Die Wahrheitsfindung beim Mykonos-Prozess

Der Berliner Mykonos-Prozess hatte drei juristische Helden, die das Recht über die Staatsräson stellten: der Vorsitzende Richter Frithjof Kubsch, Bundesanwalt Bruno Jost und Generalbundesanwalt Alexander von Stahl. Im fünfjährigen Gerichtsprozess wurden in 247 Sitzungen 170 Personen angehört. Das durch Kubsch verkündete Urteil ging in die deutsche Rechtsgeschichte ein. Denn zum ersten Mal nach den Nürnberger Prozessen gegen die Verantwortlichen des NS-Regimes hatte ein deutsches Gericht die Führer eines Regimes als Attentäter identifiziert und wegen Staatsterrorismus verurteilt. In diesem Sinne hat dieses Gericht seinen historischen Platz gefunden.

In seiner Urteilsbegründung erklärte Kubsch am 10. April 1997, die Zeugen im Prozess hätten einen tiefen Einblick in Entscheidungsabläufe der iranischen Führungsspitze gegeben, an deren Ende Liquidierungen von Regimegegnern im Ausland stehen. Die iranische Staatsführung wurde als die eigentliche Befehlsgewalt für die Ermordung der oppositionellen kurdischen Politiker identifiziert. Beim Namen genannt wurde jedoch nur der iranische Geheimdienstchef Ali Fallahian, lange Zeit Kontaktmann von Staatsminister Schmidbauer. Die übrigen Anstifter – eine diplomatische Rücksichtnahme gab es dann doch – wurden lediglich mit ihren Funktionen genannt: Religionsführer Ali Khamenei, Staatspräsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und Außenminister Ali Akbar Velayati. Gegen den iranischen Geheimdienstchef Ali Fallahian erwirkten die Staatsanwälte sogar einen Haftbefehl.

Während der Prozessjahre hatten Richter und Staatsanwälte Morddrohungen und politischem Druck widerstanden. Mit ihrem Willen zur Wahrheit hatten sie die Bonner Regierung zur Aufgabe ihrer politischen Leisetreterei genötigt. Den beteiligten Richtern und Staatsanwälten wurde weltweit Hochachtung bekundet wegen ihres persönlichen Mutes. Insbesondere ist Bruno Jost zu nennen, der unabhängige und faire Staatsanwalt. Er hatte keine Angst vor Drohungen der Islamischen Republik. Die Polizei schützte Tag und Nacht sein Leben und seine Familie. Jost sagt, dass es ihm im Fall Mykonos wichtig war, die komplizierten und heiklen politischen Angelegenheiten hinter den Kulissen zu entdecken.

Nach der Verkündung des Urteils im Mykonos-Prozess: (von li.) Hans-Joachim Ehrig (Einer Anwälte der Nebenkläger), Hamid Nouzari (Prozessbeobachter), Shohreh Badiee (Ehefrau des ermordeten Nouri Dehkordi)
Nach der Verkündung des Urteils im Mykonos-Prozess: (von li.) Hans-Joachim Ehrig (Einer Anwälte der Nebenkläger), Hamid Nouzari (Prozessbeobachter), Shohreh Badiee (Ehefrau des ermordeten Nuri Dehkordi)

Einen Tag nach dem Urteil des Berliner Kammergerichts zogen alle EU-Staaten außer Griechenland ihre Botschafter aus Teheran vorläufig ab. Das sollte ein Zeichen setzen, dass der iranische Staatsterrorismus nicht mehr geduldet werde. Damit hatten auch die Verbrechen der Islamischen Republik Iran auf europäischem Boden für lange Jahre ihr vorläufiges Ende gefunden. Von den fünf Angeklagten Youssef Amin, Mohamed Atris, Atallah Ayad, Kazem Darabi und Abbas Rhayel mussten nicht alle ihre Gefängnisstrafen bis zum Ende absitzen.

Nach dem am 9.12.1998 rechtskräftig gewordenen Urteil hätte der Haupt-Drahtzieher der Morde, Kazem Darabi, lebenslang sitzen müssen. Er wurde jedoch 2007 nach 15 Jahren vorzeitig entlassen, höchstwahrscheinlich im Austausch gegen den deutschen Donald Klein, der beim Hochseeangeln im Persischen Golf in iranische Gefangenschaft geraten war. Im Iran wurde Darabi auf dem Flughafen von Vertretern des Außenministeriums wie ein Held in Empfang genommen. Der zweite zu lebenslanger Haft verurteilte Youssef Amin wurde nach 15 Jahren in seine Heimat geschickt, um “den Rest der Strafe dort zu verbüßen“. Atallah Ayad, 10 Jahre, und Mohamed Atris, 5 Jahre, wurden überraschend nach knapp drei Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen. Die Bundesanwaltschaft hatte die Entlassung der beiden Angeklagten beantragt, weil sie zwei Drittel der Haftstrafe abgesessen hatten.

Aber selbst dieser weniger gute Ausgang der Strafgerechtigkeit schmälert die historische Bewertung des Mykonos-Urteils vom 10. April 1997 nicht. Die Gründe für die Einmaligkeit des Prozesses lassen sich vielleicht so zusammenfassen: Erstens kann behauptet werden, dass das Verfahren zu anderen Ergebnissen hätte führen können, wenn die Verantwortung nicht Leuten wie Alexander von Stahl, Bruno Jost und Frithjof Kubsch übertragen worden wäre. Die Entscheidung des Mykonos-Gerichts spiegelte nicht nur die Unabhängigkeit der deutschen Justiz wider, sondern auch die Verantwortung einzelner Juristen, die persönliche Verantwortung übernommen hatten. Zweitens haben das politische System der Bundesrepublik und die Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern eine Struktur geschaffen, die es sehr schwierig gemacht hat, den Willen der Bundesregierung Gerichten auf Landesebene aufzuzwingen. Dazu kommen drittens die begrenzten Möglichkeiten der Regierung, den Informationsfluss zu lenken, und viertens auch der Druck der US-Regierung und anderer westlicher Regierungen auf die damalige deutsche Regierung, sich an das Prinzip der Unabhängigkeit der Staatsgewalten zu halten und Distanz zu halten zum verbrecherischen politischen Tun der Islamischen Republik Iran. Und als letzter Grund die sehr starke Rolle eines Teils der in Deutschland lebenden iranischen Opposition bei der Verfolgung des Falls und ihre starke Informationsarbeit in den deutschen Medien.♦

Mehran Barati

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