„Stimme und Antlitz“ – Funk und Fernsehen im Iran

Die meisten GroßstädterInnen im Iran schauen sich längst ausländische Satelliten-Fernsehprogramme an. Doch in Wahlzeiten können auch die streng kontrollierten staatlichen Hörfunk- und Fernsehsender entscheidend sein, vor allem auf dem Land. Wen wollen die Programmmacher als künftigen Präsidenten, und wer steckt hinter diesem Wollen? Eine analytische Suche.
„Seda und Sima“, صدا و سیما : Diese zwei Worte mit dem gleichen Anlaut bedeuten im Persischen „Stimme und Antlitz“. Spricht man sie in einem Atemzug, also zusammenhängend aus, klingt das bedeutungsvoll und poetisch zugleich.
Wer im Iran erstmals auf die geniale Idee kam, für Funk und Fernsehen diese Alliteration zu wählen, ist nicht überliefert. Doch die gleichermaßen originelle wie intelligente Namensgebung blieb unübertroffen, sie überlebte sogar die islamische Revolution. Seit dem Einzug von TV und Radio sind die zwei Worte „Stimme und Antlitz“ so selbstverständlich zu einem einzigen Wort verschmolzen, dass jeder Iraner weiß, was gemeint ist. Und jeder hat natürlich seine eigene Meinung zu der Institution, die dieses Wortpaar bezeichnet.
Lügenfabrik oder Universität?
„Stimme und Antlitz“ sind heute eine der mächtigsten Machtsäulen der Islamischen Republik Iran. Informationskanal oder Lügenfabrik, Propagandaapparat oder Bildungseinrichtung: Die Bandbreite der Meinungen über diese Institution ist ebenso weit wie gegensätzlich. Manche Iraner haben ihre heimischen Fernsehgeräte einfach ironisch in „Glasfaser“ umgetauft. Will heißen: eine Glasscheibe, auf der ständig Fasern zu sehen sind. Und mit den Fasern sind die Bärte der Mullahs gemeint, die dort als Prediger, Politiker oder Familienberater in Erscheinung treten.
„Weder Westen noch Osten“
Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini bezeichnete schon am ersten Tag seiner triumphalen Ankunft in Teheran vor fast vierzig Jahren Funk und Fernsehen als die „Universität des Volkes“. Khomeinis Hauptparole lautete: „Weder Westen noch Osten“ – und dieser Slogan sollte überall in der islamischen Republik zu sehen und zu lesen sein, vor allem dort, wo es um Kultur ging. Heute prangt diese Parole etwa über dem Eingang des iranischen Außenministeriums und über vielen Schulen und Hochschulen. Beim staatlichen iranischen Hörfunk und Fernsehen wurde sie gleich ins Logo der Institution integriert.

Sadegh Ghotbzadeh (li.) neben dem Republikgründer Ayatollah Khomeini
Sadegh Ghotbzadeh (li.) neben dem Republikgründer Ayatollah Khomeini

 
Erster Chef vor Erschießungskommando
Die Radio- und Fernsehmacher sollten „weder nach Westen noch nach Osten“ schauen: Sie müssten zweifelsfrei und ohne Wenn und Aber der Islamischen Republik dienen, schrieb Khomeini in der Ernennungsurkunde von Sadegh Ghotbzadeh, dem ersten nachrevolutionären Chef von „Stimme und Antlitz“.
Doch Ghotbzadeh konnte diese heilige Mission nicht zu Ende führen. Er endete bereits wenige Monate später wegen eines Putschversuchs vor einem Erschießungskommando. Ghotbzadehs Aufstieg und sein dramatisches Ende waren den anfänglichen Wirren der Revolution geschuldet. Und sie wurden zu einer Lektion. So etwas sollte sich nicht wiederholen.
Wichtig wie die Armee
Nie wieder sollte jemand in dieser Institution beschäftigt sein, der nicht vollkommen linientreu ist. Nach dieser „Panne“ ging man mit Funk und Fernsehen so streng und strikt um wie mit der Armee oder dem Geheimdienst. Man hatte begriffen, dass eine totale Machterhaltung ohne vollständige Kontrolle von Radio- und TV-Sendern undenkbar ist. So wie man peinlich darauf achtet, dass nur vollkommen vertrauenswürdige Sicherheitskräfte die Machtzentren und Straßen gegen Konterrevolutionäre absichern, so muss man sicher sein, dass nur verlässliche Radio-und Fernsehmacher die Machtideologie und den rechten Glaube verteidigen.
Gardist oder Geheimdienstler
Deshalb schrieb man zunächst in der Verfassung der Islamischen Republik fest, dass Funk und Fernsehen direkt dem mächtigsten Manne des Landes unterstehen. Er und nur er allein bestimmt das Spitzenpersonal und den Inhalt von „Stimme und Antlitz“. Niemand, nicht einmal das Parlament oder der Präsident dürfen sich in die internen Angelegenheiten dieser Institution einmischen. Kurzum, Radio und TV werden im Iran ähnlich akribisch verwaltet und überwacht wie die Armee, die Revolutionsgarden oder der Geheimdienst.
Und der Chef dieser Institution kommt entweder aus dem Geheimdienst oder aus den Reihen der Revolutionsgarden. Das ist ein ungeschriebenes, quasi selbstverständliches Gesetz, das stets eingehalten wird.
Beim letzten Wechsel an der Spitze erfuhr man allerdings etwas Sonderbares, weshalb man inzwischen nicht mehr genau weiß, wer da wen kontrolliert und welche Rolle dabei der Revolutionsführer spielt.
Wer wedelt mit wem?
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