Klage gewonnen, “Freundschaft” verloren?
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag verhandelt derzeit über die Rechtmäßigkeit der Weitergabe der in den USA eingefrorenen iranischen Gelder an die Hinterbliebenen eines Terroranschlags. Ein Schauspiel zur Profilierung der Islamischen Republik oder eine ernstzunehmende juristische Auseinandersetzung?
Von Mehran Barati
Das Urteil war kaum eine Woche alt: Am 3. Oktober erst hatte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag in einem vom Iran angestrengten Verfahren gegen die USA zugunsten des Klägers entschieden: Ein Teil der neuen US-Sanktionen gegen den Iran müsse aufgehoben werden. Nur fünf Tage später, am 8. Oktober, rief das Gericht die beiden Parteien erneut zusammen, um sich zu einer anderen Klage des Iran aus dem Jahr 2016 zu äußern. Dabei geht es um den Einzug von fast zwei Milliarden Dollar iranischen Vermögens zugunsten amerikanischer Kläger. Bis zum 12. Oktober hatten Kläger und Beklagte Zeit, sich zu dem Vorwurf zu äußern.
Der Hintergrund: Vor zwei Jahren hatte das höchste amerikanische Gericht einer Klage der Hinterbliebenen von US-Militärangehörigen stattgegeben, die bei einem Attentat auf die Militärbasis der amerikanischen Marine im Libanon am 23. Oktober 1983 getötet worden waren. Der Iran habe bei dem Terroranschlag seine Hand im Spiel gehabt, so die Begründung. Die 240 Kläger hatten Entschädigung aus dem Vermögen des Iran bei US-Banken verlangt. Der Iran verklagte daraufhin 2016 die Vereinigten Staaten vor dem Haager Gericht, da sie durch ihre “Terrorismus-Erfindung und eine Reihe von legislativen und exekutiven Maßnahmen” den Interessen des Iran geschadet und den “Treaty of Amity” zwischen den USA und dem Iran verletzt hätten.
Dieser Freundschaftsvertrag aus dem Jahr 1955 sollte nach dem CIA-Putsch gegen den im Iran legitim gewählten Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh im August 1953 die Beziehungen zwischen der iranischen Monarchie und den USA auf eine neue Basis stellen. Artikel 21/2 des Vertrags besagt: “Jede Streitigkeit zwischen den Hohen Vertragsparteien über die Auslegung oder Anwendung des vorliegenden Vertrags, die nicht durch diplomatische Maßnahmen zufriedenstellend beigelegt werden können, sind dem Internationalen Gerichtshof vorzulegen, es sei denn, die Hohen Vertragschließenden Parteien stimmen einer Beilegung durch andere friedliche Mittel zu.” In den Paragrafen 23/2 und 23/3 des Vertrages wurde dessen Gültigkeit für zehn Jahre vereinbart – und sie sollte fortdauern, sollte einer der Vertragspartner ihn nicht binnen einer Frist von einem Jahr gekündigt haben.
Das Abkommen wurde auch nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 weder von den USA noch vom Iran gekündigt.
Der Regimewechsel im Iran und die sich signifikant verschlechternden Beziehungen zwischen den beiden Staaten hätten dennoch dafür sprechen können, dass das Gericht den “Treaty of Amity” nicht als Grundlage der iranischen Klage anerkennt. Die USA argumentieren im Fall von 2016 wie auch bei der späteren Klage des Iran gegen ihre nach dem Austritt aus dem Atomabkommen im Mai 2018 neu verhängten Sanktionen, dass das Abkommen längst nicht mehr gültig sei. Doch das Haager Gericht sah das anders und urteilte am 3. Oktober gegen die USA. Der IGH wies die Vereinigten Staaten an, die humanitären Normen zu respektieren und ihre Embargos gegen den Iran in einer Reihe von Schlüsselbereichen außer Kraft zu setzen, etwa bei Nahrungsmitteln, Medikamenten und Flugzeugersatzteilen.
Drei Rechte
Der 1956 vom US-Senat ratifizierte Freundschaftsvertrag garantiert iranischen Staatsangehörigen und Unternehmen drei Rechte: Erstens müssen die Vereinigten Staaten ihnen und ihrem Eigentum faire und gerechte Behandlung gewähren. Zweitens verbietet er unzumutbare oder diskriminierende Maßnahmen, die die legal erworbenen Rechte und Interessen iranischer Staatsangehöriger und Unternehmen beeinträchtigen. Drittens müssen die USA sicherstellen, dass die Vertragsrechte iranischer Staatsangehöriger und Unternehmen wirksam durchgesetzt werden.
In seiner Verfügung stellte der IGH fest, dass „die von den Vereinigten Staaten ergriffenen Maßnahmen die Sicherheit der Zivilluftfahrt im Iran und das Leben ihrer Nutzer gefährden könnten, soweit sie die iranische Fluggesellschaft daran hindern, Ersatzteile und andere notwendige Ausrüstung zu erwerben“. Die Beschränkungen für Einfuhr und Kauf von Waren für humanitäre Zwecke wie Lebensmittel und Medikamente – einschließlich lebensrettender Arzneimittel zur Behandlung chronischer Krankheiten oder vorbeugender Gesundheitsvorsorge – könnten schwerwiegende nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit und das Leben von Personen auf dem iranischen Territorium haben. Deshalb müssten die USA Einfuhrhindernisse für Medikamente und medizinische Geräte, Nahrungsmittel und landwirtschaftliche Erzeugnissen sowie Ersatzteile, Ausrüstung für die zivile Luftfahrtindustrie und die damit verbundenen Dienstleistungen beseitigen. Schließlich wies das Gericht Washington an, dafür zu sorgen, dass Lizenzen und Zahlungen für diese Waren und Dienstleistungen nicht eingeschränkt werden. Obwohl diese „vorläufige“ Entscheidung nicht alle Forderungen des Iran erfüllt, liefert sie diesem dennoch genug Vorteile, um den Sieg in diesem Verfahren für sich zu beanspruchen.
Warum die USA keine Freundschaft mit dem Iran wollen
Schon am Tag der Urteilsverkündung Anfang Oktober kündigte US-Außenminister Mike Pompeo den Austritt seines Landes aus dem “Freundschaftsvertrag” mit dem Iran an, ohne die im Vertrag vorgesehene Kündigungsfrist von einem Jahr anzusprechen. Die USA hielten den Vertrag schon seit der Machtübernahme Khomeinis für null und nichtig, so Pompeo. Am 9. Oktober erklärte die US-Vertretung vor Gericht anlässlich der Entschädigungsklage des Iran, weshalb dessen Berufung auf den “Freundschaftsvertrag” von 1955 unbegründet und abzulehnen sei und das Gericht die Erörterung der Klage sofort beenden solle.
Die Argumente der USA lauteten:
– Der Iran missbrauche das Haager Gericht, wenn er sich auf den Freundschaftsvertrag von 1955 berufe. Der Iran sei nicht berechtigt, sich auf den Freundschaftsvertrag zu berufen und die USA zu verklagen.
– Die Vereinigten Staaten hielten den IGH für nicht zuständig. Es müsse das Land, das terroristische Aktionen durchführe, zur Rechenschaft gezogen werden.
– Der Iran sei für den Terroranschlag im Libanon 1983 verantwortlich. Ein Hisbollah-Mitglied mit iranischer Staatsangehörigkeit habe den Anschlag mit 241 Toten und 58 Verletzten durchgeführt, die Iraner hätten die Verantwortung dafür übernommen und seien sogar stolz darauf.
– Der Iran wolle, dass sein Vermögen in den USA auf das Konto der iranischen Zentralbank überwiesen werden. Doch dieses Geld müsse den Hinterbliebenen der Opfer des Terroranschlags gegeben werden.
– Irans Behauptung, laut Freundschaftsvertrag sollten die Handels- und konsularischen Beziehungen beider Länder auf Ehrlichkeit beruhen, sei nicht akzeptabel. Der Iran habe wiederholt den internationalen Terrorismus unterstützt, sein Verhalten habe den vertraglich erforderlichen Umgang mit den USA untergraben.
– Der Iran habe den Vertrag verletzt, indem er die US-Botschaft in Teheran besetzt und die Geiselnahme von US-Diplomaten erlaubt habe. Auch nach deren Freilassung sei der Freundschaftsvertrag nicht wiederhergestellt worden.
– Die Vereinigten Staaten versuchten, durch Gerichtsentscheidungen die Folgekosten des Terrorismus für den Iran zu erhöhen. 1996 habe der Kongress eine Verfassungsänderung angenommen, nach der der Druck auf Regierungen, die Terrorismus unterstützen, erhöht werden solle. Danach hätten die USA Gesetze gegen terroristische Länder verabschiedet. Dementsprechend werde der Iran für seine terroristischen Aktivitäten verurteilt.
– Die Beziehungen zwischen dem Iran und den USA seien seit Jahrzehnten zum Erliegen gekommen. Die Vereinigten Staaten hätten ihr Konsulat in Basra aufgrund von Bedrohungen durch vom Iran unterstützte Gruppen schließen müssen. Der Iran habe dadurch den Freundschaftsvertrag verletzt. Der Vertrag konzentriere sich auf konsularische und Handelsbeziehungen, die auf einem dauerhaften Frieden zwischen den beiden Ländern basieren. Die Gestaltung von Vertragsvereinbarungen beruhe auf dem Schutz der Interessen amerikanischer Bürger und Unternehmen. Der Vertrag stelle zwar fest, dass Streitigkeiten an den Internationalen Gerichtshof verwiesen werden sollten. Doch der Iran habe aus den zuvor genannten Gründen keinen Anspruch auf eine Klage.
Die Folgen der IGH-Entscheidung
Fortsetzung auf Seite 2