Deutschlands gescheiterte Solidaritätspolitik
Eine Plattform für verschiedene Perspektiven zum Iran und der iranischen Diaspora
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Von Daniela Sepehri
Vor knapp zwei Jahren riefen deutsche Politiker*innen aller demokratischen Fraktionen „Frau, Leben, Freiheit“ und schnitten sich als Zeichen der Solidarität die Haare ab. Heute scheint von dieser Solidarität mit den Protestierenden in Iran nichts mehr übrig zu sein. Am 11. Juli sollte eine kurdische Schülerin aus Iran zusammen mit ihrer 70-jährigen Großmutter über die Türkei in den Iran abgeschoben werden – obwohl sie dort in Gefahr ist.
Die 17-Jährige Mira* steht stellvertretend für die führenden Gruppen der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung: Frauen, Kurdinnen, Schülerinnen. Sie hatte an ihrer Schule in Iran Proteste organisiert und war mit auf die Straße gegangen. Wie an so vielen Schulen des Iran platzierte das Regime auch an ihrer Schule eine Mitarbeiterin des Geheimdienstes, die Fotos und Videos von den protestierenden Kindern machte. Mehrere von Miras Mitschülerinnen sind seither verschwunden; Mira selbst geriet ins Visier des Geheimdienstes und musste fliehen. Über die Türkei gelangte sie nach Deutschland, wo sie am Berliner Flughafen dem Flughafen-Asylverfahren zugewiesen wurde. Während dieses Schnellverfahrens, das von Bundesbehörden durchgeführt wird, gelten die Betroffenen als nicht eingereist und dürfen sich nur im Transitbereich aufhalten.
Ihr Asylantrag wurde als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Wer das entschieden hat, weiß offensichtlich nichts von der bedrohlichen Lage für Protestierende im Iran, die Inhaftierung, Folter und Hinrichtung befürchten müssen. Mira und ihre Großmutter sollten in die Türkei „zurückgewiesen“ – ein schöneres Wort für „abgeschoben“ – werden. Es drohte eine Kettenabschiebung nach Iran. Wegen gesundheitlicher Probleme der Großmutter wurde die Abschiebung zunächst um einen Tag verschoben. Am nächsten Morgen versuchten Bundespolizist*innen, die beiden Frauen aus ihrer Zelle zu holen. Sie traten in den Sitzstreik, worauf hin die Polizist*innen handgreiflich geworden seien, wie Mira erzählte. Danach brach jeglicher Kontakt zu den beiden geflüchteten Iraner*innen ab.

Zahlreiche Aktivist*innen eilten besorgt zum Flughafen und versuchten, den Flug, mit dem die Abschiebung stattfinden sollte, zu stoppen. Sie klärten die Passagier:innen auf und baten sie, sich nicht hinzusetzen, damit der Flug nicht starten kann. Das taten sie so lange, bis die Polizei die Aktivist*innen aus dem Flughafen warf mit den Worten: “Was ist das denn hier für ein Kindergarten!”. Ein Aktivist hatte sogar ein Ticket gekauft, um durch die Sicherheitsschleuse zu gelangen und mit Passagieren sprechen zu können. Parallel berichtete die Presse über den Fall. Pro Asyl und die Berliner Rechtsanwältin Berenice Böhlo stellten eine Verfassungsbeschwerde, während das Verfahren in der Hauptsache am Verwaltungsgericht Potsdam noch lief. Engagierte Bundestagsabgeordnete setzten sich im Hintergrund ein. Der politische Druck auf das zuständige Bundesinnenministerium war so groß, dass die Abschiebung in letzter Minute gestoppt werden konnte; die beiden Frauen gelten nun als offiziell eingereist. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam bleibt abzuwarten.
Für einen Moment kann also aufgeatmet werden. Aber ein Happy End ist noch nicht in Sicht. Mira hat in der Islamischen Republik Iran Schreckliches erlebt und wird nun in Deutschland erneut traumatisiert. Fast hätten wir zwei Frauen abgeschoben, denen wir noch vor zwei Jahren Solidarität zugesprochen haben. Viele Politiker*innen betonten damals: „Wir stehen an der Seite der mutigen Frauen im Iran.“ Wo ist diese Solidarität jetzt?
Die Zeit der warmen Worte ist vorbei, Solidarität muss sichtbar werden. Dass der Stopp von Abschiebungen nach Iran Ende 2023 ausgelaufen ist, ist eine Schande. Dass das Thema im Juni nicht einmal auf der Tagesordnung der Innenminister*innenkonferenz stand, weil die CSU-Regierung in Bayern und die CDU-Regierung in Sachsen das aktiv verhindert hatten, ist eine noch größere Schande.
Bayern schiebt regelmäßig direkt nach Iran ab und kooperiert dafür mit den Behörden der Islamischen Republik. Dabei war die Union doch die Partei, die mit am lautesten “Frau, Leben, Freiheit” gerufen hatte. Wer nach Iran abschiebt, ist nicht solidarisch mit “den mutigen Menschen”, sondern verhöhnt sie.
Wir brauchen einen sofortigen bundesweiten Abschiebestopp nach Iran. Die Bundesländer und Bundesinnenministerin Nancy Faeser sind in der Verantwortung. Zurückweisungen im Flughafenverfahren müssen darunter fallen. Langfristig muss das Konzept der Flughafenverfahren überdacht werden. Das Beispiel von Mira und ihrer Großmutter zeigt, dass Iran-Fälle für ein solches Schnellverfahren viel zu kompliziert sind.♦
* Mira ist ein Deckname, um die Identität der Betroffenen zu schützen.
Zur Autorin: Daniela Sepehri ist selbständige Social-Media-Beraterin, Journalistin, Moderatorin und Poetry Slammerin. Als Aktivistin setzt sie sich für Menschenrechte im Iran, Anti-Rassismus und eine menschenrechtsgeleitete Migrationspolitik ein.