Aufklärung in der islamischen Welt

Die islamische Aufklärung geriet in eine Krise. Auch diese schildert der Verfasser, wenngleich weniger ausführlich als die Leistungen der vorausgehenden Aufklärungszeit. Die Krise kommt mit dem Ersten Weltkrieg, der das Osmanische Reich zerschlägt und mit seinen Folgen, darunter die Aufteilung der Arabischen Welt unter die Kolonialstaaten (heute oft unter der Kurzformel „Sykes-Picot“ zusammengefasst). Auch die Entstehung des türkischen Nationalstaates und eines unter britischer und später amerikanischer Leitherrschaft stehenden nationalistischen Irans. Ein Widerspruch bricht auf zwischen den Werten der Freiheit, die der Westen proklamiert und seinen Taten, die auf Knechtung der Nachbarzivilisationen hinauslaufen.
Der Zwang, der nun mit der Aufklärung einhergeht, Aufklärung auf Befehl und zum Nutzen der Befehlenden, erlaubt es den konservativen Feinden der Aufklärung, die es immer gegeben hat, die Oberhand zu gewinnen und die Aufklärung, insoweit sie Befreiung war, zu diskreditieren.
Militärdiktaturen ergreifen die Macht

Ibrahim Sinasi
Ibrahim Sinasi (1825 – 1871)

Das „Liberale Zeitalter“ geht zu Ende. Technologie, der Waffen in erster Linie, aber auch der Fabriken, gilt weiter als notwendig. Ohne sie kommt man nicht mehr aus. Doch die westlichen Nachbarn haben sich so weit aufgedrängt, dass nun die Abwehr gegen sie überwiegt. Militärdiktatoren ergreifen die Macht nach dem Zurückweichen der Kolonialisten im Gefolge des Zweiten Weltkrieges. Schon der Umstand, dass sie es als nötig erachten, Scheinparlamente aufrecht zu erhalten, zeigt, dass die traditionelle Welt sich verändert hat.
Doch der immer schwerer wiegende Druck des Fremden gibt dem Ruf nach dem Eigenen Auftrieb. Den aufklärerischen Versuch, die eigene Gesellschaft nach rationalen Kriterien zweckmäßiger einzurichten, übermannt der nationalistische Entwurf. Er geht darauf aus, die Macht der eigenen Gesellschaft, nun in den importierten Begriff der Nation gefasst, soweit wie möglich voranzutreiben. Wozu eine militärische Führung als notwendig erachtet wird.
Abgelöst durch ideologisierten Islam
Wie die auf diese Militärführung gesetzten Hoffnungen zu schwinden beginnen, weil sie Kriege verliert statt sie zu gewinnen, erhebt sich der Ruf nach einer Rückkehr zu den eigenen „islamischen“ Wurzeln, zuerst artikuliert durch die Muslimbrüder (Gründungsjahr 1928), und dann durch den radikalen Flügel derselben unter dem Einfluss des unter Nasser 1966 hingerichteten Sayyid Qutb. Dies beschreibt de Bellaigue ausführlich genug, um die darunterliegenden Motive und Gründe herauszuarbeiten.
Die weiteren Folgen deutet er nur noch an: eine neu gebastelte Islam- Konstruktion, die nichts mehr mit dem bisher gelebten Selbstverständnis der Religion zu tun hat, aber viel mit dem Willen, das Fremde zurückzuweisen, greift um sich. Dies geschieht am abruptesten, wenn dieses Fremde mit Waffengewalt von außen hineingepresst wird, wie in Afghanistan und wie im Irak.
Doch auch in den Ländern, die keiner militärischen Invasion ausgesetzt sind, von Iran bis Marokko, gewinnt die neue Selbstsicht der Muslime an Boden, die den Islam als Rückhalt gegen das Eindringen der fremden Ideen und Mächte zu mobilisieren versucht. Während es zur gleichen Zeit überall selbstgewissere Mehrheiten gibt, die hoffen, den vor zweihundert Jahren begonnenen Weg in eine aufgeklärte Zukunft ohne völligen Bruch mit ihrer eigenen Tradition wiederzufinden und fortzusetzen.
*Christopher de Bellaigue: Rebel Land, Unravelling the Riddle of History in a Turkish Town. Penguin Books 2009 p. 204
** Christopher de Bellaigue: The Islamic Enlightenment: The Modern Struggle between Faith and Reason, The Bodley Head, London 2017
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