Eine heikle Liebesgeschichte

Ihre Berichte über Demonstrationen und Protestkundgebungen entstanden unter besonders problematischen Bedingungen. Während der „grünen Bewegung“ 2009 war Amiri eine der wenigen akkreditierten Journalist*innen, die im Lande lebten und über die Massenproteste gegen den Wahlbetrug berichten konnten. Viele internationale Sender bezogen sich auf ihre Berichterstattung. Damals galt für Iraner*innen ein allgemeines Verbot von Interviews mit ausländischen Medien. „Während dieser Zeit war es extrem schwer, überhaupt zu berichten“, sagt Amiri. “Heute hat sich die Situation etwas verbessert. Trotzdem kommt es immer noch oft vor, dass wir Politikexperten anrufen, die uns dann sagen, dass sie leider nicht sprechen dürfen.“

Machterhalt um jeden Preis“

Amiri beschäftigt sich in ihrem Buch nicht nur mit historisch relevanten Themen, sondern auch mit aktuellen Problemen wie der Coronapandemie und dem Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine. Dabei entlarvt sie die Verlogenheit der islamischen Machthaber und ihre Desinformationspolitik. In Kapitel 24 zitiert sie einen BBC-Bericht vom Ende Juli 2020, dem zufolge bis dahin mindestens 42.000 Menschen im Iran an den Folgen von Covid 19 gestorben seien. Nach offiziellen iranischen Angaben beläuft sich die Zahl der Verstorbenen nicht einmal auf ein Drittel davon.

Der tragische Tod von 176 Menschen beim Abschuss der ukrainischen Boeing 737-800 am 8. Januar 2020, die kurz nach ihrem Start in Teheran von zwei iranischen Flugabwehrraketen getroffen wurde, erwähnt Amiri im Kapitel „Machterhalt um jeden Preis“. Nach ihrer Einschätzung würden die Menschen im Iran ihre Wut und ihren Abscheu darüber bei den nächsten Wahlen zeigen: „Inoffizielle Umfragen ergaben, dass 75 Prozent der knapp 85 Millionen Stimmberechtigten dieses Mal nicht zur Wahl gehen wollten.“

Berichten aus der Höhle des Löwen!
Berichten aus der Höhle des Löwen – Natalie Amiri bei  einer Demonstration in Teheran – Foto: Natalie Amiri

Angst bei der Arbeit

Genau solche Themen und transparenten Kommentare sind in der Islamischen Republik unerwünscht. Es gibt unzählige Behörden, die versuchen, unabhängige Journalist*innen daran zu hindern, gewissenhaft ihre Arbeit zu erledigen. Amiri musste in ihrer sechsjährigen Dienstzeit mit den Behörden, den Geheimdiensten, den Milizen und der Revolutionsgarde ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel spielen: „Es ist ein permanenter Kampf, um ans Ziel zu kommen.“ Sie wurde immer wieder ermahnt, bedroht, man versuchte sie einzuschüchtern und sogar zur „Zusammenarbeit“ mit den Geheimdiensten zu zwingen. Darüber schreibt sie im Kapitel 19 mit dem Titel „Die Passkontrolle“ ausführlich.

Paranoia der Geheimdienstler

Amiri schildert auch den Balanceakt, den sie ausführen musste. Über die Berichte anlässlich der „grünen Bewegung“ 2009 sagt sie etwa: „Da ging es uns Journalisten ganz schön an den Kragen.“

„Ich schüttelte jedes Mal innerlich den Kopf über die Vorwürfe, die mir von den Zensoren gemacht wurden. Sie waren gesteuert von der Paranoia, die der Staat im Laufe der Jahre entwickelt hatte. So musste ich mich zum Beispiel erklären, warum in meiner Arte-Dokumentation ‚Der verborgene Schatz‘ bei der Einblendung des Titels im Hintergrund Revolutionsführer Ayatollah Khamenei zu sehen war und eine Ampel davor rot blinkte.“ Amiri thematisierte während ihrer Zeit in Teheran die Einschüchterungsversuche der Mullahs nicht, weil sie „vor allem so lange wie möglich weiterarbeiten wollte“.

Die Paranoia, die die Geheimdienstler zur permanenten Überwachung und Repression gegen Amiri brachte, verwandelte sich Mitte des Jahres 2020 in politisches Kalkül: Man sollte die ARD-Korrespondentin als politische Geisel nehmen, damit die Mullahs ihre inakzeptablen Forderungen gegen den Westen durchsetzen könnten. Das Auswärtige Amt sprach im Mai 2020 Jahres eine Reisewarnung für Amiri aus.

Erfolg und Enttäuschung

Das Buch „Zwischen den Welten – von Macht und Ohnmacht im Iran“ spiegelt die Bemühungen einer mutigen Journalistin wider, die ausgehend von einem feministisch-humanen Standpunkt eine ebenso couragierte Generation in ihrem Kampf für ihre Freiheit und gegen die Diktatoren im Iran begleitet. Diese Generation sieht nach Amiris Standpunkt so aus: „Eine Generation, die keine andere Staatsform kennt als die Iranische Republik. Und für die Gesetze nur da sind, um sie zu umgehen. Für ein Leben, das irgendwie lebenswert ist“, so Amiri in einem Interview. „Doch dadurch befinden sich die Menschen permanent in einem Zustand der Illegalität, einem Zustand voller Angst. Die Einnahme von Psychopharmaka, Suizid, Alkohol- und Drogensucht haben exponentiell zugenommen.“

Für die Freiheit

Amiri sind ihre journalistischen Anstrengungen hervorragend gelungen. Die engagierten Zivilgesellschafter*innen im Iran müssen aber immer wieder größere und schmerzhafte Enttäuschungen erleben. Und doch vermittelt das Buch keine fatalistische Botschaft. Denn Amiri weiß: „Die iranische Zivilgesellschaft ist für jede Stimme so dankbar, die nach draußen dringt. Wie oft wurden wir angefleht, dass wir doch bitte sagen sollen, was gerade passiert, wie sehr sie in ihrer Freiheit eingeschränkt werden oder überhaupt gar keine haben.“

Fahimeh Farsaie

© Iran Journal

Natalie Amiri, „Zwischen den Welten – von Macht und Ohnmacht im Iran“, Aufbau Verlag, 254 Seiten

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