Kampf um die Erinnerung

Die Schließung von Gohardasht ist weitaus nicht der erste und einzige Versuch des islamischen Regimes, die Erinnerungen an die Hinrichtungen von 1988 auszulöschen. Auch der Friedhof, auf dem Tausende von den damals Hingerichteten begraben sind, soll in Vergessenheit geraten, wenn es nach den schiitischen Machthabern geht. Eine unbekannte Zahl von Exekutierten jenes Sommers wurde auf dem Khavaran-Friedhof begraben. Historisch gesehen handelt es sich dabei um einen Friedhof für religiöse Minderheiten. Jedoch haben die Sicherheitskräfte die Leichen von hingerichteten politischen Gefangenen neben dem eigentlichen Friedhof begraben, in unmarkierten Massengräbern. Dies geschah ebenso heimlich wie die Hinrichtungen selbst, ohne Benachrichtigung der Familien. Erst später erfuhren die Hinterbliebenen davon. Jedes Jahr im September versammeln sie sich auf diesem Friedhof, um ihrer hingerichteten Liebsten zu gedenken. Diese Versammlungen gehen fast nie ohne Auseinandersetzungen mit der Polizei und ohne Verhaftungen aus.

2008 berichteten Familien, dass die Regierung Maßnahmen ergriffen habe, um den Friedhof zu zerstören. 2018 bestätigte Amnesty International diese Berichte.

Als das Regime in den frühen 80er Jahren die ersten politischen Hingerichteten dort begrub, lautete der Plan, dass niemand je davon erfahren sollte, erzählt Monireh Baradaran, die Autorin von „Erwachen aus dem Albtraum“. Doch dank des Engagements der Familien wurde der Ort im Laufe der Zeit bekannt: „Angehörige von Hingerichteten, die sich teilweise vor den Gefängnissen kennengelernt hatten, fanden wieder zusammen auf diesem Friedhof. Zuerst gingen sie einzeln nach Khavaran. Daraus entstanden nach und nach gemeinsame Besuche. Die Tragödie des Sommers 1988 brachte sie zusammen. Allmählich wurden sie von der Gesellschaft wahrgenommen.“

Video- und Fotoaufnahmen von Mitte der 2000er Jahren legen an den Tag, wie Hunderte auf den Friedhof marschieren und Erinnerungslieder für die Hingerichteten singen.

„Diese Erinnerungsorte wurden und werden nur dann zu Erinnerungsorten, wenn die politischen Akteuer*innen sich dafür einsetzen. Ansonsten sind es lediglich Orte. Ohne Widerstand von Hinterbliebenen wäre Khavaran nur eine Wüste gewesen im Teheraner Vorort. Gohardasht wäre ein Gefängnis gewesen wie alle anderen“, sagt Monireh Baradaran, die selbst nur durch Glück die Massenhinrichtungen überlebt hat. Das politische Engagement der Hinterbliebenen und Überlebenden habe die Erinnerungen an Gohardasht und Khavaran im kollektiven Gedächtnis von Iranern und Iranerinnen rekonstruiert, sagt sie.

Die Angehörigen der hingerichteten politischen Gefangenen im Sommer 1988 besuchen regelmäßig die Massengräber ihrer Kinder im Khavaran-Friedhof
Die Angehörigen der hingerichteten politischen Gefangenen im Sommer 1988 besuchen regelmäßig die Massengräber ihrer Kinder im Khavaran-Friedhof

Die Erinnerungskultur setzt sich durch

Noch vor einer Dekade hätte man behaupten können, dass es dem „Gottesstaat“ weitgehend gelungen sei, zu verhindern, dass das Massaker von 1988 in der öffentlichen Debatte thematisiert wird. Seit einigen Jahren jedoch beeinflusst die Suche nach Gerechtigkeit für das Massaker von 1988 den öffentlichen Diskurs stark. Die Frage, warum sie ermordet wurden, werde in letzter Zeit viel mehr gestellt, sagt Monireh Baradaran, deren Bruder 1981 hingerichtet wurde. „Auch in den jüngsten Protesten haben wir das deutlich sehen können. Der Mord an Jina Mahsa Amini hat nicht nur bei ihrer Familie, sondern auch in ihrer Heimatstadt, im ganzen Kurdistan und dann im gesamten Land Widerstand hervorgerufen.“ Auch das Regime habe erkannt, dass die Suche nach Gerechtigkeit und die Kultur des Gedenkens das Potenzial haben, zur Schaubühne des Widerstands zu werden. Daher plane es, diese Orte zu vernichten. „Nichtsdestotrotz haben wir noch einen langen Weg vor uns in Bezug auf die Kultur des Gedenkens“, sagt Baradaran, die eine Online-Plattform zur Erinnerung an die Hingerichteten der 1980er Jahre mitgestaltet. „Denn nur durch das Erinnern können wir verhindern, dass sich solche Ereignisse wiederholen.“♦

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