Der Revolutionsführer und sein virtueller Feind

Seine Rede zum Schuljahresbeginn der Religionsschulen nimmt der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei zum Anlass, zum wiederholten Mal vor den „Bedrohungen des Internets“ zu warnen. Das kostenintensive Projekt eines „nationalen Internets“, dessen erste Phase kürzlich in Betrieb genommen wurde, sowie Massenverhaftungen von InternetnutzerInnen sind die Konsequenzen seines harten Kurses gegen die virtuelle Welt.

Wie fängt ein Lehrer den ersten Schultag an? Wie wichtig muss ein Thema sein, um an diesem Tag als erstes aufgegriffen zu werden? Ayatollah Ali Khamenei, der geistliche Führer des Iran, entschied sich zu Beginn des neuen Schuljahres der iranischen Religionsschulen Anfang vergangener Woche dazu, erneut auf die „umfangreichen Machenschaften des Feindes“ im Internet aufmerksam zu machen. Laut dem Ayatollah dienen diese dem Plan, „das Bewusstsein und die Herzen der Bevölkerung und der Jugendlichen von der wahren Religion abzulenken“.

Diesen Plan zu torpedieren sei die wichtigste Pflicht der iranischen Geistlichkeit, erklärte der Revolutionsführer. Khamenei kritisierte aber auch Prediger, die die Möglichkeiten des Internets nicht kennen: Möglichkeiten, die auch das Verbreiten islamischer Inhalte im großen Stil erlauben.

Khamenei sieht das Internet als „Schlachtfeld des weichen Kriegs“, auf dem „die Feinde“ versuchten, ihre Werte in den Iran einzuschleusen. Für den politisch konservativen Flügel des Iran ist das Internet vor allem ein Spionagewerkzeug.

Internet „Halal“

Das arabische Wort „halal“ kann man mit „erlaubt“ übersetzen. Das Wort steht für Reinheit im Sinne islamischer Vorschriften. Ein in diesem Sinne „reines“ und komplett kontrolliertes Internet ist eine der höchsten Prioritäten der Teheraner Machthaber, allen voran Ali Khameneis.

Der 2011 von ihm aufgestellte „Oberste Cyberspace-Rat“ überwacht alle Internetaktivitäten im Land und koordiniert die Tätigkeiten jener Ministerien und Ämter, die auf wirtschaftlicher, juristischer und technischer Ebene oder mit Sicherheitsaspekten des Internets zu tun haben. Dem Rat sitzt Staatspräsident Hassan Rouhani persönlich vor. Mitglieder sind die Chefs der Judikative und Legislative, der Kommandant der Revolutionsgarde, der Polizeichef und der Minister für Kultur und islamische Führung sowie der Geheimdienstminister.

"Diese Seite ist nicht erreichbar"
„Verehrter User, diese Seite ist nicht erreichbar“ – Jährlich werden im iran Tausende Internetseiten gesperrt

Dabei war das Internet bis vor wenigen Jahren in den Augen der iranischen Machthaber keine Sicherheitsbedrohung. Bis dahin versuchten sie nur, „unislamische“ und oppositionelle Inhalte herauszufiltern. Bei den Protesten gegen die umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 musste das Regime jedoch tatenlos zuschauen, wie die Protestierenden die Möglichkeiten des Netzes und der sozialen Netzwerke zur Organisation nutzten. Damals wurden nicht nur Netzwerke wie Facebook gesperrt, sondern auch die iranische „Cyberarmee“ und die „Cyberpolizei“ gegründet. Das Internet wurde zu einer Sache der nationalen Sicherheit erklärt.

Der erste Schritt zum „Nationalen Internet“

Doch auch die Regierung kann nicht auf die „guten Seiten“ des Internets verzichten. Vernetzte Behörden sind effektiver, schneller und kostengünstiger. Behördenangelegenheiten im Netz zu erledigen entlastet den Straßenverkehr und trägt zur Sauberkeit der Luft der Großstädte bei – zudem verringert es die Korruption. Auch das Bankensystem ist auf das Netz angewiesen. Um ein schnelles Internet aufbauen und zugleich den Datenverkehr kontrollieren zu können, bastelt das Land seit 2010 an einem sogenannten nationalen Datennetzwerk, auch unter dem Begriff “Nationales Internet“ bekannt. Dabei handelt es sich um ein isoliertes, unabhängiges, auf den Iran beschränktes Netzwerk, also eine Art landesweites Intranet.

Nach und nach müssen alle inländischen Dienstleister in dieses Netzwerk integriert werden. Das Ergebnis: Das „Nationale Internet“ kann zu jeder Zeit vom World Wide Web gekappt werden. Das einheimische Netzwerk und alle seine Dienste bleiben dabei stabil, es gibt nur keinen Datenverkehr ins und aus dem Ausland. Darüber hinaus können alle Aktivitäten von NutzerInnen beobachtet werden, weil alle Server im Inland stehen. Das nationale Datennetz soll NutzerInnen einen schnellen und günstigen Datenverkehr anbieten und durch die Datenspeicherung im Inland die Sicherheit der sensiblen Daten gewährleisten. Ein unabhängiges, vom Internet isoliertes Datennetz werde es nicht geben, sagen die Macher.

Bei den Protesten von 2009 nutzten die Protestierenden die Möglichkeiten des Netzes und der sozialen Netzwerke zur Organisation
Bei den Protesten von 2009 nutzten die Jugendlichen die Möglichkeiten des Netzes und der sozialen Netzwerke zur Organisation – Foto: rahesabz.net

Ende August wurde der erste Schritt gemacht. Mahmud Vaezi, Minister für Information und Kommunikationstechnologie, leitete feierlich die erste Phase des Projektes ein. Dabei wurden die Dienste und Webseiten von Behörden und Regierungsstellen in das einheimische Netzwerk aufgenommen. Im kommenden Winter und im Frühjahr 2017 sollen die nächsten Phasen gestartet und Dienste wie Videostreaming auf die iranischen Server umgelegt werden. Zeitgleich treibt die Regierung den Ausbau von Rechenzentren und Kabelnetzen voran.

Ein weiterer Teil des Projekts „Halal Internet“ ist das Anbieten einheimischer Äquivalente zu Angeboten des WWW. Inzwischen gingen iranische Suchmaschinen und Emailanbieter online, es gibt iranische soziale Netzwerke, sogar ein einheimisches Facebook. Doch die iranischen NutzerInnen bleiben misstrauisch und zeigen solchen Diensten die kalte Schulter. Anfang 2013 musste die Regierung das Projekt einheimischer VPNs aufgeben. Ein VPN (Virtuelles Privates Netzwerk) ist eine verschlüsselte Verbindung zwischen einem Nutzer und einem Server. Ausländische Filialen einer Firma stellen so etwa eine sichere Verbindung zur Zentrale her. Da die Zensurbehörden in eine VPN-Verbindung nicht hineinschauen können, bleibt die Verbindung frei. NutzerInnen können so die Zensur umgehen. Seit Anfang 2012 boten iranische Behörden einheimische VPN-Kanäle an. Doch Anfang 2013 räumte das staatliche Unternehmen für Telekommunikationsinfrastruktur ein, dass sich nur 30 Firmen und Unternehmen für das legale VPN registriert hatten. Deshalb würden VPN-Kanäle wieder wie gewohnt angeboten, so Mahmoud Khosravi, der damalige Chef des Unternehmens.

Rouhani und die „intelligente Zensur“

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