Hafis: Mythos und Poesie
Wie kaum ein zweiter hat der iranische Dichter Hafis in Europa durch die Jahrhunderte Lyriker*innen inspiriert und Orientalist*innen in seinen Bann geschlagen. In seinem Buch „Hafis. Der größte Lyriker persischer Zunge“ geht Nasser Kanani der Sinnlichkeit, Mystik und Eleganz des großen Dichters auf den Grund.
Der international renommierte Wissenschaftler Professor Dr.-Ing. habil. Nasser Kanani beschäftigt sich neben Festkörperphysik und Elektrochemie mit traditioneller persischer Musik und Literatur. 2016 hatte er für sein Buch „Hafez and his Divan“ im englischsprachigen Ausland, vor allem in Kanada, viel Zustimmung erhalten. Im Dezember vergangenen Jahres erschien sein jüngstes Werk „Hafis. Der größte Lyriker persischer Zunge“ auf Deutsch.
Yasmin Khalifa sprach für das Iran Journal mit Kanani über sein neues Buch:
Über den iranischen Dichter Hafis ist in den sieben Jahrhunderten seit seiner Geburt viel geschrieben worden. Was hat Sie inspiriert, ein Buch über den bekanntesten Dichter des Iran zu schreiben?
Nasser Kanani: Im westlichen Ausland ist, soweit ich weiß, bisher kein nennenswertes Buch über das Leben Hafis’ und seine Lebensphilosophie geschrieben worden. Vielmehr hat man sich in diesem Teil der Welt damit begnügt, seine Gedichte zu übersetzen und zu interpretieren. Gerade deshalb hat mich die Frage beschäftigt, warum sich so viele westliche Dichter und Denker, Literaten und Künstler für die Poesie Hafis’ interessiert haben. Mein Buch ist ein Versuch, Antworten auf diese Frage zu finden.
Was macht Hafis für Sie zum größten persischen Lyriker?
Die iranische Kultur und die persische Sprache haben im vergangenen Jahrtausend viele großartige Dichter hervorgebracht. Viele davon erlangten Weltruhm, denken Sie etwa an Ferdowsi, Khayyam, Rumi, Saadi und andere. Keiner von ihnen hat jedoch im persischen Sprachraum die Beliebtheit von Hafis erreicht. Die enorme Popularität dieses Dichters äußert sich auch darin, dass buchstäblich in jedem iranischen Haushalt mindestens ein Exemplar seines Divans existiert. Fast alle Iranerinnen und Iraner, unabhängig von ihrer Abkunft und ihrem Bildungsgrad, glauben fest daran, dass sie in seinem Divan eine Antwort oder einen Rat finden, wenn sie sich in einer schwierigen Situation befinden oder eine schwerwiegende Entscheidung treffen müssen. Dabei interpretieren sie die Weissagungen dieses Orakels durchaus in ihrem eigenen Sinn.
Hafis’ Gedichte inspirieren spätere Generationen von Künstler*innen bis heute.
Absolut. Generationen von persischen Dichterinnen und Dichtern haben davon geträumt (viele tun es heute noch), Ghasele à la Hafis zu kreieren; vergeblich! Auch Goethe sagte einmal: Und mag die ganze Welt versinken, Hafis, mit dir, mit dir allein will ich wetteifern! Auch iranische Musikerinnen und Musiker lassen sich von Hafis‘ Gedichten inspirieren. Seine Lyrik dient zudem seit eh und je als Inspirationsquelle für persische Kalligraphien. Rechtfertigt all dies nicht, Hafis den größten Lyriker persischer Zunge zu nennen?
Das Buch mit seinen vielen Zitaten und Fußnoten liest sich wie eine Rezeptionsgeschichte vorwiegend deutscher Literaten und Orientalisten des 17. bis 19. Jahrhunderts. An welches Publikum dachten Sie, als Sie das Werk verfassten?
Primär an Deutsche, die sich für die iranische Kultur und die persische Dichtkunst interessieren, und natürlich auch an jene Landsleute von mir, die der deutschen Sprache mächtig sind. Es war meine Absicht, ein fundiertes und gut dokumentiertes Sachbuch zu schreiben. An einer einfachen Erzählung über Hafis war ich nicht interessiert. Lassen Sie mich bitte bei dieser Gelegenheit meinem liebenswürdigen Freund Prof. Dr. med. Alireza Ranjabar, dem Präsidenten der Akademie Iranischer Ärzte und Zahnärzte in Deutschland (AIA), meinen Dank aussprechen, ohne dessen finanzielle Unterstützung die Veröffentlichung dieses Buches problematisch gewesen wäre.
Es gibt einige deutschsprachige Lyriker, die von Hafis stark beeinflusst sind.
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