Molière, Schiller & Reza rocken den Iran
Das Regietheater ist im Iran eine relativ junge Kunst. Erst in den 1950er Jahren konnten sich dort ernsthafte Dramatiker etablieren. Der Blick auf das Theater in Europa begleitete die Entwicklung im Iran von an Anfang an. IranerInnen in der Diaspora spielen dabei eine entscheidende Rolle.Wenn der iranstämmige Dramatiker und Regisseur Ali Jalaly in den Iran reist, um dort ein Stück zu inszenieren oder einen Regie-Workshop zu leiten, wird er als Exot wahrgenommen: Straff durchorganisierte Proben innerhalb eines Probenzeitraums von sechs Wochen, pünktliches Erscheinen, kurze Mittagspausen – scherzhaft bezeichneten Jalalys KollegInnen seinen Proberaum anfangs als „Alis Arbeitslager“.
„Niemand konnte sich vor 20 Jahren vorstellen, dass man in so kurzer Zeit ein Stück auf die Beine stellen könnte“, sagt Ali Jalaly im Gespräch mit dem Iran Journal. „Die Schauspieler waren sehr lange Probezeiten von einem halben Jahr und länger gewöhnt – von Disziplin und intensiver Arbeit ganz zu schweigen“, erinnert sich der 59-jährige Theaterregisseur und Autor: „Aber jetzt haben einige Schauspieltruppen diese Arbeitsweise für sich übernommen, weil sie gesehen haben, dass das funktioniert.“
Auch der Schauspieler und Regisseur Mohammad-Ali Behboudi gehört zu den zahlreichen Diaspora-IranerInnen, die sich im Iran engagieren. Seit zwei Jahren reist er regelmäßig in seine alte Heimat, um dort eine Theaterschule nach europäischem Vorbild zu gründen. Seiner Meinung nach ist die Theaterlandschaft des Iran ein fruchtbares Feld, das es verstärkt zu kultivieren gilt. „Die traditionellen Trauerspiele brauchten nie einen Regisseur. Es gab da immer einen erfahrenen Schauspieler, der selber mitgespielt hat und Anweisungen gab. Das Regietheater, wie wir es aus Deutschland kennen, mit Regisseuren wie Zadek, Peter Stein oder Frank Castorf, die Stoffe völlig umkrempeln und aus Schauspielern Sachen herausholen, die das Publikum in Staunen versetzt, das gibt es im Iran nicht“, berichtet er dem Iran Journal.
Lange Tradition, kurze Moderne
Das Regietheater ist im Iran eine verhältnismäßig junge Kunst. Basierend auf den Performances religiöser Riten der Achämeniden-Dynastie um das 6. Jahrhundert v. Chr., entstanden im 7. Jahrhundert n. Chr. die schiitischen Passionsspiele Tazieh. Das sind szenische Darstellungen der Leidensgeschichte des gefallenen Imam Hussein und dessen Begleiter. Sie werden bis heute auf improvisierten Bühnen innerhalb der Muharram-Passionsfeiern aufgeführt. Darüber hinaus etablierten sich auch komische Theaterformen wie Siah-Bazi, in dessen Mittelpunkt eine Art schelmischer Harlekin seinen Herrn nach bestem Wissen und Gewissen plagt. Und was wäre der Orient ohne die Kunst des Geschichtenerzählens, die sich im Iran besonders üppig mit Gesangseinlagen und bebilderten Leinwandrollen zu einer eigenen Unterhaltungsform, dem Naghali, bis heute erhalten hat.
Doch all diese Theaterformen bedürfen weder eines Autors noch eines Regisseurs. Die Geschichten, die Personen und szenischen Wirkungen bilden eine Struktur, die es den Performern ermöglicht, zu improvisieren und ihre Figuren zu perfektionieren – ungefähr so, wie man es von der frühen Commedia dell´Arte kennt.
Europäisches Regietheater mit seiner Textabhängigkeit, der Unterscheidung zwischen „Hochkultur“ und „niederer Unterhaltung“, der Idee eines durchkomponierten Gesamtkunstwerks von Schauspiel, Bühne und dramatischen Texten erreichte den Iran in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, als der Maler des Schahs, Mozayan-ol Douleh, als einer der ersten iranischen Studenten aus Paris zurückkehrte und im Polytechnicum Dar al-Fonum einen Theatersaal einrichtete, um darin Molières „Menschenfeind“ aufzuführen.
Als Teil des Modernisierungsprozesses konnte sich das iranische Theater nach der konstitutionellen Revolution von 1906 durch vermehrte Übersetzungen und Adaptionen von europäischen Stücken etablieren. Zuvor hatte Fath-Ali Akhodzadeh als erster moderner Theaterautor Stücke aus dem Französischen übersetzt und auch einige selbst geschrieben.
Iranisches Theater heute
Den Höhepunkt erreichte das moderne Stückeschreiben in den 1970er Jahren. Die Entwicklung des iranischen Regietheaters war seit seiner Entstehung stark mit den Erfahrungen und Erkenntnissen der IranerInnen im Ausland verbunden. Das erlebt auch Ali Jalaly so: „Iranische Regisseure haben sehr geringen Input, weil sie nicht ins Ausland reisen können. Sie haben kaum Zugang zu internationalen Theaterproduktionen. Im Gegensatz zum iranischen Kino hinkt das Theater seiner Zeit hinterher.“
Im Iran konzentriert sich fast das gesamte Kulturschaffen auf den Ballungsraum Teheran. Das impliziert auch das Theater. Es gibt in der 18 Millionen-Metropole 16 Theaterhäuser, die sich zum Teil spezialisiert haben. Das Andishe-Theater, das 1979 errichtet wurde, ist auf religiöse Inhalte spezialisiert, das Sangalaj aus den 1960er Jahren spielt ausschließlich persische Stücke, das Tscahahar-Su wird hauptsächlich für experimentelles Theater genutzt.
“Wenn ich in Deutschland ins Theater oder in die Oper gehe, dann sitzen neben mir drei Generationen nebeneinander und genießen ein Stück. So etwas gibt es im Iran nicht. Die normalen Menschen gehen kaum ins Theater, für sie werden vielleicht an zwei oder drei Bühnen billige Lustspiele, Stand-up Comedy oder Musicals angeboten. Aber diese Inszenierungen sind wenig anspruchsvoll“, klassifiziert Ali Jalaly die Theaterlandschaft Teherans.
Der 2016 mit dem Kölner Theaterehrenpreis ausgezeichnete Regisseur ist der Meinung, dass sich in den Köpfen der iranischen Theatermacher viel mehr bewegen müsse. So inszeniert er bevorzugt in den Provinzen, legt dabei Stücke wie „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmin Reza, „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ des Autors Éric-Emmanuel Schmitt oder Schillers „Die Räuber“ auf den Spielplan. Wichtig ist für ihn vor allem, dass im Theater ein demokratischer Prozess eintritt: „Im Iran ist der Regisseur so etwas wie ein Gott und mit einem Gott diskutiert man nicht. Ich will aber, dass die Schauspieler mit mir diskutieren. Ich will, dass sie sich einbringen, schließlich funktioniert eine Ehe auch nur, wenn beide etwas zu sagen haben.“ Und der Erfolg gibt ihm Recht. „Monsieur Ibrahim“ wurde 2007 am Schauspielhaus Teheran als beste iranische Inszenierung des Jahres ausgezeichnet und mit seinen „Räubern“ rockte Jalaly 2013 im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur das renommierte Teheraner Stadttheater Theatr-e Shahr, sondern auch die Mannheimer Schillertage.
Pro Quote im Theater
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