Neue Töne? Musik im Iran

Das Thema Musik ist unter islamischen Rechtsgelehrten umstritten. Das spiegelt sich auch in der iranischen Politik wider. Während die gemäßigten und reformistischen Kräfte um den Präsidenten Konzerte erlauben, versuchen die Hardliner mit allen Mitteln, sie zu verhindern. Doch auch sie wissen, dass die Bevölkerung nicht auf Musik verzichten will. Deshalb nutzen sie diese Kunst für sich, wo sie nur können.
 Bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Mai erregte ein Video die Gemüter der IranerInnen. Darin unterhielten sich der konservative Präsidentschaftskandidat Ebrahim Raisi und Amirhossein Maghsoudloo, besser bekannt als Amir Tataloo. Tataloo ist ein bekannter Rapper mit auffälligen Tattoos und einem Outfit, das so gar nicht den Vorstellungen der islamischen Hardliner entspricht. Dass gerade dieser „unerwünschte“ Musiker nun in dem Video mit dem Kandidaten der Hardliner über Musik spricht, sorgte für heiße Diskussionen unter IranerInnen im In- und Ausland. Tataloo sagt, er wolle einen Videoclip zu einem Lied über Reza, den achten Imam der Schiiten, erstellen. Raisi, bei den Wahlen der einzige Herausforderer des späteren Siegers Hassan Rouhani, befürwortet das Vorhaben und schwärmt für das Lied, das er „beeindruckend“ nennt.
Dieses Video wird als typisch für den Umgang der Hardliner mit der Musik angesehen. Viele Internetportale und AktivistInnen der sozialen Netzwerke reagierten empört über die „Doppelmoral“ der Hardliner. Manche glaubten gar, es handele sich um eine „Fake-News“.
Der Islam und die Musik
Im Koran wird Musik nicht direkt thematisiert. Deshalb entscheiden die Rechtsgelehrten über das Musikverbot anhand von Überlieferungen. Einige von ihnen halten Musik für „haram“ – islamisch verboten. Manch andere, darunter der geistliche Führer des Iran, Ali Khamenei, sprechen sich für das Verbot solcher Musik aus, die „den Hörer verführen“ und „sexuell erregen“ könne.
Doch welche Art von Musik in diese Kategorie fällt, ist nicht eindeutig. Zumindest in den Stellungnahmen der Verantwortlichen in den staatlichen Organen kann man keine klaren Definitionen erkennen. Manche Pop- und Rockkonzerte werden verboten, manch andere, und das nur für eine bestimmte Weile, wiederum zugelassen. Aber auch mit der traditionellen Musik wird nicht einheitlich umgegangen.
„Das Fehlen einer übergeordneten Führung, die alles organisiert und die Kräfte bündelt, ist für die Musiker das größte Problem“, sagte der renommierte Komponist und Tar-Virtuose Hossein Alizadeh im vergangenen Jahr. Im Gespräch mit der persischsprachigen Redaktion der BBC kritisierte er, dass Erlaubnisse für Konzerte oder die Veröffentlichung von Musikaufnahmen von den Entscheidungen religiöser Politiker und Institutionen abhängig sei: „Einige der aktuellen Entscheidungsträger kennen sich mit der Materie gar nicht aus“, so Alizadeh.
Offiziell ist das gemäßigte Ministerium für Kultur und islamische Führung für das Erteilen der Genehmigungen zuständig. Doch die Ultrakonservativen haben die Möglichkeit, mit Gewalt oder Druck auf die Veranstalter Konzerte zu verhindern. Es kommt auch vor, dass eine CD, ein Buch oder ein Film vom Markt genommen werden musste, weil sich einflussreiche Kleriker oder religiöse Institutionen darüber beschwert hatten.

In den letzten Jahren haben die Hardliner ihre Angriffe gegen Konzerte verstärkt - Foto: Hizbollah-Anhänger stören ein Konzert in der Stadt Bushehr
Die Schlägertrupps von Hizbollah stören ein Konzert in der Stadt Bushehr

 
Diese  rechtfertigen das mit der Interpretation der islamischen Überlieferungen, doch Beobachter sind der Meinung, dass sie in Wahrheit das Zusammenkommen von Männern und Frauen bei Konzerten nicht tolerieren. Dies sei in ihren Augen unislamisch. Darüber hinaus sind viele schiitische Rechtsgelehrte der Auffassung, dass Jugendliche durch kollektive Freude vom „richtigen Weg“ abkommen.
Der Sprecher der iranischen Justiz, Gholam-Hossein Mohseni-Ejei, forderte vergangenes Jahr von Konzertveranstaltern, sich schriftlich zur „Bewahrung der Sicherheit und Ordnung“ während der Konzerte zu verpflichten. Bei Zuwiderhandlungen müssten sie Konsequenzen tragen. Das wurde als indirekter Druck zur Verhinderung von Konzerten gesehen. Denn was bei der iranischen Justiz unter „Ordnung“ zu verstehen ist, wissen die Veranstalter genau: keine Nähe zwischen Männern und Frauen, kein Tanz, kein lautes Lachen. Der iranische Justizapparat wird von den Ultrakonservativen dominiert und zählt zu den Kritikern der Regierung Rouhani, die in Sachen Musik und Konzerte eine entspanntere Herangehensweise vertritt.
Eine Institution, die in Sachen Musik starken Druck ausübt, sind die Freitagsprediger in den Städten und Gemeinden. Diese werden vom allmächtigen religiösen Führer Ayatollah Khamenei bestimmt und auch als dessen Vertreter angesehen. Deshalb hat die Regierung es schwer, etwas gegen ihren Willen zu unternehmen.
Der Rücktritt des Kulturministers
Maschhad, die Pilgerstätte im Osten des Iran, war die erste Stadt, in der Konzerte kategorisch verboten wurden. Sie stimmten mit der religiösen Atmosphäre der Stadt nicht überein, argumentierte der landesweit bekannte Fundamentalist und Freitagsprediger Maschhads, Mehdi Alamolhoda. Daraufhin stellten Freitagprediger anderer Städte die gleiche Forderung.
Der Druck aus Maschhad war so groß, dass das Kulturministerium nachgegeben und keine Genehmigungen für musikalische Events in der Stadt mehr erteilt hat. Diese Entscheidung machte die Regierung Rouhani zur Zielscheibe der Kritiker. Der Präsident selbst kritisierte seinen Kulturminister. Er solle dem „Druck von außen“ nicht nachgeben. Das war das erste Mal, dass Rouhani einen seiner Minister öffentlich kritisierte. Er beschwerte sich zudem über die Respektlosigkeit „mancher“ gegenüber KünstlerInnen und dem Gesetz. Das schade der Religion, warf Rouhani den religiösen Hardlinern vor. Am Ende musste der Kulturminister seinen Stuhl räumen. Er trat am 16. Oktober 2016 zurück.
Feudales System
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