Bitterböse Beschreibungen

„Frauenliteratur“ – das war im Iran lange ein von Klischees und männlichen Blicken geprägtes Feld. Mit Autorinnen wie Fariba Vafi verändern neue dichte Beschreibungen diese Perspektive auf Frauen im Iran oder im Exil. Vafis auf Deutsch erschienener Erzählband „An den Regen“ mit seinen teil bitterbösen, teils grotesken Geschichten ist ein Beispiel dafür.

Von Fahimeh Farsaie

Mit der Etikettierung „Frauenliteratur“ kam nach dem Ende des achtjährigen Krieges zwischen Iran und Irak (1980 – 1988) eine literarische Welle im Iran auf, die sich sowohl von den bisher herrschenden allzu artifiziellen Erzählweisen als auch von der politisierenden Literatur absetzte. Großgeschrieben wurde nun die authentische Erfahrung von Frauen, die Abkehr von Emotionalität und die Hinwendung zu einer neu gefundenen Rationalität: All dies charakterisierte die Sehnsucht einer neuen Generation von Schriftstellerinnen nach eigenständigen Narrativen.

Bis dahin war das literarische Bild der iranischen Frau geprägt vom historischen Narrativ im Patriarchat, demzufolge die „weibliche Natur“ grundsätzlich dem Mann unterlegen ist. So schufen die männlichen Autoren in absoluter Abwesenheit ihrer Kolleginnen zwar zahlreiche weibliche Figuren, die in ihren Romanen aber stets eine Nebenrolle spielten und ausschließlich als ungebildete, fürsorgliche Mutter und hingebungsvolle Hausfrau im Dienst des oft brutalen Ehemanns fungierten. Das Gegenbild dieser Figur war die Prostituierte, die traditionelle und moralische Konventionen missachtete.

Verfehlte Intention

Auch die Vorreiter des modernen iranischen Romans zu Beginn des 21. Jahrhunderts änderten daran nichts. Mit der Begründung, „eine möglichst realitätstreue Darstellung der Verhältnisse in der Gesellschaft“ abzuliefern, gestanden sie ihren Frauenfiguren als einzige Eigenschaften die körperlichen und charakterlichen Zuschreibungen der „weiblichen Natur“ zu. Die wohlwollende Intention dieser Autoren, die vor allem in linksorientierten Kreisen Zustimmung fand, war es, auf literarische Weise zu gesellschaftlichen Veränderungen zugunsten der Benachteiligten beizutragen. Fatal jedoch: Die erwünschten politischen Effekte blieben völlig aus, die gesellschaftlichen Nebenwirkungen waren dafür umso größer. Durch die unreflektierte Reproduktion von Klischees wurde die hierarchische Geschlechterordnung noch tiefer im Bewusstsein der Menschen verankert.

Keine Reflexion

Fariba Vafi erzählt ihre Stories abwechselnd aus der Perspektive von Müttern und Töchtern und damit ihrer und der neuen Generation
Fariba Vafi erzählt ihre Stories abwechselnd aus der Perspektive von Müttern und Töchtern und damit ihrer und der neuen Generation

Dieser frauenverachtende Blick ist sowohl in den literarischen Werken zu konstatieren, die im Iran produziert werden, als auch in den zahlreichen Romanen, die von in der Diaspora oder im Exil lebenden iranischen Autor*innen bis dato verfasst worden sind. Thematisch setzen sich letztere meist mit der miserablen Situation der oft mittellosen Geflüchteten oder Ausgewanderten in europäischen Ländern oder den USA auseinander und kritisieren die gesellschaftlichen Verhältnisse aus der Perspektive eines gebildeten Mannes, der sein Land verlassen musste. Der Protagonist handelt von einem patriarchalisch geprägten Standpunkt aus und erhebt häufig den Anspruch, als ein „besserer Mensch“ von der Mehrheitsgesellschaft respektiert zu werden. Da das aber oft nicht der Fall ist, schlüpft er unmittelbar in die Opferrolle und beklagt sich über sein bitteres Schicksal, das er nicht verdient habe.

Lob der Männlichkeit

In so einem Kontext werden auch westliche Frauenfiguren neben ihren iranischen Schwestern oft entweder als Heilige oder als Sexarbeiterinnen charakterisiert. Die erste Gruppe opfert sich für Familie und Ehemann auf, die zweite versucht, die Männer mit List und Tücke auszutricksen und so ihren eigenen Willen durchzusetzen. Solche Romane, deren männliche Verfasser als eventuell politisch Verfolgte im Westen Zuflucht gefunden haben, werden besonders im Iran von Literaturkennern hoch gelobt und mit Preisen ausgezeichnet. In der Diaspora sieht es nicht anders aus, obwohl Kritiker*innen allerlei Möglichkeiten hätten, ihren Horizont zu erweitern, sich von Dogmen und Klischeebildern zu befreien und Bücher differenzierter zu besprechen.

An den Regen“

Doch zurück zur iranischen Frauenliteratur nach dem achtjährigen Krieg. Die schwarz-weißen Darstellungen von Frauen in Romanen hat zuerst Moniro Ravanipour mit ihrem Buch „Kenizo“ im Jahre 1988 radikal geändert. Danach folgten Werke von Zoya Pirzad mit „Die Lichter lösche ich“ (2001) und die Bücher von Fariba Vafi wie „Kellervogel“ (2002). Ins Deutsche wurden noch zwei weitere Romane von Vafi übersetzt: „Tarlan“ (2006) und „Traum von Tibet“ (2007).

Nun hat der Sujet-Verlag kürzlich ihre vierte Veröffentlichung publiziert: „An den Regen“ ist ein Band von elf Kurzgeschichten, die der Verlag aus drei Sammlungen von Erzählungen ausgewählt hat. Datiert sind sie nicht, weshalb unklar bleibt, wann sie im Original veröffentlicht wurden.

Doppeldeutige Beziehungen
Fortsetzung auf Seite 2