Mediale Versuche, die Jugend für sich zu begeistern
Der Krieg als „Meisternarrativ“
Die beiden Veteranen Reza Hosseini und Mohammad Ahmadi aus „Iran Reframed“ sind lebende Vertreter dieser Geschichte. Ihnen gelang der soziale Aufstieg durch die neugegründeten politischen und wohlfahrtsstaatlichen Institutionen. Narges Bajoghli verweist hiermit zurecht auf die immense Bedeutung des längsten konventionellen Kriegs des 20. Jahrhunderts. Der Krieg, nicht die Revolution, liefere das „Meisternarrativ“ der Islamischen Republik.
Der dritte Protagonist in Bajoghlis Studie ist der junge Mostafa, Mitglied einer Universitätsgruppe der Basij und aufstrebender Medienschaffender. Als Repräsentant der Nachkriegsgeneration dient er als Kontrastpunkt zu den beiden Veteranen Hosseini und Ahmadi. Obwohl Letzterer vielmals offen Kritik übt und im Jahr 2009 die „Grüne Bewegung“ unterstützte – wobei er bei den Protesten sogar von Schlägertrupps attackiert wurde – eint die drei Männer die Treue zum System der Islamischen Republik. Doch in der Frage, wie dieses System in die Zukunft gerettet werden kann, gehen die Meinungen stark auseinander.
„Wir haben die Jugend unseres Landes verloren“
Bei einer internen Diskussion im Jahr 2012 etwa stellt Reza Hosseini unverblümt fest: „Diese jungen Leute interessieren sich nicht für die Revolutionsgeschichten, die wir ihnen die letzten dreißig Jahre über erzählt haben – und das ist unsere eigene Schuld. […] Wir sind diejenigen, die sich den veränderten Realitäten in diesem Land stellen müssen.“ Sein Kollege Mohammad Ahmadi stimmt ihm zu: „Wir haben die Jugend unseres Landes verloren.“ Dabei schildert Bajoghli ihre teilnehmenden Beobachtungen stets so lebhaft, dass es auf den Leser wirkt, als würde er mit am Tisch sitzen.
Zur Lösung dieses Problems schlagen die Männer vor, „bessere Geschichten“ zu erzählen, auf die Jugend und ihre Bedürfnisse zuzugehen. Das Ergebnis sind unter anderem im Marvel-Stil produzierte Videos wie das 2016 veröffentlichte „Wir stehen bis zum letzten Tropfen Blut“, in dem eine Gruppe multiethnischer Iraner mit der Flagge in der Hand einen Angriff des US-Militärs auf das Land abwehrt.
Arrivierte gegen junge Aufsteiger
Letztlich sieht Narges Bajoghli die Auseinandersetzung um die richtige „Geschichte“ als Mischung von Generationen- und Klassenkonflikten. Die Kriegsveteranen an den Hebeln der Macht — Basij und Revolutionsgarden der ersten Stunde — predigen Flexibilität und wollen der iranischen Jugend stärker entgegenkommen. Den Grund hierfür sieht die Autorin in dem sozialen Aufstieg der Männer und ihrer Familien. Keiner von ihnen schicke die eigenen Kinder ebenfalls zu den Basij. Der populistische Hochglanz-Nationalismus solle somit nicht zuletzt Verteilungskonflikte übertünchen.
Für die jungen Eiferer wie Mostafa, der als erstes Mitglied seiner Familie der Organisation beitrat, ist sozialer Aufstieg jedoch eine Hoffnung, nicht Geschichte. Folglich verfolgt er eine harte Linie und sieht die älteren Männer als zu kompromissbereit.
Ihrem Anspruch, starre Schubladen aufzulösen und zu zeigen, wie fluide die Kategorie „pro-Regime“ ist, wird die Autorin damit gerecht. Kritiker werden einwenden, dass derlei Feinheiten für iranische Oppositionelle keinen großen Unterschied machen. Wer jedoch die gesamtgesellschaftlichen Dynamiken im Iran besser verstehen möchte, dem ist die Lektüre dieses Buches zu empfehlen.♦
*Der Autor ist Doktorand am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und forscht zu den deutsch-iranischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt auf die 1980er Jahre.
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