Sadri-Koohestanis Woyzeck-Adaption am Deutschen Theater

Im Vorfeld des Streams von Woyzeck Interrupted am 28. Mai am Deutschen Theater traf sich Dramaturgin und Übersetzerin Sima Djabar Zadegan mit der Autorin Mahin Sadri zum Werkgespräch. Sie sprachen über die Arbeit an dem Stück, das Sadri gemeinsam mit Regisseur Amir Reza Koohestani nach Georg Büchner entwickelte, und die Besonderheit des Themas.

Zusammen mit Amir Reza hast Du, liebe Mahin, Woyzeck Interrupted geschrieben. Was hat Dich am meisten an der Idee gereizt, ein neues Stück über Gewalt gegen Frauen, insbesondere Gewalt in Partnerschaften, in Anlehnung an Büchner zu schreiben?

Mahin Sadri: Bei Femiziden, also der Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, denke ich an erster Stelle an die vielen Frauen, die in den vergangenen Jahren ihre Stimmen dagegen erhoben haben. Und ich sehe die Angst und Ablehnung, die ihnen und anderen unterdrückten Minderheiten entgegenschlägt, wenn sie an den bestehenden Machtverhältnissen rütteln. Die Gewalt gegen Frauen in den Fokus zu rücken, der verborgenen Dimension dahinter nachzuspüren, ist ein wichtiges und interessantes Unterfangen für mich als Dramatikerin. Was vordergründig in einem Stück auf der Bühne passiert, habe ich stets hinterfragt. Die Dinge sind meist anders, als sie erscheinen. Auch die Gewalt gegen Frauen hat ihren Ursprung auf einer tieferen Ebene. In unserem Stück wollen wir die Gewalt in Partnerschaften thematisieren, denn die Statistiken zeigen das erschreckende Ausmaß: Gewalttaten gegen Frauen ereignen sich mehrheitlich in Partnerschaften, in allen gesellschaftlichen Schichten, in allen Ländern. Sie sind kein Randphänomen, das ausgelagert werden kann auf tiefere Gesellschaftsschichten oder Entwicklungsländer, sondern sie finden überall statt. Wir sehen die verschiedenen Erscheinungsformen, aber dieses verbindende Muster wird nach wie vor oft außer Acht gelassen. Georg Büchner inspirierten damals Zeitungsberichte über Femizide zum Stück Woyzeck – das ist wiederum ein spannender Ausgangspunkt für mich heute.

Gab es zwischen Euch Ko-Autor_innen während des Schreibprozesses unterschiedliche Sichtweisen auf diese Thematik?

Amir Reza und ich arbeiten seit fast 18 Jahren in unterschiedlichen Konstellationen zusammen. Wir haben selten grundlegend verschiedene Perspektiven auf ein Thema, aber unsere Methode beim Schreiben und unsere Herangehensweisen an die Entwicklung eines Stücks sind sehr verschieden. Amir Reza denkt zuerst viel nach und beginnt dann zu schreiben. Ich bin das Gegenteil: Erst wenn ich schreibe, geht bei mir der gedankliche Prozess los. Meist arbeite ich an mehreren Projekten gleichzeitig. Sobald aber ein Gedanke zündet, arbeite ich konzentriert und ausgiebig an der einen Idee. Ich schreibe sehr schnell einen ersten Entwurf, dann verwerfe oder überarbeite ich diesen. Manchmal bleiben nur fünf Prozent vom ersten Text übrig.

Drei Stockwerke - Bühnenbild von Woyzeck Interrupted unter der Regie von Amir Reza Koohestani - © Arno Declair
Drei Stockwerke – Bühnenbild von Woyzeck Interrupted unter der Regie von Amir Reza Koohestani – © Arno Declair

Wenn ich mit Amir Reza arbeite, muss ich also viel früher als er anfangen, zu schreiben und zu redigieren, bis ich auf einen Entwurf komme, den ich ihm geben kann. Auf dieser Grundlage kann Amir Reza den Text weiterentwickeln, je nachdem, wie er die Szene aufbauen und inszenieren will. Ich fokussiere mich sehr auf die Figurenrede und auf das, was darin verhandelt wird. Amir Reza geht mehr von einer szenischen Situation oder einem Bild aus und überlegt sich erst danach, was darin genau gesprochen und verhandelt werden soll. Bis jetzt haben wir diese Gegensätzlichkeit ganz gut ausgehalten.

Einen Teil des Stücks habt Ihr geschrieben, während Du in Teheran warst und Amir Reza schon in Berlin geprobt hat. Wie verlief dieser “Long Distance-Schreibprozess“?

Durch die Pandemie haben wir uns alle daran gewöhnt, aus der räumlichen Distanz heraus zu arbeiten. Und für Amir Reza und mich war das schon vorher Alltag, weil wir oft beruflich unterwegs sind. Viele unserer gemeinsamen Arbeiten sind entstanden, während entweder er oder ich oder wir beide auf Reisen an unterschiedlichen Orten waren. Wie bereits gesagt: Ich schreibe aus dem Impuls heraus, begegne dem Text gerne in der noch undefinierten, unbekannten Entstehungsphase und lasse mich überraschen. Daher sende ich meistens den ersten Entwurf. Amir Reza, der beim Schreiben sehr überlegt vorgeht, arbeitet dann an diesem weiter. So schicken wir uns die Texte zu und die Distanz dabei fällt nicht allzu sehr ins Gewicht. Natürlich ist Nähe trotzdem von Vorteil, gerade bei Stückentwicklungen wie dieser. Wenn ich als Autorin bei den Proben dabei sein kann, ist es einfacher für mich, einzuschätzen, in welche Richtung sich die weiteren Szenen entwickeln sollen. Das war unter den aktuellen Umständen leider nicht möglich.♦

  Fragen und Übersetzung aus dem Persischen: Sima Djabar Zadegan

Woyzeck Interrupted als DT-Stream! Am Samstag, den 29. Mai, um 20 Uhr mit englischen Untertiteln.

Vom 28. bis 30. Mai ist der Stream zusätzlich on demand mit Audiodeskription für das Publikum mit eingeschränktem Sehvermögen verfügbar.

DT bietet auch das Stück als Stream für das digitale Klassenzimmer an, den man für die gesamte Schulklasse an einem Wunschtermin nutzen kann.

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