Quarantäne und Isolationshaft

Mahvash Sabet, Dichterin und Mitglied des Führungsgremiums der Religionsgemeinschaft der Baha’i im Iran, verbrachte fast zehn Jahre in iranischen Gefängnissen – zum Teil in Einzelhaft. In ihrem Essay, der zum ersten Mal von Iran Journal veröffentlicht wird, zieht sie Parallelen zwischen der Einzelhaft und der von Corona aufgezwungen Quarantäne.

Gewohnheit ist ein erworbenes Verhaltensmuster, das sich durch Wiederholung verfestigt. Viele in der Kindheit erworbene Verhaltensmuster halten auch Alter an. Wir gewöhnen uns früher oder später an sie.

Gewohnheiten machen einen beachtlichen Teil unseres Verhaltens aus. Es könnte jedoch fatale Konsequenzen haben, wenn sich der Mensch ausschließlich von seinen Gewohnheiten leiten und seine Anpassungsfähigkeit und sein Talent, sich neue Verhalten einzuprägen, verlieren würde.

Als ich in Einzelhaft auf meine Hinrichtung wartete, ging es mir nicht gut. Nichts konnte mich beruhigen. Einmal habe ich eine alte Zahnbürste, die neben dem Waschbecken auf dem Boden lag, genommen und meine Zähne ohne Zahnpaste lange geputzt. Erstaunlicherweise ging es mir danach besser“, erzählte mir eine Freundin im Gefängnis, deren Todesurteil später in eine Haftstrafe umgewandelt worden war.

Das Zähneputzen erinnerte sie anscheinend unbewusst an eine freie, ruhige Vergangenheit in ihrem Zuhause und löste so ein wohliges Gefühl in ihr aus.

Gewohnheitsänderungen in Einzelhaft

Wir haben uns so an ein schnelles und kompliziertes Leben gewöhnt, dass wir dessen gefährliche Seiten kaum noch wahrnehmen. Viele von uns haben sich zum Beispiel so sehr an Lärm und Menschenmassen gewöhnt, dass sie das Gefühl haben, an ruhigen und abgelegenen Orten in Depression zu verfallen.

So dachte ich auch einst. Das Leben an ruhigen Orten habe ich mir statisch und langweilig vorgestellt. Doch die Einzelhaft hat meine Wahrnehmung verändert.

Mahvash Sabet erhielt 2019 den "Words on Borders"-Preis der Stadt Fredrikstad in Norwegen!
Mahvash Sabet erhielt 2019 den „Words on Borders“-Preis der Stadt Fredrikstad in Norwegen!

Das Leben in der Einzelhaft war hart und zermürbend. Ich konnte jedoch erst dichten und mich mit meinen Gefühlen versöhnen, als ich lange in einer Einzelzelle saß und meine innere Unruhe und mein inneres Chaos überwinden konnte.

Ja, es hat lange gedauert, bis die Wirkungen einer überfüllten und rasanten Außenwelt aus meinen Gedanken verschwunden waren und ich zum ersten Mal wieder an meine Kindheit denken konnte. Ich konnte wieder an den Wüstenhimmel meiner Heimatstadt denken mit all seinen Sternen. An die Nächte, in denen meine Eltern, meine Geschwister und ich auf dem Dach meines Elternhauses auf kühlen Matratzen nebeneinander lagen und uns den mit Sternen gefüllten Himmel anschauten, der zum Greifen nah schien.

Nach Monaten entschleunigten sich meine unruhigen Gedanken und passten sich an das Tempo meines Lebens in Einzelhaft an. Ich war dort gezwungen, die wenigen Aufgaben in möglichst langer Zeit zu erledigen – anders als draußen, wo ich gezwungen war, möglichst viel in kürzester Zeit zu bewerkstelligen.

Der Anpassung an weitreichende und schnelle Änderungen gehen ein starker Wille, Ruhe und Ausdauer voraus. Bewusst sollen wir in Einzelhaft versuchen, kürzere Schritte zu nehmen, denn nach wenigen normal großen Schritten laufen wir mit dem Kopf gegen die Wand.

Wenn man Glück hat, hat man dreimal in der Woche für zwanzig Minuten Hofgang. Diese Minuten sollte man möglichst intensiv auskosten. Man sollte laufen und tief durchatmen, sich den Himmel anschauen, und die Augen, die durch den Mangel an natürlichem Licht und fernen Horizonten beschädigt worden sind, trainieren, indem man sich auf ferne Punkte konzentriert.

Wenn man in der Einzelhaft aus verschiedenen Gründen Verdauungsprobleme und chronische Magenschmerzen bekommt, gewöhnt man sich an täglich zwei bis drei Stunden Lockerungsübungen – nach der eigenen biologischen Uhr.

Sollte man unruhig werden, kann man beten oder meditieren – länger als sonst. Man betet fünfmal am Tag oder zehnmal, man betet im Liegen, im Sitzen, beim Laufen oder beim Duschen. Wenn das Gedächtnis durcheinander kommt, geht man alles, was man auswendig gelernt hat, mehrmals durch. Man freundet sich mit Kakerlaken, Ameisen und Ratten an, spricht mit ihnen und dichtet für sie.

Ein bequemes Bett, das nervt

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