für die Mehrheit des Gremiums inakzeptabel. Erst als der einst mächtige Ali Akbar Haschemi Rafsandjani unter Tränen mit einer persönlichen Geschichte aufwartete, wendete sich das Blatt: Khomeini selbst habe ihm gesagt, dass Khamenei der beste Mann für diese Position sei, erzählte Rafsandjani. Diese von Freund und Feind dokumentierte Episode war für die Wahl Khameneis entscheidend – und sie zeigt auch, welche Autorität Rafsandschani einst besaß. Schließlich wurde Khamenei nach mehrmaliger Abstimmung knapp gewählt, obwohl er damals noch kein Ayatollah war und damit nicht den geistlichen Rang besaß, den die Verfassung für das Amt des Revolutionsführers vorschreibt.
Eine solche Hängepartie bei der Wahl des künftigen religiösen Oberhaupts darf sich nicht wiederholen. Und die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass der nächste Expertenrat – in zwei Jahren – tatsächlich den Mann an der Spitze wählen muss. Denn Khamenei ist jetzt 76 Jahre alt und um seinen Gesundheitszustand ranken sich seit Jahren Gerüchte und Vermutungen. Dass er immer noch an Folgen eines Bombenanschlags in den Achtziger Jahren leidet – seine rechte Hand ist seitdem gelähmt – ist bekannt. Doch mehr weiß man nicht.
Sohn als Nachfolger?
Der ehemalige iranische Präsident Abolhassan Bani Sadr, der stets mit Exklusivinformationen aufwartet, behauptete vor etwa zwei Wochen auf seiner Website, Khamenei sei schwer krank, deshalb sei die Diskussion über seine Nachfolge entbrannt. Belegen lässt sich diese Information nicht, aber eins steht fest: Unabhängig von seinem Gesundheitszustand wird Khamenei am Ende der Amtszeit des nächsten Expertenrats weit über achtzig Jahre alt sein. Bis vor kurzem vermuteten viele Eingeweihte, er wolle seinen zweitjüngsten Sohn Modjtaba zu seinem Nachfolger küren. Doch die Chancen des als brutal geltenden Vierzigjährigen schmälert, da er die Bedingungen der Verfassung kaum erfüllt. Modjtaba hat zwar beste Verbindung zu den Revolutionsgarden und anderen paramilitärischen Verbänden. Doch seit der Wahl des als moderat geltenden Präsidenten Hassan Rouhani vor einem Jahr sind einige Koordinaten im Machtgefüge der Islamischen Republik aber verschoben worden.
Veränderte Koordinaten
Da ist zum einen Haschemi Rafsandjani: Er, der in der Ära von Rouhanis Vorgänger Mahmoud Ahmadinedschad völlig entmachtet schien, ist inzwischen wieder omnipräsent. Selbst ausländische Diplomaten, die dieser Tage Teheran besuchen, bemühen sich um einen Termin bei ihm. Er gilt als Rouhanis Mentor und mobilisiert alles, damit der die leidige Atomfrage mit dem Westen endlich zu einem akzeptablen Ende führen kann.
Doch es ist fraglich, ob Rafsandjani wie vor 25 Jahren auch diesmal bestimmend eingreifen kann. Im gegenwärtigen Expertenrat verfügt er zwar über eine beachtliche Anhängerschaft – Dorri-Nadjafabadi, der die Nachfolgediskussion angestoßen hat, gehört dazu. Aber mehr als Rafsandjani ist es heute die omnipotente Revolutionsgarde, die bei der Besetzung von Spitzenpositionen das letzte Wort hat. Einen Führungsrat an der Spitze des Staates, wie ihn Rafsandjani mehrmals ins Gespräch brachte, würden die Garden niemals akzeptieren. Sie möchten nur eine einzige, von ihnen abhängige Person an der Führungsspitze – und zwar am liebsten Modjtaba Khamenei, sagt jedenfalls Mohsen Sazegara, einst Gründer der Revolutionsgarden, der nun an der Southern Methodist University in Texas lehrt. Das Rennen ist also tatsächlich eröffnet.
ALI SADRZADEH