„Besonders stark an den Rand gedrängt“: LGBTQ im Iran

Haben Sie die Ergebnisse dieses Austauschs zusammengetragen? Hat die andere Seite um Ratschläge gebeten, um sich ein besseres Bild zu verschaffen?

Es gab Fälle, wo wir darum gebeten wurden, und wir haben dann einen Online-Kurs oder eine Online-Diskussion durchgeführt. Es gibt Lehrer*innen, die uns fragen, wie sie sich gegenüber homosexuellen und transgender Schüler*innen verhalten sollen. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass sich 6Rang zu einer Quelle entwickelt hat, weil wir sowohl Forschungsarbeiten durchführen als auch die Entwicklungen im Iran verfolgen. Dadurch konnten wir eine genaue Kenntnis über die iranische LGBTQ-Community gewinnen. Manchmal hören wir im Kontakt mit Angehörigen der Community von Städte- und Dorfnamen, die wir bisher nicht gehört hatten. Dies ist ein Zeichen für das Erwachen der Gesellschaft, und das Internet spielt definitiv eine wichtige Rolle dabei. Wenn wir eines Tages ohne Angst vor Sicherheitsorganen öffentlich über unsere Aktivitäten reden können, können wir auch erkennen, wie groß unser Einfluss gewesen ist. Natürlich wissen wir, dass wir allein nicht ausreichen und auch andere Organisationen in diesem Bereich arbeiten sollten.

Am Ende des Berichts über Ihre Umfrage wird empfohlen, internationalen Druck auf die iranische Justiz auszuüben. Mit dem, was wir über die iranische Justiz wissen, wissen wir auch, dass das unmöglich ist. Auf der anderen Seite sagen Familien, es gehe niemanden etwas an, was innerhalb ihrer vier Wände passiert. Wie sind Sie zu diesen Empfehlungen gekommen?

Wir haben in den letzten Jahren regelmäßig an zwei Sitzungen des UN-Menschenrechtsrats in Genf teilgenommen. Wir haben Delegationen aus verschiedenen Ländern über die Lage im Iran berichtet. Wir waren außerdem bei der Kommission für die Angelegenheiten von Behinderten und haben dort vorgetragen, dass Menschen im Iran bei Geschlechtsumwandlungsoperationen aufgrund falscher Behandlung und Medikamente körperlichem und psychischem Leid ausgesetzt sind und dadurch Behinderungen entwickeln. Wir haben auch vorgetragen, wie Schocktherapie zur „Heilung“ der Mitglieder der LGBTQ-Community im Iran zu geistiger Behinderung beziehungsweise starker Depression der Betroffenen geführt hat. Als wir dies thematisiert haben, war der Vizechef der iranischen Wohlfahrtsorganisation, Hossein Nahvi-Nejad, dabei. Er dementierte die Schocktherapie von sexuellen Minderheiten. Solche Dementis veröffentlichen wir auf unserer Internetseite. Das ermutigt die Community im Iran, sich zu wehren, wenn es zu solchen Therapien kommt. Wenn die Islamische Republik auf der internationalen Bühne zu einem bestimmten Thema Stellung nimmt, berichten auch die inländischen Medien darüber. Dies trägt zur Entstehung eines Diskurses bei. Die Menschen im Iran hören von der Sache und merken, dass es tatsächlich auch dort eine LGBTQ-Community gibt und man sich damit auseinandersetzen muss.

Seit der Gründung der Islamischen Republik (1979) werden immer wieder Menschen wegen ihrer Homosexualität hingerichtet!
Seit der Gründung der Islamischen Republik (1979) werden im Iran immer wieder Menschen wegen ihrer Homosexualität hingerichtet!

Die Sache mit den vier Wänden stimmt tatsächlich. Dazu gibt es jedoch Regeln. Ein Geschlechtsverkehr ohne beiderseitige Zustimmung gilt selbst unter Paaren als Vergewaltigung. Im Iran ist insbesondere die junge Generation dabei, zu verinnerlichen, dass auch familiäre Beziehungen bestimmten Regeln unterliegen und die Rechte aller Familienmitglieder respektiert werden müssen. Wir versuchen sowohl die LGBTQ-Community als auch die Familien darüber aufzuklären, damit immer mehr Menschen diese Rechte kennen und respektieren. Oft werden wir von Müttern kontaktiert. Sie suchen unsere Unterstützung, weil sie ihre Kinder zu Psychologen gebracht haben, die diese nicht richtig behandelt haben. Das bestätigt, dass es Familien gibt, die aufgeklärt worden sind, ihren alten Glauben und ihre Traditionen hinter sich gelassen haben und sich auf Veränderungen vorbereiten. Ich finde die Sozialen Netzwerke eine gute Möglichkeit, um mit Familien Kontakt aufzunehmen. So weiß eine aufgeklärte Mutter, dass sie nicht allein ist. Sie wird sich dadurch nicht mehr unglücklich oder merkwürdig fühlen, sondern Mut bekommen.

Die Studie betont auch die Strafbarkeit von Neigungen der LGBTQ-Community im Iran. Kann man dies durch Aufklärungsarbeit, etwa über die Medien bekämpfen? Streben Sie nach einer Verbindung mit Medien im Ausland zur Verbreitung Ihrer Informationen?

Wir begrüßen solchen Austausch sehr. Das ist jedoch nicht leicht. Es gibt Medien, die gesagt haben, dass Homosexualität ihre rote Linie sei. Wir haben leider kein professionelles Medienteam, obwohl wir in den Sozialen Netzwerken sehr aktiv sind. Es gab Fälle, in denen Medien unsere Berichte nicht veröffentlicht haben, weil ihnen das Thema nicht wichtig genug erschien oder andere Themen Priorität hatten. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Medien unsere Themen als unwichtig empfinden. Meiner Meinung nach sollten die Medien für solche Berichte eine bestimmte Quote einführen. Wir sind nicht mächtig genug, um uns mit den Medien anzulegen, wenn sie über die LGBTQ-Community im Iran falsch berichten oder es versäumen, einen wichtigen Bericht zu veröffentlichen. In Deutschland leben Hunderte iranischstämmige LGBTQ-Personen. Wenn wir eine Sitzung organisieren würden, würde die Mehrheit jedoch wahrscheinlich nicht daran teilnehmen, denn sie haben kein Vertrauen mehr. Viele von ihnen bekennen sich nicht öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung.

Wie kann man sich die iranische LGBTQ-Community vorstellen?

Ein genaues Bild der unsichtbaren und versteckten Community im Iran lässt sich nicht machen. Es gibt ganz wenig Videomaterial über Diskriminierungen auf der Straße – und da sind die Betroffenen meist Transgender, weil sie auffälliger sind. Das macht unsere Arbeit besonders schwer. Wir können der Gesellschaft nicht vor Augen führen, wie die Lage ist, damit sie es glaubt. Die iranische LGBTQ-Community ist eine Gruppe, die besonders stark an den Rand gedrängt ist. Sie ist keine homogene Gruppe. Sie besteht nicht nur aus der Mittelschicht, die mehr Präsenz zeigt, sich weiterbildet und erwerbstätig ist. Auch unter Kinderarbeiter*innen oder Obdachlosen gibt es LGBTQ-Personen. Viele von ihnen können die Aufklärungs-App nicht benutzen, weil sie keine Smartphones besitzen. Es gibt Psycholog*innen mit sehr vielen Anhänger*innen auf Instagram. Sie behaupten, Homosexualität wäre eine Krankheit und müsse therapiert werden. Stellen Sie sich die Situation einer LGBTQ-Person in einer abgelegenen Kleinstadt vor. Wie groß ist die Angst dieser Person, dass ihre Neigung herauskommt? Was für ein Gefühl hat sie, wenn sie solche Stellungnahmen von denjenigen hört, die sich für Expert*innen halten? Es gibt Internetseiten, die die Personalien von LGBTQ-Personen veröffentlichen und sie zu zur Vergewaltigung geeignete Personen erklären. Es gibt Kanäle im Messenger-Dienst Telegram, auf denen Namen und Rufnummern von LGBTQ-Personen veröffentlicht werden. Das sind einige Puzzleteile des Lebens der LGBTQ-Community im Iran.♦

Das Interview führte Mahindokht Mesbah

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