Das Bildnis der Brutalität

In ihrem vor Kurzem erschienenen Buch „Unser Schwert ist die Liebe“ kreiert die Journalistin und Autorin Gilda Sahebi ein lebendiges Bild der aktuellen Aufstände im Iran. Fahimeh Farsaie hat für Iran Journal das Buch gelesen.

„Hey Welt, höre mich: Ich will eine Revolution. Ich will frei leben und bin bereit, dafür zu sterben“ (S. 17). Mit diesen Worten zitiert die deutsch-iranische Journalistin Gilda Sahebi in ihrem Buch „Unser Schwert ist die Liebe“ einen iranischen Protestierenden. Der 17-Jährige gehört zu den unzähligen Jugendlichen, die in die Islamische Republik Iran hineingeboren wurden. Die Mullahs haben versucht, sie ideologisch und politisch zu indoktrinieren, ihnen Gehorsamkeit und Angst beizubringen und sie daran zu hindern, von Freiheit zu träumen. Dass dem islamischen Regime das nicht gelungen ist, zeigen die Protestwellen, die durch den gewaltsamen Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam ausgelöst wurden und seit September 2022 anhalten.

Gilda Sahebis 256-seitiges Buch handelt von diesen vom iranischen Staat blutig bekämpften Aufständen, die sich durch alle Ethnien, Schichten und Geschlechter ziehen. Die Menschen eint der Kampf für „Frauen, Leben, Freiheit“. Sahebi nennt das „feministische Weltgeschichte“. Für sie liegt der Ursprung dieses revolutionären Prozesses weiter zurück: „Der hat nicht im September 2022 begonnen“, schreibt sie. „Die Bewegung jetzt setzt die Proteste gegen das Regime von 2017 und 2019 fort. Damals sind viele Hundert Menschen getötet worden, auch Minderjährige, spätestens da ist dieser Prozess in Gang gekommen. Ich weiß nicht, wie lange er dauert, aber er ist unaufhaltsam“.

Unsere Revolution“

Und Sahebi belegt ihre Auffassung mit zahlreichen Fakten – etwa damit, dass trotz der Warnungen, trotz der weiteren Gewaltausübung durch den Staat sowohl die Proteste als auch die Streiks im Iran weitergehen. Oder damit, dass bisher weder Hinrichtungen noch Repressionen die Menschen davon abhalten konnten, weiter zu protestieren – auch wenn die Intensität der Aufstände im Dezember und Januar abnahm und nicht mehr täglich Proteste stattfanden, sondern nur „an besonderen Tagen und Anlässen, wie beispielsweise am Jahrestag des Abschusses des ukrainischen Passagierflugzeugs PS752 am 8. Januar 2020“ (S. 45).

Sahebi nennt diese Protestwellen „unsere Revolution“: „Eine Revolution, die ihre Wurzeln in der feministischen Bewegung hat. Eine Bewegung, die in Verbindung mit dem internationalen Frauentag am 8. März 1979 eine neue Form angenommen hat, all die Jahre hinweg andauerte und in diesem Jahr einen landesweiten Aufstand ausgelöst hat“ (S. 165).

Gilda Sahebi: Was im Iran geschieht, ist feministische Weltgeschichte
Gilda Sahebi: Was im Iran geschieht, ist feministische Weltgeschichte

Revolution der Einheit

Sahebi scheut sich nicht, die Brutalität des islamischen Regimes klar zu beschreiben. Nach dessen Ansicht seien die Bürger*innen des islamischen Staats keine Menschen, „sondern eine potenzielle Gefahr, die beseitigt werden muss. Je jünger und mutmaßlich progressiver der Mensch, umso größer die Gefahr“ (S. 63). Ein Beweis? Laut Schätzungen des Iran Tribunal wurden zwischen 1981 und 1988 mehr als 20.000 politische Gefangene exekutiert. Nur von 5.000 Ermordeten sind die Namen offiziell bekannt, das Tribunal hat weitere 16.000 Namen recherchiert (S. 73).

Am Ende von Sahebis Buch steht eine Liste von 489 Todesopfern, die bei den jüngsten Protesten getötet wurden. Die Autorin versucht, den Menschen hinter diesen Zahlen ein Gesicht zu geben: „Diese Liste zeigt auch, dass es überdurchschnittlich viele Getötete aus Sistan Belutschistan und aus Kurdistan gibt“ (S. 239).

Es ist nicht verwunderlich, dass die meisten der Opfer aus diesen Regionen kommen. Denn die Proteste nahmen ihren Anfang in den Gebieten der Minderheiten; in Kurdistan und in Sistan Belutschistan. Die Menschen in diesen Landesteilen zeigen „besonders viel Mut und Widerstand – denn hier schlägt das Regime am härtesten zu“, schreibt Sahebi (S. 22). Das zeige eine der Besonderheiten der aktuellen Protestbewegung auf: Zum ersten Mal handeln die verschiedenen Ethnien des Landes als Einheit.

Persönliche Ebene

Chronologisch porträtiert Sahebi in 21 Kapiteln die Protestbewegungen im Iran seit Anfang der Revolution im Jahr 1979. Schon im Vorwort nimmt sie aber auch Bezug auf ihre eigene Geschichte. Dies setzt sich fort: In jedem Kapitel bezieht sich Sahebi auch auf ihre eigenen Erfahrungen und reflektiert ihre Betroffenheit. So schildert sie etwa im dritten Kapitel , „Die letzte Reise nach Teheran“, die sie im Alter von 14 Jahren angetreten hat, die Begegnung mit einem Milizionär, der sie wegen ein paar sichtbarer Haaren beschimpfte.

Indem sie so die persönliche Verbindung zum Fall von Jina Mahsa Amini erörtert, kreiert Gilda Sahebi ein lebendiges Bild der aktuellen Aufstände, das ebenso beeindruckend wie berührend zu lesen ist. Sahebi versammelt die Narrative der Aktivist:innen dieser neuen Protestbewegung zu einer ebenso lesenswerten wie eindringlichen und klaren Botschaft: Nicht die Regierung, sondern die Menschen sind es, die die Solidarität und Unterstützung der demokratischen Länder verdienen.♦

Fahimeh Farsaie

„Unser Schwert ist die Liebe“, S. Fischer Verlag, Gebunden, 256 Seiten

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