Ist Iran auf dem sicheren Weg in einen Bürgerkrieg?

Diese Rede war auch eine Klarstellung nach Innen. Sie war an jene Einheiten der Sicherheitskräfte gerichtet, die in den Monaten der Unruhen ihren Zweifel an brutalen Methoden geäußert hatten. Am deutlichsten bekam Khamenei dieses Zögern und Zaudern am 3. Januar zu hören, dem Jahrestag der Ermordung von Qassem Soleimani. Soleimani, damals Kommandant der Quds-Brigaden, der Auslandseinheit der Revolutionsgarde, wurde auf Befehl des damaligen US-Präsidenten Donald Trump am Bagdader Flughafen getötet. Er gilt als ewiger, unersetzbarer Held der Islamischen Republik.

An diesem 3. Januar waren 60 hochrangige Kommandeure der Revolutionsgarden bei Khamenei. 44 Seiten lang ist das Protokoll dieser Sitzung, die auf dem Höhepunkt der Unruhen nach dem Tod der kurdischen Studentin Mahsa (Jina) Amini stattfand. Es ist ein aufregendes Dokument über den Zustand, die Stimmung und die innere Zerrissenheit der Revolutionsgarde. Die Garden galten bis dahin als Khameneis zuverlässigste und ergebenste Truppe. Richtig und glaubwürdig wurde dieses Protokoll, das ein Telegramkanal namens „Zeit der Freiheit“ veröffentlichte, niemals dementiert.

Aufschlussreiches Dokument und lauwarmes Dementi

Fast sechs Wochen lang war es im Umlauf. Erst nachdem Hunderte Webseiten, unzählige persische und arabische TV-Sendungen und eine große Schar von Experten sich über dieses einmalige Dokument geäußert hatten, erschien schließlich ein ironischer Beitrag eines Journalisten, der sich dem „Haus des Führers“ verbunden fühlt. Mehr nicht. Sonst herrschte Schweigen. Sollte dies das offizielle Dementi sein?

Sie sind auf Motorrädern unterwegs, brutal und immer einsatzbereit: Die Basij-Milizin der Islamischen Republik
Sie sind auf Motorrädern unterwegs, brutal und immer einsatzbereit: Die Basij-Milizin der Islamischen Republik

Wenn diese Sitzung so abgelaufen sein sollte, wie das Dokument es beschreibt – und es gibt bis zur Stunde kaum ein seriöses und verlässliches Argument dafür, nicht daran zu glauben -, dann stellen sich etliche Fragen, die niemand beantworten kann. Über Gegenwart und Zukunft des gesamten Systems ebenso wie über Vermutungen und Prognosen der Experten dazu, welche Rolle die Garden nach Khameneis Tod spielen werden. Über vieles müsste neu reflektiert werden.

Bürgerkrieg und Selbstzerstörung

Das Regime treibe das Land in einen Bürgerkrieg, schrieb an diesem Mittwoch Zahra Rahnaward, Ehefrau des einstigen Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussavi, aus ihrem Hausarrest. Seit 2009, seit der blutigen Niederschlagung der so genannten Grünen Bewegung, dürfen die ehemalige Professorin und ihr Ehemann ihr Haus nicht verlassen und nur sporadisch kurze Besuche ihrer Tochter empfangen.

Am selben Tag sagte Ex-Präsident Mohammad Chatami, das System befinde sich auf dem sicheren Weg der Selbstzerstörung. Das sagt jemand, der allen Turbulenzen der letzten sieben Monate zum Trotz stets und emsig bemüht war, die Gemüter zu beruhigen.

Wenn diese beiden Exponenten der Reformbewegung von Bürgerkrieg und Selbstzerstörung sprechen, dann zeigt das, dass auch sie mit ihrem Latein am Ende sind. Und sie meinen im Grunde jenen kommenden Zustand, dem Ali Khamenei mit dem Einsatz der Basiji, der Paramilitärs, begegnen will.♦

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