Die Wahrheitsfindung beim Mykonos-Prozess

Auf die vom Teheraner Regime beauftragten Morde vor 30 Jahren im Berliner Restaurant Mykonos folgte ein Prozess und eine Rechtsprechung, die Geschichte schrieben. Ein Gastbeitrag von Mehran Barati.

Am späten Abend des 17. September 1992 betraten drei libanesische Auftragskiller des Teheraner Regimes das Restaurant Mykonos in der Prager Straße in Berlin, um dort anwesende Gäste, die Führungsriege der Demokratischen Partei Kurdistans im Iran (DPKI) zu töten. Mit 29 Kugeln aus einer Maschinenpistole und einer Pistole vollendeten die Killer ihren Auftrag im Sinne des Auftraggebers. Neben Fattah Abdoli starben dabei der DPKI-Vorsitzende Sadegh Scharafkandi, der Vertreter der Partei in Deutschland Homayun Ardalan und Nuri Dekordi, ihr Übersetzer. Die iranischen Oppositionspolitiker waren nach Berlin gereist, um am Kongress der Sozialistischen Internationale teilzunehmen, der auch die SPD angehört. Einladender war der damalige Parteivorsitzende der SPD, Björn Engholm.

Nur wenige Stunden nach dem Mord übernahm die Karlsruher Bundesanwaltschaft die Ermittlungen. Der Grund lag nahe: Zu sehr ähnelten diese Morde denen an anderen Kurdenführern drei Jahre zuvor in Wien. Der zuständige Bundesanwalt für die Berliner Bluttat wurde Bruno Jost. Sein Verdacht von Anfang an: Staatsterrorismus. Der Justiz musste dann nicht mehr ins Gedächtnis gerufen werden, dass seit 1982 fünf weitere nicht aufgeklärte Morde an Oppositionellen auf das Konto des Teheraner Regimes gingen: im April 1982 in Mainz, im November 1985 in Frankfurt, im Januar 1987 und im Juni 1988 in Hamburg und im August 1992 in Bonn. Später stellte sich heraus, dass die Geheimdienste der Bundesregierung bis 1991 wiederholt Berichte über die finanzielle, logistische und operative Durchführung von Terroranschlägen auf deutschem Boden durch die Islamische Republik Iran verfasst hatten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte die Regierung jedoch nicht über die Notwendigkeit informiert, das Vorgehen deutscher Geheimdienste und Behörden im Zusammenhang mit der Überwachung solcher Terroraktivitäten der Islamischen Republik zu ändern.

Im Oktober 1992, nur einen Monat nach dem Berliner Blutbad, hatten die BfV-Spezialisten Erkenntnisse zusammengetragen, die für eine Steuerung des Mykonos-Anschlags aus Teheran sprachen. Der Informationsstand deutscher Sicherheitsbehörden war schon zuvor so weit, dass nur vier Tage nach dem Mykonos-Attentat, am 21. Dezember 1992, das Bundeskriminalamt in einem Bericht schrieb, es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Attentat vom 17. September 1992 in Berlin um eine staatsterroristische Operation des Iran handele.

Die iranischen Geheimdienste hatten schon in früheren Jahren mehrfach Oppositionelle in Deutschland ermorden lassen. Die Mykonos-Morde gingen aber den deutschen Strafverfolgungsbehörden zu weit. Nun wollten sie entschlossen handeln. In höchster Alarmbereitschaft suchte der Bundesnachrichtendienst nach verdächtigen Botschaften aus Nahost, Verfassungsschützer hörten Telefonate verdächtiger Personen mit. Eine der größten Abhöraktionen der deutschen Nachkriegsgeschichte lief an. Merkwürdigerweise fühlte sich das kurz vor der Tat eingereiste Terrorteam des iranischen Geheimdienstes so sicher, dass zwei Täter in Deutschland blieben und bald festgenommen werden konnten. Drei weitere fand die Interpol im Ausland.

Sadegh Sharafkandi (re.) und Nuri Dehkordi
Sadegh Sharafkandi (re.) und Nuri Dehkordi

Die Strategie des Schweigens

Selbst fünf Jahre nach den Mykonos-Morden weigerte sich die damalige deutsche Bundesregierung noch, sich offiziell zu den Hintergründen der Attentate und den dahinterstehenden Tätern zu äußern. Ungeachtet des Gerichtsverfahrens behielt sie die Fortsetzung ihrer „Sonderbeziehungen“ zur Islamischen Republik Iran auf der Agenda. Die Strategie der Bundesregierung vom Tag nach dem Attentat im Mykonos bis zur offiziellen Klageerhebung im Mai 1993 stand nicht im Einklang zu Berichten der Sicherheits- und Polizeibehörden, die die Rolle der Islamischen Republik bei der Durchführung des Attentats bestätigten.

Offenkundig orientierte sich die Politik der Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl an dem Grundsatz, dass die Verantwortung der iranischen Regierung nicht erwähnt werde. Politische Beobachter nannten dies „Strategie des Schweigens“. Das Argument der Bundesregierung für ihr Schweigen in dieser Zeit war zunächst einmal der „kritische Dialog“ zwischen der Europäischen Union und der Islamischen Republik, der aufrechterhalten und fortgesetzt werden sollte. Wohl aus diesem Grund, so wurde vermutet, nahm mit der Zeit der politische Druck auf die deutsche Staatsanwaltschaft bezüglich der bestimmenden Rolle der Islamischen Republik zu. Nach Teheran sollte die Botschaft gesendet werden, es gebe einen Unterschied zwischen der Justiz und der deutschen Regierung.

In der Tat hatten die Erkenntnisse deutscher Sicherheitsbehörden den Geheimdienstkoordinator der Regierung Kohl, Bernd Schmidbauer, nicht daran gehindert, weiterhin verdeckte Beziehungen zu Teheran und dem berüchtigten Geheimdienstchef Ali Fallahian zu pflegen, nicht einmal zu einem Zeitpunkt, als seine Verwicklung in das Massaker längst offenkundig war. Dass der iranische Geheimdienstminister Fallahian in Bonn massiv wegen des Mykonos-Verfahrens vorstellig geworden war, gestand Schmidbauer erst vor Gericht in Berlin.

Die Bundesregierung verhielt sich genau so ambivalent wie Schmidbauer, der den Mykonos-Prozess über seine Geheimdienste mal förderte, mal bremste. Die Regierung hatte immer die stille Hoffnung, die Karlsruher Bundesanwaltschaft würde auf die Nöte Bonns Rücksicht nehmen. Im April 1993 reiste Hassan Rouhani, Mitglied des Obersten Nationalen Sicherheitsrates des Iran, im Auftrag des “Revolutionsführers” Ali Khamenei nach Bonn. Seine Botschaft war klar: Bonn und Teheran sollen das „Mykonos-Problem“ Seite an Seite überstehen.

Mit dem Urteil im Berliner Mykonos-Prozess scheiterte der »kritische Dialog« der Regierung Kohl mit Iran. Während die Diplomaten in Deutschland den Schaden zu begrenzen suchten, mussten die Verantwortlichen für den Mordbefehl aus Teheran ihre strafrechtliche Verfolgung fürchten. Es dauerte aber fünf Jahre, bis die deutsche Rechtsprechung und die mutigen Richter und Staatsanwälte ihre Unabhängigkeit gegen den starken Druck der deutschen Regierung endgültig behaupten konnten.

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