Iranische Schriftstellerinnen: In a Man’s World

Individuelle Zufluchtsorte

Die jungen Protagonistinnen der Romane Kellervogel (2002), Tarlan (2006) und Traum von Tibet (2007) von Fariba Vafi spüren ebenfalls in bestimmten Momenten in ihrem unglücklichen Leben den unwiderstehlichen Drang zur Veränderung und Abkehr. Sie gehören altersmäßig zu den „Kindern der Revolution“ und sind keine „Emanzen“ im klassischen Sinne. Dem Schein nach führen sie ein geordnetes Mittelschichtleben in Großstädten wie der iranischen Hauptstadt Teheran oder Täbriz in Norden des Landes und sind überwiegend integriert in Großfamilien-Verhältnisse, die ihnen vor allem Sicherheit und Geborgenheit bieten.

Ausgerechnet von diesen unsichtbaren, althergebrachten und restriktiven Strukturen wollen sie sich befreien. Der erste Schritt für alle: Selbstfindung über beispielsweise eine flüchtige Liebe, eine kurze Affäre oder gar ein One-Night-Stand-Erlebnis, einen Job als „Hüterin der polizeilichen Ordnung“ oder gar die Auswanderung nach Tibet im Traum Auswege und Zufluchtsorte, in denen Vafis weibliche und sympathische Figuren versuchen, ihr individuelles Wertesystem nach ihren Wünschen und Sehnsüchten aufzubauen und demzufolge zu leben. Sie sehnen sich in ihrem stillen Protest nach Freiheit und einem selbstbestimmtem Dasein. Am Ende ihres Erkenntnisprozesses stellen sie oft fest, dass der einzige Retter oder die einzige Komplizin, der oder die ihnen dabei helfen würde, sie selbst sind. Das ist schlicht grandios, wie Vafi die vielen Facetten häuslichen Glücks und Unglücks oder die schmale Gratwanderung zwischen Liebe und Hass schildert.

Zoya Pirzads Werke sind in viele Sprachen u. a. Deutsch übersetzt worden
Zoya Pirzads Werke sind in viele Sprachen u. a. Deutsch übersetzt worden

Akzeptanz der Gesellschaft

Ist der heutige iranische Kulturbetrieb, der von männlicher Dominanz geprägt ist, in der Lage, die Schöpferinnen dieser Figuren mit ihren bescheidenen Emanzipationswünschen zu akzeptieren?

Tatsache ist, dass die Nachfrage an von Frauen verfassten Büchern im Iran jedes Jahr weiter steigt; ihre Werke werden oft in mehreren Auflagen nachgedruckt. Allerdings sind auch jene Stimmen der literarischen Öffentlichkeit, die eine männlich orientierte Literatur vorziehen, in den vergangenen Jahren lauter geworden. Sie versuchen mit allen Mitteln, Veröffentlichungen von Frauen lächerlich zu machen, und bewerten sie auf Feuilleton-Seiten als „Geschwätz der Quasseltanten“, „Hirngespinste von Weibern, die sich in den Wechseljahren befinden“ oder „Groschenromane ohne jeglichen literarischen Wert“.

Basierend auf dieser Abschätzigkeit, die die Übermacht der männerorientierten Literatur zu festigen versucht, ist die Etikettierung „Apartment Story“ erfunden worden. O-Ton Hossain Payandeh, einflussreicher Literaturdozent und -kritiker im Iran: „Grundsätzlich sollte eine Romanautorin männliche Formate zum Schreiben verwenden, weil der Diskurs in der Gesellschaft männlich ist und außerdem die Väter des Romanschreibens in der Welt auch Männer waren.“

Die typische Missachtung weiblicher Realitäten durch hauptsächlich männliche selbsternannte Literaturkenner ist nicht neu. Um die 1970er Jahre erfand auch das deutsche Feuilleton das verächtliche Label „Betroffenheitsliteratur“ für die Werke deutscher Autorinnen und versuchte, die damit verbundenen Forderungen und Wünsche von Frauen nicht wahr- und nicht ernst zu nehmen. Erst später durch die feministische Literaturwissenschaft merkte die Öffentlichkeit, dass die ästhetische Legitimation der „Frauenliteratur“ schon in den sozialen Miseren der Zeit begründet lag: So brauchten Frauen in Westdeutschland damals etwa noch die Unterschrift ihres Ehemannes auf ihrem Arbeitsvertrag. Sonst durften sie nicht arbeiten.

Im heutigen Iran herrschen ähnliche Verhältnisse. Die geschlechtliche Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich und gesellschaftlich legitim. Es bestehen Benachteiligungen beim Ehe- und Scheidungs- sowie Sorge- und Zeugenrecht. Frauen brauchen überdies die notarielle Genehmigung ihres Ehemannes, wenn sie reisen wollen.

It’s a man’s world. Diese rückständige und ungerechte Welt ohne Beteiligung der ästhetischen und literarischen Perspektive von Schriftstellerinnen zu revolutionieren, ist fatal.♦

© Iran Journal

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