Hafis: Mythos und Poesie

In der Tat. Meine ursprüngliche Absicht war, in einer umfassenden Abhandlung aufzuzeigen, welchen Einfluss die Poesie Hafis’, insbesondere die von ihm so geliebte Gedichtform des Ghasel, auf die deutsche Lyrik ausgeübt hat. Immerhin haben mehr als 100 deutschsprachige Dichterinnen und Dichter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert Ghasele à la Hafis geschrieben. Dabei hielt ich es für angebracht, die Leserinnen und Leser in einem etwas längeren Vorwort mit dem Leben und Wirken dieses Dichters aus Schiras vertraut zu machen und so die Beliebtheit seiner Poesie im deutschsprachigen Raum zu begründen. Aber dieses als Einführung gedachte Vorwort nahm immer mehr an Umfang zu. So beschloss ich, es als ein selbstständiges Buch herauszugeben. Ich arbeite zurzeit an einer Abhandlung über die deutschsprachigen Dichterinnen und Dichter, die Ghasele wie Hafis geschrieben haben. Darin werde ich viele dieser „deutschen“ Ghasele vorstellen.

Sie schreiben auch über die Zeit, in der Hafis seine kreative Phase hatte.

Eine finstere Zeit, beherrscht von der Tyrannei der Despoten und dem Obskurantismus einer fanatischen Geistlichkeit. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet in einer der dunkelsten Perioden der Geschichte des Irans ein Dichter von Hafis‘ Format gelebt und gewirkt hat. Deshalb habe ich versucht, seine Lebensphilosophie zu ergründen, die es ihm ermöglichte, seine Integrität und seine Menschlichkeit zu wahren.

Wie finden Sie die deutschen Fassungen von Hafis‘ Divan?

Ich habe bei der Wiedergabe der deutschen Übersetzungen seiner Gedichte hie und da darauf hingewiesen, dass einige von ihnen manches zu wünschen übrigelassen und kaum die wahren Gedanken Hafis’ reflektieren. Natürlich habe ich auch die möglichen Gründe dafür erwähnt: die sublime Sprache dieses rätselhaften Dichters, die Ambiguität seiner Poesie und natürlich auch die Eigenheiten der persischen Sprache.

Buchcover - Foto: Das Gemälde "Hafis am Brunnen", von Anselm Feuerbach!
Buchcover – Foto: Das Gemälde „Hafis am Brunnen“, von
Anselm Feuerbach!

Hafis hat die Liebe gepriesen wie kaum ein anderer. Dennoch widmen Sie sich kaum seinem Liebesleben. Wieso?

Hafis liebte seine Frau, deren unendliche Güte er in einem seiner schönsten Ghasele gerühmt hat, und er litt über alle Maßen unter ihrem unerwarteten und frühzeitigen Tod. Die Liebe, die er in seinen Gedichten verherrlicht, ob weltlich oder himmlisch, besitzt eine andere Dimension als gemeinhin angenommen. Von dieser Liebe ist oft die Rede in meinem Buch. Ich muss gestehen, dass mir die Vorstellung zuwider ist, Hafis hätte wie ein Schürzenjäger ständig Frauen für erotische Beziehungen zu gewinnen gesucht.

Sie erwähnen in Ihrem Vorwort, dass Hafis sich dem Sufismus zugewandt hatte. Später gehen Sie auf die Aversionen ein, die Hafis hegte, nachdem er den Sufi-Orden verlassen hatte. Worauf sind die zurückzuführen?

Es ist fragwürdig, ob Hafis tatsächlich jemals einem Sufi-Orden angehörte. Das rührt daher, dass wir im Persischen zwischen Aref (Gnostiker) und Sufi (Mystiker, Wanderderwisch) oder anders ausgedrückt zwischen Erfan (Gnostik) und Sufismus (Mystik) unterscheiden. Hafis war Gnostiker. Das ganze Leben dieses Ausnahmedichters ist umwoben von Legenden. Oft ist es nicht einfach, Dichtung und Wahrheit auseinanderzuhalten. Fakt ist aber, dass er die größte Verehrung dem von ihm selbst erfundenen Charakter Rend entgegenbrachte, der sich uneingeschränkt der Liebe und der Wahrheit verpflichtet fühlt. Für heuchlerische Frömmler und weltliche Sufis, denen er materielle Habgier und Massenverdummung vorwarf, empfand er tiefe Verachtung.

Man merkt dem Buch an, dass Sie ein großer Hafis-Fan sind. Welches Gedicht berührt Sie am stärksten?

Für mich ist Hafis nichts anderes als ein Dichter, Poet pur! Ich bewundere die fröhliche Verwegenheit seines Geistes, liebe seine wunderschöne und unvergleichliche Sprache und ergötze mich an der Melodie seiner Poesie. Zu viele seiner Verse gehören zu meinen Lieblingsgedichten in der persischen Sprache, als dass ich das eine oder das andere nennen können.♦

© Iran Journal

Nasser Kanani: „Hafis. Der größte Lyriker persischer Zunge“, Königshausen & Neumann,  kartoniert, 282 Seiten, ISBN: 3826069501.

Zur Startseite

Diese Beiträge können Sie auch interessieren:

Annäherung über dritte Sprachen

Eine Seele in zwei Körpern