Ein Frauenschicksal – Annäherung an die Theologin und Feministin Sedigheh Vasmaghi

Das ist die Zeit eines kurzen, turbulenten Frühlings der Freiheit. Sie findet ihr Ende mit der Installierung des Populisten Ahmadinejad. Heute steht Ex-Präsident Khatami unter einem Hausarrest besonderer Art: Er darf sein Haus ohne Erlaubnis nicht verlassen, iranische Zeitungen und Webseiten dürfen keine Bilder von ihm veröffentlichen, nicht einmal sein Name wird in den offiziellen Medien erwähnt.

Als Ahmadinejads Wiederwahl ansteht, erlebt die Islamische Republik die bis dahin größte Krise ihrer Geschichte. Monatelang protestieren Hunderttausende gegen Wahlfälschung, es gibt zahlreiche Tote und Verletzte, an einem einzigen Tag sammeln sich mehr als drei Millionen schweigend Protestierende auf den Straßen. All das ist vergeblich. Die so genannte Grüne Bewegung wird brutal niedergeschlagen, Präsidentschaftskandidat Mussawi und seine Frau Zahra Rahnavard werden unter strengen Hausarrest gestellt – bis heute.

Exiljahre sind wahre Lehrjahre

Das Leben und Arbeiten unter Ahmadinejad. wird für Frau Vasmaghi zunehmend unerträglich, ja unmöglich. Ihr gelingt es schließlich, das Land zu verlassen. Zunächst erhält sie eine Gastprofessur an der Universität Göttingen, dann wechselt sie zur schwedischen Universität Uppsala, sechs Jahre lehrt sie dort.

Diese Exiljahre sind fruchtbare Zeiten. Vasmaghis Distanz zum schiitischen Rechtswesen nimmt im schwedischen Milieu andere Dimensionen an. Hier veröffentlicht sie ihre Standardstudie „Women Jurisprudence, Islam“ und die schwedische Übersetzung eines ihrer Gedichtbände. In diesen sechs Jahren ist Vasmaghi auch eine angesehene Referentin bei iranischen „Auslands-Feministinnen“. Die islamische Rechtsgelehrte spricht in verschiedenen europäischen Städten vor Iranerinnen, die alle Flüchtlinge vor dem politischen Islam sind. Und siehe da: Alle hören interessiert zu. Ihre sechs Exiljahre sind wahre Lehrjahre, für sie selbst und für ihr Publikum.

Doch der Exilboden kann sie nicht sesshaft machen. Sie will zurück, dorthin, wo sie gänzlich zuhause ist – geistig, politisch und sprachlich. „Ich beschäftige mich so viel mit diesem Stück Erde hier, auf dem ich stehe. Warum nur? Kann diese Erde denn nicht meine Heimat sein? Was ist der Unterschied? Das Gleichgewicht ist unterschiedlich. Es gibt keinen Vergleich mit meiner Heimat. Hier habe ich das Gefühl, ich schwebe in der Luft, schreibt sie in ihrem Buch „Gefängnis oder Exil“.

Was ist Gleichgewicht?

Sie macht sich endlich auf den Weg, ihr Gleichgewicht zu finden, obwohl sie im Iran in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft verurteilt worden ist. Auf dem Teheraner Flughafen angekommen, präsentiert man ihr das Urteil der islamischen Jurisprudenz, nach mehreren Stunden darf sie dennoch einstweilen gehen. Eine sofortige Festnahme bei der Ankunft scheint nicht opportun; die Taktiken der Geheimdienstler sind unergründlich, sie nehmen diverse Formen an. Wenige Tage später wird Sedigheh Vasmaghi dann aber doch verhaftet und ins berüchtigte Teheraner Evin-Gefängnis gebracht. Erst nach Wochen und gegen eine sehr hohe Kaution kommt sie zunächst frei.

Doch diese Freiheit ist eine geborgte, eine vorübergehende. Eine neue Anklage schließt sich an die anderen an, die Zahl der Gefängnisjahre, die sie vor sich hat, summiert sich einstweilen auf elf, etliche können noch dazu kommen.

Nie und nirgendwo Hijab

Vasmaghi leidet an einer Netzhautdystrophie, eine Erbkrankheit, die zu einem fortschreitenden Absterben der Netzhaut führt. Gefängnisstress bedeute für sie baldige völlige Blindheit, sagen die Augenärzte. Vor zehn Tagen war es soweit: Sie musste in eine Augenklinik außerhalb der Gefängnismauern eingeliefert werden. Ohne Kopftuch ging das nicht, mit Kopftuch wollte sie nicht. Seit dem Mord an Mahsa Amini im September 2022 bei der Sittenpolizei, und seit dem Zeitalter der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste trägt sie keinen Hijab mehr. Nicht einmal ihrem Rechtsanwalt will sie mit Kopftuch gegenübertreten.

Trotzdem schreibt sie fast regelmäßig aus ihrer Zelle offene Briefe über die Zustände inner- und außerhalb der Gefängnismauern. Ihr Adressat ist fast immer Ali Khamenei. Denn Frau Vasmaghi hält den Mann an der Machtspitze für den allein Verantwortlichen. Zu Recht.♦

Da nicht jede/r finanziell in der Lage ist, über einen längeren Zeitraum das Iran Journal zu fördern, freuen wir uns über neue Fördermitglieder der Redaktion. Wie Sie uns fördern können, erfahren Sie hier: Förderseite.

© Ira Journal 

Zur Startseite