Iranische Schriftstellerinnen: In a Man’s World

Wandel im Lifestyle

Nach dem Ende des achtjährigen Krieges zwischen Iran und Irak (1980 1988) versuchte Ayatollah Ali Akbar Rafsandschani als iranischer Staatspräsident (1989 – 1997) ein liberales Wirtschaftsprogramm zu betreiben und machte als pragmatischer, gieriger und korrupter Unternehmer den Wiederaufbau des Landes zur Chefsache. Durch diese Politik änderten sich nicht nur die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Iraner*innen, sondern auch Architektur und Lifestyle, besonders in den Großstädten. Diese Entwicklung in der Literatur widerzuspiegeln, war eine Mammutaufgabe, der sich die neue Generation der iranischen Erzähler*innen stellte. Damit konnten sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: sowohl der strikten Zensur auszuweichen, die durch willkürliche Einwände die literarische Produktion unentwegt verzerrt und verstümmelt hatte, als auch den sozialen und ästhetischen Anforderungen der Zeit gerecht zu werden.

Frische Luft

Zoya Pirzad (Jahrgang 1952), Fariba Vafi (1963), Sepideh Shamloo (1968), Shiva Araastoui (1961) und Sara Salar (1966) gehören zu bekanntesten weiblichen Vertreterinnen dieser Generation, um nur einige Namen zu nennen. Stilistisch setzen sie sich sowohl von allzu sehr von männlichen Kollegen bestimmten artifiziellen Erzählweisen als auch von der gängigen politisierenden Literatur ab.

Shiva Araastoui gehört zu den Autorinnen, die in ihren Werken Tabuthemen wie individuelles Glück, Körperlichkeit, Verlangen und freie Liebe behandeln
Shiva Araastoui gehört zu den Autorinnen, die in ihren Werken Tabuthemen wie individuelles Glück, Körperlichkeit, Verlangen und freie Liebe behandeln

Inhaltlich setzen sie sich in ihren Erzählungen vor allem mit der weiblichen Identität und dem nicht angemessen gewürdigten Status von Frauen auseinander und kritisieren die patriarchalischen Strukturen in der Gesellschaft. Ihre Protagonistinnen schildern ihr von der Tradition und dem geistlichen Staat eingeengtes Umfeld und ihre Wünsche nach Unabhängigkeit und Emanzipation. Dabei behandeln die Autorinnen geschickt Tabuthemen wie individuelles Glück, Körperlichkeit, Verlangen, freie Liebe und eine Art sinnlicher Identifikation. Sie zeichnen einen Frauentyp, der in der von Männervorstellungen dominierten Bücherwelt bisher nicht vorkam, in der meist zwei Musterbilder weiblicher Existenz dominierten: eine Art Frau-Prostituierte, die sich nur um ihre sexuellen Wünsche schert und sie um jeden Preis zu befriedigen versucht, und eine heilige Frau-Mutter, die sich aufopfernd um Kinder, Küche und Moschee kümmert und vor allem bedingungslos ihrem Ehemann dient.

Turbulente Alltagsroutinen

Clarisse, die Protagonistin des Romans Die Lichter lösche ich (2001) von Zoya Pirzad, ist zwar stets um das Wohlbefinden ihrer drei Kinder und ihres politisch engagierten Ehemannes bemüht, nimmt aber diese Aufgaben nicht als unabwendbare Pflichten wahr und reflektiert ihre turbulenten Alltagsroutinen samt ihrer Begebenheiten offen. Diese 38-jährige Mutter armenischer Herkunft ist zwar keine emanzipierte Frau, auf dem Weg der Selbstfindung sucht sie aber nach ihrer eigenen Identität und nach Wegen, die ihr die Übereinstimmung mit sich selbst ermöglichen. Die Begegnung mit einem neuen Nachbarn ruft in ihr ein besonnenes Verliebtheitsgefühl hervor und bahnt sinnliche Momente von Glück und Genugtuung an. Plötzlich merkt sie, dass sie sich als Frau restlos vernachlässigt hat, um wie eine Maschine nur für die anderen zu funktionieren. Diese Erkenntnis öffnet ihr ein neues Panorama von Gefühlen und Gedanken in ihrem ichbezogenen Bewusstsein.
Fortsetzung auf Seite 3