Rouhani und die religiösen Minderheiten
Damit provozierte er zwar die mächtigen Hardliner, doch mehr als Sprüche hatte er nicht zu bieten. Denn die Verfassung der Islamischen Republik gibt nicht mehr her. Der Staat ist laut Artikel 12 der Verfassung eine Republik der Schiiten. Wie und wo sich die Minderheiten in der Republik bewegen dürfen, bestimmt die Verfassung genau: Kein Richter-, Minister- oder gar Präsidentenamt steht ihnen offen. Gesetzlich sind die Angehörigen der Minderheiten im Iran Menschen zweiter Klasse. Doch jene Geistlichen, die vor fast vierzig Jahren ihre eigene Republik in Verfassungsparagraphen gossen, konnten nicht ignorieren, dass der Iran ein multireligiöses Land ist, in dem seit Jahrhunderten nicht nur Juden und Christen leben, sondern das auch Geburtsort zweier Weltreligionen ist: jene von Zarathustra und die der Baha’i. Außerdem sind zehn Prozent der iranischen Muslime keine Schiiten, sondern Sunniten, etwa die Kurden, Belutschen, Araber und Turkmenen, die hauptsächlich in den Grenzgebieten wohnen.
Synagogen und Kirchen …
Auch sicherheitspolitisch ist das eine heikle Angelegenheit. Nach Artikel 13 dürfen Christen, Juden und Zoroastrier in der islamischen Republik in genau festgelegten Rahmen ihren religiösen Pflichten nachgehen und bei Parlamentswahlen einen Abgeordneten aus den eigenen Reihen wählen. Die Sunniten dagegen sind von solchen Regelungen und Quoten ausgenommen: Denn sie seien ja keine Minderheit, sondern Muslime, die in einer Islamischen Republik lebten. Wozu bräuchten sie also eigene Quoten oder spezielle Regelungen? So einfach und merkwürdig ist die Verfassungslogik der Islamischen Republik.
… aber keine sunnitische Moschee
Dieses Verständnis trägt seltsame Früchte: In Teheran mit ihren etwa 14 Millionen Einwohnern gibt es zwar Dutzende Synagogen und Kirchen, aber keine einzige sunnitische Moschee. Die Sunniten der Hauptstadt haben für sich zwar mit privaten Spendengeldern in Appartements oder Lagerräumen einige Gebetshäuser eingerichtet, doch auch diese werden von den Sicherheitsorganen stark überwacht. Und im ganzen Land gibt es keinen sunnitischen Richter, keinen Gouverneur sunnitischen Glaubens. Im Parlament gibt es zwar einen einzigen Abgeordneten, der sich stolz als Sunnit bezeichnet, doch er kam nicht explizit als solcher ins Parlament, sondern auf jenem Weg, der in der islamischen Republik am besten gangbar ist: Nepotismus und Vernetzung. In den rein sunnitischen Gegenden gibt es zwar sunnitische Imame und Gotteshäuser, doch sie sind genau ausgesucht und streng kontrolliert.
Baha’i dürfen nicht existieren
Am schlimmsten aber traf es die Minderheit der Baha’i. Diese Glaubensgemeinschaft, die vor fast 170 Jahren im Iran entstand, hat sich inzwischen zwar zu einer Weltreligion entwickelt, doch sie ist für die Ayatollahs als Religion nicht existent. Sie sei eine vom Ausland, vor allem von Israel gesteuerte Sekte, ein Spionagenetz, so die offizielle Sprachregelung.
Die tödliche Feindschaft der schiitischen Geistlichkeit gegenüber den Baha’i ist die eines zornigen Vaters gegen einen rebellischen Sohn, der die ganze Familie – die des Klerus – zerstören wolle. Denn der Gründer der Baha’i- Bewegung, Sayyid Ali Muhammad, war selbst ein schiitischer Geistlicher, ein „verlorener Sohn“, der sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts in der südiranischen Stadt Schiraz „Bab“ nannte, zu Deutsch „Tor“. Diesen Titel, einen schiitisch-eschatologischen Begriff, wählte er bewusst, denn damit machte der junge Geistliche sich selbst zum „Tor zu Gott“. Und wenn das Tor offen, der „Bab“ tatsächlich da ist, dann hat das Warten ein Ende. Wenn der Messias, oder, wie die Schiiten sagen, der „Mehdi“, der seit 1.200 Jahren im Verborgenen lebt, auf Erden ist, braucht man keine Mullahs mehr. Damit sind die Ayatollahs, die sich als Statthalter des verborgenen „ Mehdi“ verstehen, entbehrlich.
Religiöses Freiwild
Akzeptiert man Baha’i als Religion, hat man als Ayatollah keine Existenzberechtigung mehr. Das ist die einfache Schlussfolgerung und der Grund für die unglaubliche Feindschaft der schiitischen Geistlichkeit zu den Baha`i. Heute leben etwa 300.000 Baha’i im Iran, sie sind die größte religiöse Minderheit, die – im Gegensatz zu den Christen, Juden und Zoroastriern – einfach nicht existieren dürfen. Damit sind die Baha’i religiöses Freiwild. Mehrere Hundert von ihnen sind seit Beginn der Revolution hingerichtet worden, ihre Führer sitzen seit fast zehn Jahren im Gefängnis, Ihre Kinder dürfen keine staatlichen Schulen oder Hochschulen besuchen, Baha’i-Geschäfte in der Provinz werden regelmäßig beschmiert oder zerstört. Ohne Bildung, Beruf und Einkommen sollen sie im Elend landen, so die offizielle Politik gegenüber den Baha’i. Und selbst vom gemäßigten Rouhani dürfen sie keine Besserung ihrer Lage erwarten.
Trotzdem Rouhani wählen?
Für die offiziell anerkannten Minderheiten, also Juden, Christen und Zoroastrier, ist Rouhani wählbarer als die anderen Kandidaten. Selbst in den sunnitischen Gebieten bekam er vor vier Jahren 70 Prozent der Stimmen. Ob sich das beim Urnengang am kommenden Freitag wiederholt, bleibt abzuwarten. Doch: Etwas Besseres haben die Minderheiten im Iran nicht zu wählen.
Persischsprachige Quellen:
fa.wikipedia.org/wiki , rouhanimeter.com , roozonline.com , dw.com/fa , roozonline.com/persian/news , kaleme.com fa.wikipedia.org/wiki/%D8 , bbc.com/persian
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