Politischer Druck und weibliche Stärke
Der Film „Tatami“ bringt am fiktiven Beispiel der Judoka Leila den realen Druck auf die Kinoleinwand, unter dem erfolgreiche iranische Sportlerinnen stehen. Die Koproduktion einer iranischen und eines israelischen Filmschaffenden ist seit dem 1. August auch in deutschen Kinos zu sehen.
Von Fahimeh Farsaie
Die talentierte iranische Judoka Leila (Arienne Mandi) ist fest entschlossen: Sie will bei den Judo-Weltmeisterschaften in Tiflis die ersehnte Goldmedaille nach Hause bringen. Dafür hat sie mehr als ein Jahr hart trainiert. Unterstützung bekommt sie von der erfahrenen Trainerin Maryam (Zar Amir), die sie bei ihren Wettkämpfen begleitet. Beide sind zuversichtlich, dass Leila gewinnen wird.
Tatsächlich kann Leila die ersten Schwierigkeiten – wie etwa ein paar Kilo zu viel für ihre Gewichtsklasse – überwinden und andere Favoritinnen aus dem Wettbewerb werfen. Problematisch wird es, als die Regierung in Teheran Leilas Triumphe als gefährlich auslegt: Halten ihre Siege an, könnte sie auf eine israelische Gegnerin treffen. Um diese Begegnung zu verhindern, soll Leila eine Verletzung vortäuschen und aus dem Wettkampf aussteigen. Tut sie dies nicht, bringt sie ihren Mann Nader (Ash Goldeh), ihren Sohn und ihre Eltern in Gefahr: Das Mullah-Regime würde ihre Angehörigen verhaften.
Filmische Realität
Die Überbringerin dieser Hiobsbotschaft ist ihre Trainerin, die selbst unter dem Druck ihrer Vorgesetzten steht. Maryam will auf keinen Fall ihre eigene Familie in Gefahr bringen und zwingt Leila zur frühzeitigen Aufgabe. Die vertrauensvolle Beziehung zwischen der Trainerin und der Protagonistin droht auseinanderzubrechen. Wie sieht Leilas Entscheidung aus? Wird sie ihren Lebenstraum, die Goldmedaille zu gewinnen, aufgeben, oder riskiert sie das Leben ihrer Familie? Mit dieser Frage verwandelt sich das Sportdrama Tatami in einen packenden und nervenaufreibenden Politthriller vor und hinter den Kulissen einer Judo-Meisterschaft.
Inspiriert von den realen Schicksalen iranischer Sportlerinnen, erzählt Tatami zum Teil auch die Geschichten der ersten iranischen Boxerin Sadaf Khadem und der Kletterin Elnaz Rekabi, die ohne ihren Hidschab an Wettkämpfen teilnahm, sowie der Taekwondo-Kämpferin Kimia Alizadeh, die wegen der Drohungen der Regierung beschloss, mit ihrem Mann aus dem Iran zu fliehen. Dem Regieduo Zar Amir und Guy Nattiv – der Film ist eine israelisch-iranische Zusammenarbeit – ist es gelungen, Abschnitte aus dem Leben dieser realen Sportlerinnen in Schwarzweiß-Bilder zu übertragen und Parallelen zur fiktiven Erfahrung Leilas zu ziehen. Auch eine iranische Judoka lernte das Regieduo während der Filmarbeiten kennen, die schließlich Teil eines Flüchtlings-Judoteams wurde.
Starke Frauen
Tatami spielt sich in einer Frauenwelt ab. Die beiden Hauptfiguren, Leila und Maryam, sind zwei starke Frauen, die eine enge Beziehung zueinander pflegen. Als das Mullah-Regime diese Beziehung auf die Probe stellt, reagieren sie unterschiedlich, gehen zunächst auseinander und kommen wieder zusammen, als der Druck der islamischen Regierung seinen Höhepunkt erreicht. Besonders Maryam durchlebt eine charakteristisch positive Entwicklung und solidarisiert sich im entscheidenden Moment mit ihrer Schülerin. So werden vielfältige Facetten weiblicher Stärke und Autonomie repräsentiert. Leila zeigt sich als eine durchsetzungsfähige, furchtlose Judoka, die sich sowohl in physischen als auch in emotionalen Konflikten behauptet. In dieser Rolle brilliert Arienne Mandi.
Exzellente Kameraführung
Tatami erzählt gleichzeitig die Geschichte einer Sportart, die sehr selten in Filmen gezeigt wird, und wenn, dann aus der Sicht der Männer. Während weibliche Judokas sonst kaum vorkommen, stehen sie hier im Mittelpunkt. Die Auswahl dieses Sports ermöglicht ferner eine spektakuläre Kameraführung, die die Kämpfe, Griffe und Würfe mit atemberaubendem Tempo einfängt und die schweißtreibende Kraft und Exaktheit der Kämpferinnen vermittelt. Diese Bilder tragen furios zur beklemmenden Atmosphäre im Film bei.
Das Team
Guy Nattiv ist ein Oscar-prämierter Filmemacher aus Israel. Sein erster amerikanischer Kurzfilm, Skin, gewann 2019 den Academy Award für den besten Live-Action-Short und lief auf über 300 Festivals auf der ganzen Welt. Der aktuelle Film von Nattiv, Golda – Israels eiserne Lady, mit der Oscargewinnerin Helen Mirren in der Rolle der ersten Premierministerin von Israel, Golda Meir, lief vor kurzem erfolgreich in den deutschen Kinos.
Zar Amir, auch bekannt als Zar Amir Ebrahimi, wurde 2022 in Cannes als beste Schauspielerin für ihre epochale Leistung in Ali Abbasis oscarnominiertem Holy Spider ausgezeichnet. Nach einem Berufsverbot im Iran und einer angedrohten Haftstrafe flüchtete sie 2008 nach Paris und hat seitdem in vielen europäischen Produktionen mitgewirkt. Tatami ist ihr Debüt als Co-Regisseurin.
Arienne Mendi ist eine US-amerikanische Schauspielerin mit lateinamerikanischen und nahöstlichen Wurzeln. Geboren und aufgewachsen in Los Angeles, fand sie schon in jungen Jahren Freude an der Schauspielerei. Nach dem Abschluss der High School studierte sie drei Jahre lang Kommunikation am College, bevor sie sich voll und ganz der Schauspielerei zuwandte. Zar Amir und Guy Nattiv haben mit Tatami einen eindringlichen, schmerzhaft physischen und feministischen Sport-Thriller inszeniert, der trotz des schwächelnden Drehbuchs sehenswert ist.♦
Weitere Informationen über den Film finden Sie hier!
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