Ein Abkommen oder die nächste Krise? Rechenspiele in Teheran und Washington
In Teheran und Washington stehen politische Entscheidungen von historischer Tragweite an. Die Führung der Islamischen Republik sieht sich zunehmend gezwungen, sich von Illusionen zu verabschieden – die Suche nach einem Kompromiss ist existenziell geworden. Auch in den USA geht es darum, eine Einigung zu erzielen, die innenpolitisch verkauft werden kann. Doch das Zeitfenster für ein Abkommen wird enger.
Ein Gastbeitrag von Hamid Asefi (Dieser Beitrag spiegelt die Ansicht des Autors wider.)
In der Politik zählen Absichten weniger als tatsächliche Handlungsspielräume. Diese Realität zeigt sich heute deutlicher denn je: Hätte die Islamische Republik Iran freie Hand, würde sie auf Donald Trump wohl ähnlich reagieren wie während dessen erster Amtszeit. Doch derzeit sieht sich das Regime in einer engen, komplizierten Lage und ist gezwungen, auf Basis realer Ressourcen zu agieren – nicht auf der Grundlage von Wunschvorstellungen.
Teherans schmerzhafte Einsichten
Die Machtstrukturen in Iran stehen vor grundlegenden Herausforderungen. Sollte das Land in einen internationalen Konflikt geraten, könnte dies die Widerstandskraft des Regimes übersteigen. Interne Gespräche zwischen Militärs, Bürokraten und dem Obersten Führer deuten darauf hin, dass auch Ali Khamenei diese Gefahr erkannt hat.
Frühere Einschätzungen erweisen sich zunehmend als instabil: dass Europa nie den Snapback-Mechanismus aktivieren würde, dass Trump Iran nicht militärisch angreifen würde, dass Teheran die Sanktionen umgehen und weiterhin täglich eine Million Barrel Öl verkaufen könnte und dass Verhandlungen den Rückhalt der Anhänger des Regimes dramatisch schwächen würden. Heute wird offenbar auch in den höchsten Kreisen verstanden, dass diese Annahmen auf Sand gebaut waren.
Ein weiteres Thema drängt sich auf: die Nachfolgefrage. Der inzwischen hochbetagte Oberste Führer Ali Khamenei muss die Weichen für eine stabile Machtübergabe stellen. Ein Krieg – regional oder international – könnte die Kräfteverhältnisse innerhalb des Regimes verschieben: Militärs könnten die Oberhand gewinnen, der Klerus geschwächt werden. Schwere Instabilität könnte das Projekt der Nachfolgeregelung sogar ganz zerstören. Politische Ruhe ist deshalb nicht bloß wünschenswert, sondern überlebenswichtig – und diese Ruhe kann nur ein Abkommen sichern.
Wachsende Unzufriedenheit auf den Straßen
Gleichzeitig brodelt es in der iranischen Gesellschaft. Berufsverbände, einzelne Branchen und allgemein die Bevölkerung äußern ihren Unmut über die Regierungspolitik laut und deutlich. Es handelt sich nicht mehr um vereinzelte Proteste, sondern um einen kollektiven Aufschrei, der das weitere Festhalten an der nuklearen Eskalationspolitik sinnlos erscheinen lässt.
Denn die wirtschaftlichen Folgen dieser Strategie sind verheerend: Zwei Billionen Dollar Schaden durch die Sanktionen infolge des Atomprogramms haben tiefe Wunden hinterlassen. Die Wirtschaftslage verschärft sich täglich, selbst die Aufrechterhaltung der aufgeblähten Bürokratie des Regimes wird zur Herausforderung. Unter diesen Bedingungen erscheint ein Abkommen, selbst wenn es nur vorläufig und unvollständig ist, als einzige realistische Option.
Washingtons Kalkulationen
Und in Washington? Auch dort zeigen sich die Entwicklungen klarer als zunächst erwartet. Zwar verlaufen die Verhandlungen mit Teheran schwierig, doch insgesamt besser als befürchtet. Das zentrale Problem lautet: Wie können die verbliebenen Differenzen überbrückt werden?
Die US-Regierung strebt offenbar ein Abkommen an, das Donald Trump seinen Wähler*innen als Erfolg verkaufen kann: mehr erreicht als das ursprüngliche Atomabkommen (JCPOA), Frieden gebracht und Iran am Bau einer Atombombe gehindert. Sollte Iran sich verpflichten, die Urananreicherung über Jahrzehnte hinweg auf 3,67 Prozent zu begrenzen, die strengen Kontrollen des Atomabkommens wieder zuzulassen und hochangereichertes Uran entweder zu vernichten oder ins Ausland zu verbringen, könnte Trump triumphierend verkünden: „Iran stellt keine atomare Bedrohung mehr dar.“
Der schmale Grat zwischen Triumph und Sturz
Auch die Islamische Republik könnte ein solches Abkommen als Erfolg präsentieren: als Vermeidung eines Krieges und als vorsichtige Öffnung des wirtschaftlichen Spielraums. Eine erschöpfte und hoffnungslose Gesellschaft würde jeden Hauch wirtschaftlicher Entlastung begrüßen – auch wenn radikale Gruppen lautstark protestieren werden. Doch anders als früher haben diese Gruppen ihre gesellschaftliche Basis verloren. Sie existieren noch in den Randzonen der Macht, unter der Bevölkerung jedoch sind sie bedeutungslos geworden.
Heute entscheidet nicht mehr das Militär, sondern die Menschen auf der Straße – und nicht das Getöse der Kommandanten, sondern das leise Flüstern der Bevölkerung.
Foto: KI-generiert