Eine kurze Geschichte der Zwangsverschleierung im Iran

Druck auf Staatspräsident Banisadr

Im Juli 1980 übte Khomeini dann Kritik an Staatspräsident Abolhassan Banisadr, weil der bislang nichts in Richtung islamische Kleidung in Ministerien unternommen hätte. Er gewährte ihm zehn Tage Frist, um die Behörden von den „Resten der Schah-Ära zu säubern“. Banisadr gehorchte, doch bis zum allgemeinen Schleierzwang dauerte es noch ein weiteres Jahr. Khomeini nahm den Fastenmonat Ramadan im Juli 1981 zum Anlass, weitere Schritte zu veranlassen. Ohne ein entsprechendes Gesetz wurde angeordnet, dass öffentliche Orte Frauen keinen Zutritt mehr gewähren sollten, die nicht vollständig islamisch gekleidet seien. In Restaurants, Arztpraxen, Lebensmittel- und Buchläden hingen nun Schilder mit dem Hinweis: „Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft dürfen wir keinen Gästen und Kundinnen Zutritt gewähren, die sich nicht angemessen islamisch kleiden.“

Knapp zweieinhalb Jahre nach der Revolution wurde im Sommer 1981 der Schleierzwang auch auf der Straße mit Hilfe von Revolutionswächtern, Sittenpolizei und nicht zuletzt dem mit Messer- und Säureattacken operierenden Mob durchgesetzt.

Immer wieder protestieren iranische Frauen öffentlich in unterschiedlichen Formen gegen die Zwangsverschleierung
Iranische Frauen protestieren in unterschiedlichen Formen gegen die Zwangsverschleierung

Kleine Schritte zur Durchsetzung

Als erste mussten Fernsehmoderatorinnen ihre Haare bedecken, Lehrerinnen folgten. Sie mussten auch einen schwarzen Umhang tragen, um ihren Schüler*innen Vorbild zu sein. Für Schülerinnen ab dem Alter von sieben Jahren wurde ein Kopftuch zur Pflicht, das von einem Gummiband am Hinterkopf festgehalten wird, damit es beim Spielen und Sport treiben nicht verrutschen oder herunterfallen kann.

Nach Khomeinis Durchsetzung des Kopftuchzwangs für Mitarbeiterinnen in Behörden legten manche Frauen, die sich das leisten konnten, aus Protest ihre Arbeit nieder. Doch die Mehrheit musste sich den neuen Bedingungen unterwerfen. Viele brachten das Kopftuch in ihrer Tasche mit und setzen es erst vor dem Betreten ihres Arbeitsplatzes auf. Nach Feierabend wurde es wieder in die Tasche gepackt.

Später kam weitere Kleidervorschriften für Behördenmitarbeiterinnen dazu: Sie mussten lange, dunkle und weit geschnittene Mäntel tragen, darunter lange weite Hosen. Make up und Nagellack wurden verboten, ebenso Parfum. Bei der geringsten Abweichung wurden sie gerügt. Die Frauen wurden nicht mehr nur an ihren Arbeitsplätzen kontrolliert, sondern ebenso auf der Straße von Sittenwächterinnen, denen auch das Tragen von Stöckelschuhen als Sünde galt: Deren Geräusche könnten Männer erregen.

Netzkampagnen gegen den Kopftuch-Zwang:

Historischer Kampf

Der Kopftuchzwang wurde von iranischen Frauenrechtlerinnen bereits seit 1848 in Frage gestellt. Die Dichterin Tahereh Qurratu’l-Ayn hielt öffentliche Reden über die Grundideen von Babi-Religion und nahm 1848 auf einer Konferenz ihren Gesichtsschleier ab. Das kostete sie später allerdings ihr Leben: Sie wurde 1852 im Alter von 35 Jahren hingerichtet. Ihr folgten weitere Frauenrechtlerinnen und -verbände, die sich ebenfalls gegen die Verschleierung aussprachen und Aufklärungsarbeit leisteten.

Schah Reza, iranischer Herrscher ab 1925, ließ zu, dass Sängerinnen unverschleiert auftraten. Auch seine weiblichen Verwandten erschienen unverschleiert oder mit europäischen Hüten in der Öffentlichkeit. 1935 ließ er das Tragen von Kopftüchern und Schleiern für alle Frauen ganz verbieten. Entdeckten Polizisten eine verhüllte Frau auf der Straße, waren sie verpflichtet, den Schleier mit den Spitzen ihrer Bajonette entfernen.

Die dritte Generation

Heute lebt die dritte nachrevolutionäre Generation von Frauen im Iran – aber diese Frauen sind im digitalen Zeitalter aufgewachsen. Ihre Wünsche und moralischen Werte sind ebenso global wie ihre Lösungen und Forderungen. Sie fordern keine Gleichstellung, sondern nehmen sich, was sie brauchen: verschaffen sich den Weg in die Fußballstadien etwa einfach mit kurz geschnittenem Haar und angeklebtem Bart.

Sie nutzen alle Schlupflöcher, die ihnen offenstehen. Partys werden gefeiert in Gärten außerhalb der Städte oder auf Kurzreisen ins türkische Antalya, Reisebusse zu den Sehenswürdigkeiten im Iran werden bei zugezogenen Vorhängen zu fahrenden Discos, in denen die Kopftücher abgelegt werden, Alkohol getrunken und getanzt wird. Sie treiben Kampfsport, leben unverheiratet in so genannten „weißen Ehen“, spielen Fußball, fahren Skateboard, tanzen auf Teherans Straßen und singen in der Öffentlichkeit, obwohl Frauen das verboten ist.

Nicht selten geraten sie dabei ins Netz der Ordnungskräfte und werden verhaftet. Doch ob es den alten Herren an der Macht gelingt, sie mit hohen Haftstrafen zu bezwingen, ist ungewiss. Gewiss ist aber, dass sie die Unterstützung vieler iranischer Männer und ihrer Familien genießen.♦

  Nasrin Bassiri

© Iran Journal

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