Härtere Strafen für „Ehrenmorde“?

Die Ermordung einer Dreizehnjährigen durch ihren Vater in der nordwestiranischen Provinz Gilan rüttelt die Islamische Republik wach. Nicht nur Frauenrechtlerinnen verlangen nun die Abschaffung der islamischen Strafgesetze, die Väter vor Strafe schonen, wenn sie ihre Töchter töten. 

Von Nasrin Bassiri

Reza Ashrafi, 42, nicht vorbestraft, schlug seiner schlafenden Tochter Romina am 21. Mai dieses Jahres mit einem Sichel den Kopf ab. Zunächst hatte er der Dreizehnjährigen nahe gelegt, sich selbst zu töten. Er legte ihr Rattengift vor und befahl ihr, es zu nehmen. Ashrafi beschuldigte Rominas Freund Bahman Khavari, seine Tochter entführt zu haben. Die Justiz nahm den 28-jährigen Khavari daraufhin fest, Romina übergab sie ihren Eltern. Khavari wurde kurz darauf freigelassen und sagte in Interviews, er habe bei Rominas Vater um ihre Hand angehalten, der habe jedoch nicht zugestimmt.

Verwandte berichteten in Interviews, Ashrafi habe seine Tochter geliebt, sei aber sehr streng gewesen und habe Romina, die im August 14 Jahre alt geworden wäre, stark eingeschränkt. Sie habe sich nicht so kleiden dürfen wie sie wollte, durfte nicht hinaus gehen, nicht einmal an Familienfeiern und Hochzeitsfesten habe sie teilnehmen dürfen. Auch ein Handy durfte sie nicht besitzen.

Seine Frau habe Ashrafi ebenfalls einzuschränken versucht: Sie arbeitete in einem Friseur- und Kosmetiksalon, ihr Mann verbot ihr das.

Vier Tage nach der Tat lud der Vater die Dorfbewohner*innen zu Rominas Trauerfeier ein. Auf der Einladung stand: „Wir sind der göttlichen Vorsehung ergeben“. Als Einladende waren die Namen von Rominas Vater, beiden Großvätern, ihren Onkeln und ihrem Bruder aufgeführt: Demonstration eines männlichen Komplotts, um die „Schande“ zu bereinigen.

Die Mutter forderte auf dem Friedhof Vergeltung und die Höchststrafe für den Täter. Die Bewohner*innen des Dorfes Sefidsangan forderten die Justiz auf, Reza Ashrafi zu bestrafen. Romina ist auf einem Bild auf dem Friedhof als geflügelter Engel zu sehen.

Ruf nach Änderung des Strafrechts

Das islamische Strafrecht regelt Mordfälle durch Vergeltung. Dem Oberhaupt der Familie des oder der Getöteten wird Blutgeld angeboten: Lehnt es das ab, wird der Mörder hingerichtet.

Parvaneh Salahshouri warnt davor, das familiäre Verbrechen gegen junge Frauen als „Ehrenmord“ zu bezeichnen!
Parvaneh Salahshouri warnt davor, das familiäre Verbrechen gegen junge Frauen als „Ehrenmord“ zu bezeichnen!

Parvaneh Salahshouri, bis vor kurzem Abgeordnete im iranischen Parlament und den Reformkräften nahestehend, bemängelt, dass es kein Gesetz gebe, „das eine solche Tat verhindern könnte, vor allem, wenn die Väter sie begehen. Der Vater ist als Oberhaupt der Familie nach Paragraf 220 des islamischen Strafrechts von der Vergeltung ausgenommen. Er verfügt über das Blut der Familienangehörigen und wird laut Gesetz nicht zur Vergeltung herangezogen. Er gilt nicht als Verbrecher, wenn er eines seiner Kinder tötet. Es gibt keine rechtliche Handhabe, ihn zu belangen. Kein privater Ankläger, kein Mitglied der Familie, darf ihn zur Rechenschaft ziehen. Einzig und allein der Staatsanwalt darf in solchen Fallen tätig werden und die Tat zur Anzeige bringen. Dieser wird höchstens eine Strafe von drei bis zehn Jahren fordern. In kleineren Städten wird sogar dieses Strafmaß in eine Geldstrafe umgewandelt und der Täter kommt sofort frei.“ In solchen Fällen stehe das Gesetz nicht, so wie es sein sollte, auf der Seite der Schutzbedürftigen, betont Salahshouri.

Paradoxie des Gesetzes

Die Politikerin Salahshouri sagt: „Die Staatsanwaltschaft und die Jugendwohlfahrt ordnen Romina als Kind ein, der Fall wird als Kinderrechtsverletzung betrachtet und geahndet. Eigentlich ein Paradox: Ein Kind unter 13 Jahren darf eine Ehe schließen, da wird es nicht als Kind betrachtet. Doch in anderen Zusammenhängen wird es als Kind eingestuft.“

Salahshouri warnt davor, dieses Verbrechen als „Ehrenmord“ zu bezeichnen. Das führe dazu, dass „Menschen, die solch eine Tat begehen, und diejenigen, die diese Bezeichnung hören, sie als etwas Positives betrachten und rechtfertigen könnten“.

Mohammad Saleh Nikbakht, prominenter Anwalt und Menschenrechtsaktivist, der zahlreiche Reformpolitiker vor Gericht vertreten hat, sagt auf Anfrage der Nachrichtenagentur Isna: „Um der Wiederholung solcher Taten vorzubeugen und veraltete Traditionen abzuschaffen, ist Aufklärung sehr wichtig. Öffentliche Medien wie Rundfunk und Fernsehen sollten die Bevölkerung dahingehend schulen, dass Mädchen und Frauen kein Besitz ihrer Väter und Brüder sind. Wenn sie vom rechten Weg abweichen, sollte die Strafe der Justiz überlassen werden.“

Nemat Ahmadi, ebenfalls Anwalt, hält die Justiz für mitschuldig an Rominas Tod: Wären geltende Justizverordnungen berücksichtigt worden, wäre das junge Mädchen noch am Leben, meint er. Laut §410 müssen bei Kinder und Jugendliche betreffenden Entscheidungen der Justiz Expert*innen als Berater*innen hinzugezogen werden: etwa Sozialarbeiter*innen, Kriminologen und Erzieher*innen mit psychologischen Kenntnissen.

Wächterrat und Justiz
Fortsetzung auf Seite 2