Härtere Strafen für „Ehrenmorde“?

Der konservative Wächterrat, nach dem religiösen Oberhaupt das höchste Staatsorgan im Iran, ließ durch seinen Sprecher Abbasali Kadkhodaie verlauten, der Mord an Romina sei „ein unverzeihliches Verbrechen“, das gegen das islamische Recht und die iranische Verfassung verstoße. „Wir sind empört!“, erklärte der Ratssprecher. Zugleich schwächte er jedoch die Bedeutung einer Änderung des geltenden Rechts ab: „Nur mit einer Gesetzesänderung ist es nicht getan“, zitiert ihn die Nachrichtenagentur Isna. Dennoch erklärt Kadkhodaie auf Nachfrage von Isna, der Wächterrat sei bereit, „zeitnah jegliches Gesetz zu unterstützen, das eine schärfere Strafe für die Väter vorsieht.“ Der Rat habe bereits seine Zustimmung für ein neues Kinder- und Jugendschutzgesetz erteilt.

Ebrahim Raissi, Chef der iranischen Justiz, sagte zu Rominas Fall: „Wir begegnen diesen Verbrechen mit Unterstützung von Experten an den Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen.“ Rominas Ermordung sei „auf den geistigen und moralischen Verfall der Gesellschaft zurückzuführen“, so der Justizchef.

Positionen der Ultra-Hardliner

Die Tageszeitung Kayhan, das Sprachrohr der Ultra-Hardliner, macht die Frauenbewegung und die Reformkräfte für solche Taten verantwortlich: Es sei „ein altes Spiel, dass die Reformkräfte im Einklang mit den Feinden des Islams auf der islamischen Republik herumhacken“. Kayhan schiebt die Regierung von Staatspräsident Hassan Rouhani ins Lager der Reformisten, wenn sie schreibt: „Gleichzeitig hat die Regierung die Gesetzesvorlage zum Schutz der Ehre und der Sicherheit von Frauen vor Gewalt, die bereits im vergangenen August von Justizexperten fertiggestellt wurde, keinen Zoll vorangebracht.“

Fatemeh Barahi (li.) und Reyhaneh Ameri, zwei der zahlreichen Opfer der sogenannten "Ehrenmorde"
Fatemeh Barahi (li.) und Reyhaneh Ameri, zwei der zahlreichen Opfer der sogenannten „Ehrenmorde“

Die Zeitung übt zudem heftige Kritik an der Stellvertreterin des Staatspräsidenten für Frauenangelegenheiten, Masumeh Ebtekar. Diese beschäftige sich nur mit den sozialen Netzwerken sowie „Phantasieproblemen“ wie dem Verbot für Frauen, Sportstadien zu betreten, oder dem neunmonatigen Mutterschutz – Themen, die „zum Teil nicht relevant und zum Teil schädlich“ seien. „Sie und die Feministinnen haben das Heiraten von Jugendlichen als ‚Kinderehe‘ tabuisiert. Nun versuchten sie, die Liebe zwischen Romina und einem 30-Jährigen als normal zu bezeichnen“, so Kayhan. „Sollte ein 14-jähriges Mädchen bestimmte natürliche Bedürfnisse haben, wo ist sie besser aufgehoben und  sicherer als in der Ehe?“

Romina und andere Jugendliche seien „Opfer derjenigen, die für einen westlichen Lebensstil schwärmen“. Einerseits würden ihre Bedürfnisse unterdrückt, auf der andere Seite lauerten in der virtuellen Welt „ein Flut zügelloser und normbrechender Erlebnisse“, so die konservative Zeitung.

Positionen islamischer Gelehrter

Die Meinungen der schiitischen Geistlichkeit gehen in puncto Gleichstellung der Frau weit auseinander. Nur diejenigen, die mit den Auffassungen der islamischen Regierung konform gehen, dürfen ihre Ansichten in zugelassenen Medien veröffentlichen. Die Webseite Khabar Online meint: “Solange in Debatten über Strafmaße die bekannten schiitischen Positionen eingefroren bleiben und nicht überdacht werden, werden wir wiederholt Zeugen solcher Verbrechen sein.“ Und weiter: „Dieser Beitrag wird mit der Intention verfasst, die exzellenten Experten, Rechtsgelehrten und Wegweiser darauf aufmerksam zu machen. Die Ansichten der Ehrwürdigen werden auf jeden Fall respektiert.“

Die Antwort kam prompt und unverblümt: „Laut der bekannten Überzeugung der hohen Gelehrten ist eine Bedingung für die Vergeltung, dass der Täter nicht Vater, Groß- oder Urgroßvater der Getöteten ist. Wenn ein Vater eines seiner Kinder ermordet, wird die Tat nicht vergolten. Die Gelehrten dieses Jahrhundert haben sich dieser Meinung angeschlossen. Das islamische Strafrecht, das im Jahr 2013 verabschiedet wurde, ist gemäß dieser Überzeugung verfasst worden.“

Weitere „Ehrenmorde

Die sogenannten Ehrenmorde sind im Iran keine Seltenheit. Sie finden häufig in eher kleineren Dörfern statt und erregen deshalb oft kaum Aufsehen. Nachrichten darüber erreichen die Medien meist erst spät und bruchstückhaft. Der Mord an Romina war der erste, der sich im nördlichen Iran am Kaspischen Meer ereignete, einer Gegend, die für eine liberalere Haltung gegenüber Frauen bekannt ist. Im Abstand von wenigen Wochen danach ereigneten sich allerdings zwei weitere ähnliche Morde in größeren Städten.

Am 15. Juni wurde die 22-jährige Reyhaneh Ameri in der Stadt Kerman von ihrem Vater mit einer Eisenstange getötet. Auch in ihrem Fall fordert die Familie Vergeltung und die Höchststrafe für den Familienvater. Ameri war eine selbstständige Frau, die in einem Laden arbeitete und selbst für ihren Lebensunterhalt sorgte. Sie wurde getötet, weil sie eines Abends ein wenig später nach Hause kam.

Die 18-jährige Fatemeh Barahi wurde am 14. Juni in der südiranischen Stadt Abadan von ihrem 23-jährigen Ehemann, der auch ihr Cousin war, getötet. Sie war einige Monate nach der Heirat in die Pilgerstadt Mashhad im Nordost-Iran geflüchtet. Barahi war von ihrem drogenabhängigen Vater wegen finanzieller Not mit dem wohlhabenden Sohn seines Bruders zwangsverheiratet worden. Die Familie ihres Mannes soll mit Drogen gehandelt haben.

In Mashhad war die noch Minderjährige Medienberichten zufolge in einer Zufluchtseinrichtung für Frauen mit Gewalterfahrung untergekommen. Ihr Mann fand sie dort nach einem Jahr, brachte sie nach Abadan zurück und schnitt ihr mit einem Messer den Kopf ab.

Es gibt in Teheran einige Zufluchtswohnungen und Einrichtungen, die der Gewalt gegen Frauen entgegentreten wollen. Sie werden meist von Privatpersonen und Frauenrechtlerinnen gegründet, die sich nicht politisch betätigen und sich der politischen Ordnung nicht auffällig widersetzen, und funktionieren mit Mühe und Not durch private Spenden.

Die religiös angehauchte Einrichtung Atena etwa existiert seit 14 Jahren. Vor drei Jahren hat Atena die ersten Rund-um-die-Uhr-Zufluchtswohnungen für Frauen mit Gewalterfahrung eingerichtet. Nach den letzten drei „Ehrenmorden“ trat eine Mitarbeiterin von Atena tief und traditionell verschleiert vor die Kamera und forderte Mädchen und Frauen, ganz gleich, wo im Iran sie sich gefährdet fühlten, auf, ihre Schutzeinrichtungen aufzusuchen, auch wenn sie eigentlich Teheraner Einrichtung seien. Atena würde die Frauen schützen und unterstützen.♦

© Iran Journal

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