Berlinale, im Twiggy-Look

Im Film „District Terminal“, der in der neuen Berlinale-Sektion „Encounters“ gezeigt wurde, ist Lyrik die inspirierende Sprache, um die miserable gesellschaftliche Situation im Iran zu schildern. Zumindest denken die Regisseure Berdia Yadegari und Ehsan Mir Hosseini so und porträtieren einen verzweifelten Dichter namens Peyman als ihre Hauptfigur. Er ist 42 und damit ebenso so alt wie die Islamische Republik.

Yadegari selbst wurde 1980 in Kermanshah, Mirhosseini 1985 in Ahvaz geboren. Sie sehen sich ebenfalls als „Kinder der Revolution“ und als Vertreter einer Generation, die noch ungeboren zum Sterben verurteilt wurde; eine Generation, die unter den schrecklichen Bedingungen des Iran-Irak-Krieges (1980-1988) und seinen verheerenden Folgen aufgewachsen ist und sich mit der mangelnden sozialen Sicherheit, der Angst vor Armut, mit den Drogen und der religiösen Tyrannei der Islamischen Republik auseinandersetzen musste.

Dichter und Revolution

Peyman ist ein drogenabhängiger Dichter, der im Haus seiner Mutter, einer pensionierten Lehrerin, lebt und sich wünscht, einen Gedichtband zu veröffentlichen – Gedichte, die die tiefe Verzweiflung und Hilflosigkeit eines isolierten Menschen schildern, der sich in einem Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten und religiöse Willkür befindet. Diese Balladen gefallen weder seinem einzigen Freund Ramin noch den Zensurbehörden. Was ist die Lösung? Für Peyman lautet sie: häufiger und mehr Drogen zu konsumieren. Die längste Zeit, die er es schafft, nüchtern zu bleiben, dauert nicht länger als 24 Stunden. Er muss aber clean werden, sonst kann er sich seiner Verlobten Pari in den USA nicht anschließen.

Szenenfoto: "District Terminal"
Szenenfoto: „District Terminal“

Flache Frauenfiguren

Noch zwei Figuren begleiten Peyman in seinem trostlosen Leben: Neben seinem Freund Ramin, einem Umweltaktivisten, auch seine Ex-Frau/Freundin, die bei ihren Treffen oft anwesend ist, aber kaum redet, sondern still bleibt und ihre Meinung, falls sie eine hat, nicht äußert. Fast alle Frauenfiguren in diesem Film werden stiefmütterlich behandelt und nur skizzenhaft charakterisiert. Sie sind geschaffen worden, um dem unglücklichen Dichter zu dienen, und tragen weder zur Entwicklung der Geschichte noch zu den spannungsarmen Wendungen etwas bei.

Oft sollen die stillen weiblichen Figuren im Film als Symbol für die Sprachlosigkeit der Frauen im Iran fungieren. Es ist aber erstaunlich, dass die neue Generation von Regisseuren in ihren realistisch anmutenden Werken angeblich die Lautlosigkeit der Frauen in der Islamischen Republik entdeckt haben und zu zeigen versuchen. Die Realität zeigt nämlich, dass in den vergangenen Dekaden oft gerade „das zweite Geschlecht“ auf der Straße oder in der virtuellen Welt am lautesten gegen die politische und gesellschaftliche Misere im Iran protestiert hat.

District Terminal“ ist ein Film, dessen induktive Botschaft nicht die Bilder, sondern Sprache und lange Dialogen tragen. Die Geschichte spielt sich eher in Innenräumen ab. Laut den Regisseuren wurden die Dreharbeiten in der Regel in privaten Häusern durchgeführt und der Film selbst wurde ohne rechtliche Genehmigung gedreht.

Diätkurs

Das 71. Berlinale Festival ist vorbei – jedenfalls seine erste Stufe in der virtuellen Welt. Die zweite Ausgabe findet im Sommer statt. Anscheinend ist das Leitungsduo auf Diätkurs: Das gesamte Programm umfasst in diesem Jahr anstelle von fast 400 Filmen, die in den vergangenen Jahren in verschiedenen Sektionen gezeigt wurden, nur 166 Filme. Ein Twiggy-Look für die Berlinale? Im Wettbewerb, in dem zuvor mindestens 18 bis 24 Filme um Gold- und Silberbären kämpften, stehen in der diesjährigen Ausgabe nur 15 Werke auf dem Programm. Der kostspielige Vorsitz der Jury wurde gestrichen, ebenso das Kriterium „Geschlecht“ bei der Vergabe der silbernen Bären für beste Schauspieler*innen.

Die zweite Sequenz des 71. Berlinale-Festivals findet live vom 9. bis zum 20. Juni in Berlin statt.

© Iran Journal 

Zur Startseite

Diese Beiträge können Sie auch interessieren:

Iranisch-deutsche Kinoproduktion auf dem Toronto Filmfestival

Es gibt kein Böses. Oder?