Der erzwungene Burgfrieden
Die Straßen der iranischen Hauptstadt Teheran, wo über elf Millionen Menschen wohnen, waren am vergangenen Samstag praktisch leer – aus Sicherheitsgründen. Zur Vereidigungszeremonie des wiedergewählten iranischen Präsidenten Hassan Rouhani waren fünfhundert ausländische Gäste gekommen. Rouhanis Botschaft an diesem Tag: Ab heute gebe es im Iran nur eine Herrschaft. Rouhani vor seiner zweiten Amtszeit – eine Bestandsaufnahme.
Die Botschaft der Fotografie ist unmissverständlich: Alle, Anhänger und Gegner, wo sie auch sein mögen, im In- oder Ausland, sollten sich ein Bild machen können von dem Burgfrieden, der von nun an und in den nächsten vier Jahren im Iran herrschen werde. Vorbei sei der Zwist, alle stünden zusammen.
Das Foto, das am 23. Juli auf der ersten Seite aller iranischen Zeitungen zu sehen war, hatte das Präsidialamt veröffentlicht. Es war also amtlich und bedeutungsschwer. Die abgebildete Szene ähnelt jenen, wo Kriegsherren nach einer langen Schlacht endlich einen Waffenstillstand schließen. Ernst, nach militärischer Rangordnung und sehr distanziert sitzen fünf Generäle im Raum. Vier haben auf Sofas an beiden Seiten des Raumes Platz genommen, der ranghöchste General Mohammad Ali Djafari sitzt mit bedachtem Abstand auf einem eigenen Stuhl. Die fünf Männer bilden die höchste Führung der iranischen Revolutionsgarden, die sich an diesem Tag beim wiedergewählten Präsidenten Hassan Rouhani befindet.
Der Präsident selbst sitzt ebenfalls auf einem Stuhl, die Hände im Schoß. Ernst dreinblickend und augenfällig freudlos vermittelt er alles, aber keinesfalls etwas Präsidiales.
Wer ist Sieger, wer Besiegter?
Die Komposition des Bildes soll klar machen, wer Sieger und wer Besiegter ist. Die Platzierung der Kommandanten ist durchdacht. Auf dem Sofa rechts von Rouhani sitzen die Milizenführer Qassem Soleimani und Hossein Gharibparwar. Generalmajor Soleimani ist Kommandeur der Quds-Einheit, zuständig für Spezialeinsätze außerhalb des Iran, General Gharibparwar kommandiert die Basidschis, jene mehrere Hunderttausend Mitglieder zählenden paramilitärischen Einheiten, die im Inneren für Ruhe sorgen.
Ihnen gegenüber sitzen Kommandant Hadschizadeh, zuständig für das Raketenprogramm der Revolutionsgarden, sowie Kommandant Koussari, der den wichtigsten Stützpunkt der Garden in der Hauptstadt befehligt.
Vergangenes ist vergangen
Das Foto soll eine Zäsur, eine Art Zeitenwende symbolisieren. Die Botschaft lautet, das Vergangene sei vergangen, die wochenlange Schlacht vor und nach der Präsidentenwahl endgültig vorbei. Die Meldung zu dem Bild lautet in allen Zeitungen gleich: Die Revolutionsgarden hätten sich zur Unterstützung von Rouhanis Regierung bereit erklärt.
Die Präsidentenwahl und was danach kam, gehören der Vergangenheit an?
Seit dieser Wahl waren bis zum Tag der Aufnahme genau zwei Monate vergangen. In dieser Zeit stand Rouhani täglich unter Beschuss. Die Angriffe waren so hart und erbarmungslos, dass viele zweifelten, ob seine offizielle Amtseinführung je stattfinden würde. Zweimal wurde die Zeremonie ohne Angabe von Gründen verschoben. Wöchentlich geißelte in dieser Zeit Revolutionsführer Ali Khamenei alles, was Rouhani in seiner ersten Amtszeit getan oder sich für die nächsten vier Jahre vorgenommen hat.
Ohne den Präsidenten beim Namen zu nennen, brandmarkte Khamenei jegliche Annäherung an den Westen und vor allem die USA als Verrat am Islam und der Nation. Regelmäßig kritisierte er Rouhanis Wirtschafts-, Kultur- und Personalpolitik. Und Freitagsprediger, Radio und Fernsehen sowie radikale Massenmedien leisteten ihren Beitrag, jeder nach seiner Art. Alle gaben Rouhani zu verstehen, dass er nicht glauben solle, er könne so weitermachen oder zum Minister ernennen, wen er wolle.
Vorwürfe gegen Rouhanis Bruder
Zehn Tag vor der Aufnahme des bedeutungsschweren Fotos war Rouhanis Bruder Hossein vom Geheimdienst der Revolutionsgarden wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet worden. Zwei Tage später wurde er gegen eine Kaution in bis dahin unbekannter Höhe von 50 Milliarden Tuman (über eine Million Euro) freigelassen. In radikalen Medien tauchte der Präsidentenname nun im Zusammenhang mit der Affäre um den Bruder auf. Die Krise nahm für manche Beobachter beängstigende Dimensionen an.
Viele fragten sich, ob es je zu einer zweiten Amtszeit Rouhanis kommen werde. Und solche Zweifel schienen berechtigt zu sein. Denn man hatte nicht vergessen, dass der Revolutionsführer Rouhani nicht zu seinem Wahlsieg gratuliert hatte. Auch das war ein bislang beispielloser Vorgang.
Zugleich demonstrierten die Revolutionsgarden täglich ihre Unzufriedenheit mit der Präsidentenneuwahl. Die Spitzen der Garden reisten abwechselnd in die heilige Stadt Maschhad und besuchten dort Wahlverlierer Ebrahim Raisi. Anfänglich reagierte Rouhani mit bissigen Bemerkungen. Zur Verhaftung seines Bruders schwieg er dann, nur seine Mitarbeiter äußerten die Hoffnung, die Justiz möge in der Sache unabhängig sein.
Was wird aus den Hoffnungen?
Was kann, was will Rouhani in seiner zweiten Amtszeit tun, fragten sich reformorientierte Zeitungen. Seine Anhänger im Parlament nennen sich „Fraktion Hoffnung“. Doch was wird aus den Hoffnungen von Rouhanis WählerInnen – hauptsächlich junge IranerInnen und GroßstädterInnen? Kann und wird er alles ignorieren, was er während des Wahlkampfs versprochen hat? Kann er sein Kabinett überhaupt selbst zusammenstellen? Wird es darin endlich auch eine Ministerin geben? Wie energisch wird er für alltägliche Freiräume für Menschen eintreten?
Solche und ähnliche Fragen füllten in den Wochen nach der Wahl Zeitungsspalten und Webseiten. Doch der Präsident schwieg zu alledem. Mit 58 Prozent der Stimmen hatte Rouhani die Wahl zwar gewonnen. Doch plötzlich schien es, als ob weder diese Prozentzahl noch die Menschen, die sich dahinter verbergen, eine Bedeutung hätten.
Er werde eine fraktionsübergreifende Regierung bilden, sagte Rouhani nur. Ein eindeutiges Signal an seine ungeduldigen Wähler. Es bedeutete: Nicht alles, was sie sich wünschten, sei auch machbar.
Revolutionsführer und Rouhani bestimmen das Kabinett
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