„Wir haben keine Schuld zu begleichen“

In ihrem Sachbuch „Der undankbare Flüchtling“ erzählt die iranischstämmige Autorin Dina Nayeri nicht nur ihre eigene Fluchtgeschichte. Sie stellt auch dar, warum es eine völlig irregeleitete Vorstellung ist, von Geflüchteten Dankbarkeit und Demütigung zu erwarten.

Von Gerrit Wustmann

Heute lebt die Schriftstellerin Dina Nayeri in Paris, hat eine Familie gegründet und mit den Romanen „Drei sind ein Dorf“ und „Ein Teelöffel Land und Meer“ zwei Bestseller geschrieben, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Sie hat in Princeton und Harvard studiert, hat in Amsterdam und in London gelebt und ist bei Medien in aller Welt gern gesehener Interviewgast. Eine Erfolgsgeschichte wie man sie in Europa und ganz besonders in den USA liebt.

Doch dass sie so weit kommen konnte hat nicht nur mit ihrem persönlichen Einsatz zu tun, sondern auch mit einer großen Portion Glück, die den allermeisten versagt bleibt. Denn Nayeri hatte keineswegs gute Startbedingungen. Geboren wurde sie in Iran im Jahr der Islamischen Revolution, 1979. Ihre Kindheit in Isfahan ist geprägt vom Iran-Irak-Krieg, von Bombenalarm und Angst.

Keine Alternative zur Flucht

Und obwohl sie in einer gut situierten Ärztefamilie aufwächst, wird die Situation von Jahr zu Jahr gefährlicher. Ihre Mutter ist zum Christentum konvertiert. Sie besucht Untergrund-Gottesdienste und verteilt Flugblätter, auch in ihrer Praxis. Immer wieder stehen die Revolutionswächter vor der Tür, immer ernster werden die Drohungen. Konvertiten werden von Khomeinis Regime verfolgt, und in den Gefängnissen regieren Folter und Willkür. In den späten Achtzigern gibt es keine Alternative mehr zur Flucht.

Buchcover
Buchcover

In ihrem Sachbuch „Der undankbare Flüchtling“ erzählt Dina Nayeri nicht nur ihre eigene Fluchtgeschichte, die auf vielen Ebenen bis heute ihr Leben bestimmt. Sondern sie besucht auch die Elendslager in Griechenland, spricht mit Geflüchteten in mehreren Ländern, mit Helfern, Anwälten, Menschenrechtlern in den Niederlanden, Großbritannien und den USA.

Dass Nayeri, ihre Mutter und ihr Bruder vergleichsweise unkompliziert das Land verlassen konnten und vergleichsweise schnell Asyl erhielten, war in erster Linie Zufällen zu verdanken – aber auch der damaligen Haltung Europas zum Grundrecht auf Asyl, das noch nicht in dem Maße unter Beschuss stand, wie es heute der Fall ist. Dass Konvertiten in Iran in Gefahr sind wurde kaum bezweifelt. Es reichte als Asylgrund aus.

Das hat sich inzwischen geändert: „Mittlerweile“, schreibt Dina Nayeri, „haben wir es unseren unfähigsten, zynischsten Bürokraten überlassen, über komplexe Wahrheiten zu entscheiden, wir haben ihnen nicht etwa aufgetragen, Leben zu retten oder die Müden und Verzweifelten aufzunehmen, sondern Lügner aufzuspüren.“ Es ginge nur noch darum, „unseren Lebensraum“ vor einer entmenschlichten „Welle“ Hilfesuchender „zu schützen und sich dabei über jegliche Moral hinwegzusetzen“.

EU-Asylsystem als Farce

Das Asylsystem, für das sich die EU so gerne rühmt – es ist für viele Betroffene eine Farce. Sei es für jene, die in der Hölle von Moria landen, sei es für jene, die Jahre des Wartens, zur Untätigkeit verdammt, verharren müssen, weil eben jene zynischen Bürokraten zwischen ihnen und der Chance auf ein Leben stehen. Nayeri zitiert Barthes: „Warten lassen; ständiges Vorrecht jeder Macht.“

Nayeri hat die Wartenden getroffen und mit ihnen gesprochen. Sie erinnert sich an das eigene Warten, als kleines Mädchen in einer Flüchtlingsunterkunft in Italien, die im Vergleich zu den heutigen Auffanglagern an den Außengrenzen der EU geradezu luxuriös anmutet, dabei aber kaum weniger zermürbend war. Zum einen, weil es keine Vergleichsmaßstäbe gab. Zum anderen weil es kaum einen größeren Horror gibt als dievöllige Unsicherheit die eigene Zukunft betreffend.

In einem Lager in Griechenland bittet sie ein freiwilliger Helfer, den Geflüchteten emotional nicht zu nah zu kommen, keine Freundschaft mit ihnen zu schließen. Denn das könnte ihnen Hoffnungen machen. Und Hoffnungen werden in diesen Lagern schneller zerschlagen als alles andere. Nayeri rechnet vor: Aktuell kommt pro Jahr in der EU ein Asylantrag auf zweitausend Einwohner.

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