Tourismuskapazität der Islamischen Republik
Der Iran hofft, die jährlichen Einnahmen aus der Tourismusbranche innerhalb von zehn Jahren auf 20 Milliarden US-Dollar zu steigern. Dies bedeutete eine Steigerung der bisherigen Touristenzahlen von etwa 400 Prozent. Angesichts der Wachstumsraten der vergangenen Jahre erscheint das utopisch. Ist die Islamische Republik auf mehr westliche Touristen vorbereitet?
Massoud Soltanifar, Vize-Präsident des Iran und Direktor der staatlichen Organisation für Kulturerbe, Kunsthandwerk und Tourismus (ICHTO) weist vor Journalisten stolz darauf hin, dass allein im vergangenen Jahr trotz Sanktionen und andauernder Vorbehalte gegen den Iran in der westlichen Welt fünf Millionen TouristInnen das Land besucht hätten. Deshalb hält er das Ziel, diese Zahl in zehn Jahren zu vervierfachen, für realistisch. Soltanfinar geht davon aus, dass das Land durch jeden Touristen im Durchschnitt 1.000 US-Dollar einnehmen wird.
In diesem Jahr sollen knapp 4,5 Millionen Reisende den Iran besucht haben. Doch nicht alle Ausländer, die als Touristen erfasst werden, sind wirklich welche. Experten werfen den Behörden vor, die Hochrechnungen optimistisch zu gestalten, indem sie Asylsuchende und GastarbeiterInnen in die Statistik aufnehmen.
Riesen-Einschränkungen für Riesensprung
Die Tourismusindustrie im Iran steht vor großen Herausforderungen. Ein erfolgreicher Atomdeal wird dem Iran zwar ein positiveres Image verleihen und mehr ausländische BesucherInnen anziehen. Doch stehen einem Tourismus-Wachstum riesige Hindernisse im Weg. Abgesehen von fehlenden Bürgerrechten und eingeschränktem Internetzugang sind die strengen islamischen Bekleidungsregeln und die Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit Störfaktoren für die massenhafte Anziehung von TouristInnen. Solche Bestimmungen machen die Strände im Norden und den Dauersonnenschein im ganzen Land für westliche BesucherInnen unattraktiv. Zudem sind die iranischen Badestrände als unhygienisch bekannt, wie die zuständigen Behörden selbst zugeben.
Nicht ohne Grund geht die Zahl auch inländischer StrandurlauberInnen im Iran zurück. IranerInnen bilden die drittgrößte Touristengruppe nach Russen und Deutschen, die die Türkei und ihre Mittelmeerstrände bereisen. Auch in Sachen Unterhaltungsangebot kann der Iran mit Ländern wie der Türkei nicht Schritt halten. In der Islamischen Republik sind der Genuss von Alkohol, aber auch Feierlichkeiten, die mit Musik und Tanz einhergehen, streng verboten.
Luftverkehr und Landstraßen
Die geringe iranische Kapazität an Flugverkehrslinien stellt ein weiteres Hindernis dar, an einer Steigerung der Touristenzahlen zu verdienen. Den größten Teil des Personenflugverkehrs in den Iran übernehmen derzeit ausländische Airlines, vor allem türkische. Durch die mehr als 30 Jahre andauernden internationalen Sanktionen hat die zivile iranische Luftflotte stark gelitten. Das Land brauche jedes Jahr 80 bis 90 neue Maschinen, sagte Anfang August der Vizechef der zivilen Luftfahrtbehörde, Mohammed Chodakarami. Seinen Angaben zufolge benötige das Land dringend mindestens 300 Passagierfleugzeuge.
Nicht weniger abschreckend sind Irans Autobahnen und Landstraßen: Bei der Verkehrssicherheit steht der Iran auf der Weltrangliste von 190 Ländern auf dem vorletzten Platz. Im vergangenen Jahr starben auf Irans Straßen etwa 17.000 Personen. Es fehlen Raststätten und Tankstellen nach internationalem Standard sowie Zahlungsmöglichkeiten mit internationalen Kreditkarten beim Autoverleih und Tanken. Hinzu kommt der undurchschaubare Devisenkurs auf dem illegalen Markt.
Mangel an Unterkünften
„Alle Vier- und Fünfsternehotels in den großen Städte wie Teheran, Shiraz und Isfahan sind bis Ende des Jahres ausgebucht“, teilte vor kurzem Ebrahim Farajpur, der Vorsitzende des Verbandes der iranischen Reiseveranstalter, mit. Ihm zufolge reicht die Kapazität der Hotels schon jetzt nicht mehr aus. „Um die vierfache Zahl von Touristen zu beherbergen, fehlen landesweit mindestens 2.000 Hotels“, so auch Morteza Rahmani Mowahed, Vize-Direktor der ICHTO. Auch nach seiner Einschätzung reichen die bisher vorhandenen etwa 1.000 Hotels nicht für mehr Gäste. Die meisten dieser Hotels wurden zudem bereits vor der Gründung der islamischen Republik, also vor 1979, erbaut.
Vorerst kann sich der Iran aber auf eine spezielle Form des Tourismus konzentrieren: auf Gesundheits- und Wallfahrtstouren. Schiitische Pilger aus dem Irak, aus Afghanistan und Pakistan bilden etwa 25 Prozent der Besucher des Iran.
Reich an Jahrtausende alten Denkmälern besitzt der Iran eine mannigfaltige Architektur, wertvolle Kunst- und Kulturschätze und zudem eine vielfältige Natur. Aber längst nicht alle diese Schätze, die das stärkste Tourismuspotential des Landes ausmachen, sind erfasst und erforscht. Über viele gibt es kaum Literatur, kaum umfassende Landkarten und Reiseführer – nicht einmal in der Landessprache.
SEPEHR LORESTANI
Aus dem Persischen übersetzt und überarbeitet von Omid Shadiwar