Instrumentalisierte Klänge

So finanzierte der Staat eine Kampagne, in der traditionelle persische Musik wie die sogenannte tasnif (eine Art Ballade) mit dem Titel „Iran, Ey Saraye Omid“ (Iran, Land der Hoffnung) von Mohammad-Reza Schadscharian vorgestellt wurde. Es wurde wiederholt vom staatlichen Rundfunk gesendet, um, wie es der Kultursoziologe Motti Nieger ausdrückte, „die Stimmung der Nation in Einklang“ zu bringen.
Das Lied von Schadscharian lässt Ideale sozialen Zusammenhalts anklingen, aber auch der nationalen Eintracht und des Stolzes. Mit diesen Eigenschaften wurde es als geeignet angesehen, den Triumph des neuen Regimes über das alte zu symbolisieren sowie die Hoffnung auf eine neue Ära. Seitdem hat es das kollektive Gedächtnis der Iraner tiefgreifend geprägt und wird mit dem sozialen, politischen und kulturellen Kontext der Revolution von 1979 verknüpft.

Mohammad Reza Shajarian
Mohammad Reza Schdscharian hat dem staatlichen Rundfunk untersagt, seine Musik auszustrahlen, und so fiel er in Ungnade

Das Ministerium für Kultur und islamische Führung („Ershad“) als kulturpolitischer Tugendapparat der Mullahs: Bis heute wacht das Ministerium über die Zulässigkeit von Musikproduktionen und Konzertveranstaltungen im Iran.
Die Macht der Musik ist ein seit langem anerkanntes und dokumentiertes Phänomen, nicht zuletzt durch diejenigen, die an ihrer Zensur gearbeitet haben. Im Iran wurde Musik oft misstrauisch beäugt, stets wurden ihr Interpreten verdächtigt, über eine „Zauber“ zu verfügen oder gar über „diabolische Kräfte, die [die Zuhörer] zu den schlimmsten Exzessen verleiten können“. Irans religiöse und politische Führer haben diese Ressentiments niemals ausgeräumt, sondern ganz im Gegenteil sie als Motivation und Rechtfertigung für ihre Kontrolle und Reglementierung genutzt.
Die Wiederaneignung der musikalischen Macht
Die Macht der Musik wurde von den Autoritäten nicht nur stets gefürchtet, sondern auch als Instrument der Propaganda und der Kontrolle genutzt. Im Falle der epischen Ballade „Iran, Land der Hoffnung“ von Schadscharian geschah dies im Jahr 2009, also zu einer Zeit politischer Unruhen als Folge der Manipulationen während der Präsidentschaftswahl. Zu jener Zeit nahm der staatliche iranische Rundfunk (IRIB) das Lied wieder ins Programm und verschaffte ihm so einen neuen musikalischen Raum.
Aus strategischem Kalkül war der staatliche Rundfunk dazu übergegangen, systematisch besonders beliebte Stücke aus der persischen Musiktradition zu übertragen, die mit der Revolution von 1979 in Verbindung gebracht wurden, darunter auch die Ballade „Iran, Land der Hoffnung“ . Augenscheinliches Ziel war es, die Assoziationen von nationaler Eintracht und Patriotismus aus der Zeit der Revolution neu zu beschwören und in einem neuen politischen Kontext zu propagieren.
Die Regierung versuchte also, die grenzüberschreitende Macht der Musik gezielt zu nutzen, indem Radio- und Fernsehsender mit den im Lied enthaltenen Botschaften von Patriotismus und religiös-politischem Optimismus regelrecht überflutet wurden. Damit sollte die Opposition nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes „zerstreut“ werden, vielmehr ging es darum, ihre Meinungen und Loyalitäten ins Gegenteil zu verkehren. Mit der Renaissance eines revolutionären Zeitgeistes sollte die Wahl vom Juni 2009 im Nachhinein legitimiert werden.
Schadscharian drückte in dieser Phase des Protests zusammen mit anderen Musikern, Dichtern, Filmemachern und Künstlern seine Unterstützung der Opposition dadurch aus, indem er Anstrengungen unternahm, sich der Macht seiner Musik wieder selbst zu bemächtigen.
Er verlangte, dass der staatliche Rundfunk die Ausstrahlung seines Stückes beenden sollte. Auf diese Weise versuchte er, der ideologischen Instrumentalisierung durch die Regierung einen Riegel vorzuschieben.
Der erzkonservative Politiker und Herausforderer des Präsidenten Rouhani, Ebrahim Raisi (re.), nutzte bei den Präsidentschaftswahlen 2017 ein Treffen mit dem Rapper Tataloo als Wahlpropaganda!
Der erzkonservative Politiker und Herausforderer des Präsidenten Rouhani, Ebrahim Raisi (re.), nutzte bei den Präsidentschaftswahlen 2017 ein Treffen mit dem Rapper Tataloo als Wahlpropaganda!

 
Doch nach mehr als zwei Jahren des Protests und Schadscharians Akt des Widerstandes und der Zivilcourage schlug der Staat zurück. Der IRIB verkündete, dass Schadscharians überaus beliebter Ramadan-Song „Rabanna“ verboten wird. Damit verbot der Staat alle Aufnahmen und Aufführungen von Schadscharian in einem geradezu verzweifelten Akt, die Macht zurückzuerlangen, die ihm durch seine Selbstzensur zugefallen war.
Heute ist Schadscharian der „unumstrittene Meister des traditionellen persischen Gesangs“. Geschätzt von Iranern im In- und Ausland gleichermaßen hat sein musikalisches Repertoire „nationalen Kulturstatus“. Seine weltweite Fangemeinde wächst beständig, da sich das Internet und die sozialen Netzwerke dem Zugriff religiös-politischer Zensurbestrebungen weitgehend entziehen.
Dissonanzen im Netz
Während die ICT für einen Teil der Musikbranche und die Konsumenten weiterhin eine wichtige Rolle bei der Ausschaltung des staatlichen Kontrollregimes spielt, hat sich vor allem das Internet zu einer neuen Drehscheibe für unabhängige und unzensierte Musikproduktionen entwickelt.
Die Expansion der Musik in den virtuellen Raum ließ die staatlichen Kontrollmechanismen antiquiert erscheinen und zeigte auf, wo Anstrengungen erfolgen mussten, um verlorenes Terrain wiederzugewinnen. Dieses Mal jedoch sollte sich die Durchsetzung der Zensurprinzipien als sehr viel schwieriger herausstellen als noch zuvor.
Die juristischen, administrativen und technischen Organe auf Seiten der iranischen Regierung sind zurzeit eifrig bemüht, die Zensurmechanismen auf den neuesten Stand zu bringen, was auch angesichts der zunehmenden Vernetzung der virtuellen Community im Land ein immer schwierigeres Unterfangen wird.
Unterdessen findet sich online eine aktive Untergrund-Musikszene, die sich auch von den allgegenwärtigen Filtern und Blockaden im Netz nicht abschrecken lässt. Internetnutzer bringen es zu erstaunlichen Leistungen, wenn es darum geht, solcherlei Barrieren zu umgehen, wenn es um die Verbreitung und den Konsum von zensierter Musik geht.
Musiker im Iran und aus der iranischen Diaspora knüpfen weiterhin Kontakte und bauen Netzwerke, während die Endkonsumenten im Iran immer mehr Talent bei der Entwicklung neuer Methoden zur Umgehung von Zensurfiltern und Sperren entwickeln, die sie am Konsum und der Verbreitung von Musik hindern.
Auch wenn sich die Untergrund-Musikszene online neue musikalische Spielräume erobert und auch auf neue Technologien zurückgreift, um historisch verankerte Barrieren zu überwinden, stehen Musik-Konsumenten und Interpreten im Iran wohl noch turbulente Zeiten bevor – denn was wird zukünftig die „Stimmung im Land“ beeinflussen und wer wird womöglich erneut versuchen, diese für seine politischen Zwecke zu instrumentalisieren?
  MARIA KOOMEN
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
© Qantara
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