Kritik an Revolutionsgarde erhitzt Web-Gemüter

Irans Präsident Hassan Rouhani hat der konservativen Revolutionsgarde Korruption vorgeworfen und damit die Gemüter der iranischen Web-UserInnen erregt. Auch ein Topthema im Netz: Die Kritik an der „weißen Ehe“.

Keine andere Organisation im Iran verfügt über so viel politische und wirtschaftliche Macht wie die Revolutionsgarde. Diese ist aufgrund ihrer Nähe zum konservativen Spektrum ein Gegenspieler von Präsident Hassan Rouhani. Schon während des Präsidentschaftswahlkampfs 2013 hatte der spätere Wahlsieger indirekt die enorme Macht der Paramilitärs kritisiert. Deshalb erwarteten politische BeobachterInnen, dass der moderate Geistliche nach seiner Wahl gegen den Einfluss der Revolutionsgarde vorgehen würde. Das geschah jedoch nicht im erhofften Maß, da er auf deren Wohlwollen angewiesen war, um politische Reformen voranzutreiben – vor allem in der Außenpolitik.
Doch nun hat Rouhani die Garde deutlicher als jemals zuvor angegriffen: Im Rahmen eines Seminars zur Korruptionsbekämpfung bezichtigte er vergangene Woche die Paramilitärs der Korruption. „Wenn Waffen, wirtschaftliche und politische Macht sowie Medien sich nur an einer Stelle konzentrieren, führt das unweigerlich zu Korruption“, so Rouhani.
Zweifel an Rouhanis Glaubwürdigkeit
Diese Aussage des Präsidenten ruft bei der iranischen Web-Gemeinde teils wütende Reaktionen hervor. Und in erster Linie richtet sich die Kritik gegen Rouhani selbst, dem viele IranerInnen unterstellen, nichts gegen die Macht der Revolutionsgarde zu unternehmen: „Rouhani hat eine große Klappe, aber nichts dahinter“, schreibt Majid auf Radio Zamaneh. Auch Sanam hat Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Präsidenten: „Seit Ewigkeiten fallen wir auf seine Lügen und falschen Versprechungen herein“, schreibt sie auf Al Arabiya Farsi.
Ein anderer User, Vahid, ergreift Partei für den Präsidenten „Ich bin ein strikter Gegner dieses Regimes und aller, die für es tätig sind. Aber ich muss schon sagen, dass Rouhani hier eindeutig recht hat.“ Sara antwortet: „Rouhani mag vielleicht recht haben, aber er ist ein Meister darin, Dinge zu sagen, die wir gerne hören. Handeln tut er jedoch nie.“ Auch Twitter-User Sahand weist auf die Diskrepanz zwischen Worten und Taten hin: „Herr Rouhani, Sie sagen, dass zu viel Geld und Macht zu Korruption führen, aber es waren Sie selbst, der das Budget der Revolutionsgarde erhöht hat. Nicht einmal Einstein könnte Ihre Logik nachvollziehen.“
Konservative Wut

Die Revolutionsgarde genießt das Wohlwollen des Staatsoberhauptes Ali Khamenei
Die Revolutionsgarde genießt das Wohlwollen des Staatsoberhauptes Ali Khamenei (li.)

Auf konservativen Webseiten wird Rouhani ebenfalls an den Pranger gestellt. Doch nicht wegen seiner vermeintlichen Tatenlosigkeit, sondern wegen seines Frontalangriffs gegen die Garde. Ein anonymer User des Nachrichtenportals Ghatreh schreibt: „Verflucht seien all jene, die der Garde nicht ihre Macht gönnen.“ Ein anderer konservativer Besucher der Webseite äußert sich ähnlich: „Ohne die Revolutionsgarde wäre längst der IS über den Iran hergefallen. Fakt ist, dass die Sicherheit unseres Landes in den Händen der Garde liegt. Möge Gott alle auslöschen, die unsere Sicherheit nicht interessiert.“
Auch auf der konservativen Webseite Ensaf News ist die Kritik an Rouhani groß: „Es ist falsch, ausgerechnet die Organisation, die für unser Land eine derartig große militärische und wirtschaftliche Bedeutung hat, öffentlich so zu attackieren“, schreibt Soleyman. Der User Ali wiederum fürchtet eine Hinwendung des politisch moderaten Rouhani zu den Reformkräften im Iran: „Mir ist nicht klar, was Rouhani mit seiner Aussage beabsichtigt. Falls er sich damit bei den Reformern beliebt machen möchte, wäre das sehr zu bedauern.“
„Rouhani ist machtlos“
Doch es gibt im Netz auch Stimmen, die Rouhani wohlgesonnen sind – auch im konservativen Lager: „Es ist doch offensichtlich, dass dem Präsidenten das Wohl des Regimes sehr am Herzen liegt. Nur weil die Feinde der Islamischen Republik jetzt Beifall klatschen, bedeutet das nicht, dass seine Kritik an der Revolutionsgarde falsch war“, schreibt ein anonymer Besucher der konservativen Webseite Teyban.
Die meiste Unterstützung für Rouhani gibt es aber natürlich aus dem nicht-konservativen Lager. So schreibt Anahita auf Manoto1: „Alle, die Rouhani jetzt angreifen, zeigen, dass sie ihn nicht als Präsidenten verdient haben. Sollen sie doch wieder einen wie Ahmadinedschad zurückholen, der sie von morgens bis abends bestiehlt.“ Auf Radio Farda versucht ein anonymer Besucher der Seite eine Begründung für Rouhanis vermeintliche Tatenlosigkeit zu finden. Er schreibt: „Der Kern des Problems ist doch, dass die Regierung keine Macht hat. In allen Ländern, die nach dem Rechtsstaatsprinzip gelenkt werden, wird Korruption, sobald sie aufgedeckt wird, von der Justiz verfolgt. Im Iran jedoch werden nicht die Korrupten zur Rechenschaft gezogen, sondern diejenigen, die die Korrupten ausfindig gemacht haben. Rouhani ist angesichts der Übermacht der Revolutionsgarde und der Justiz, die ja selbst korrupt ist, nicht imstande, seinen Worten Taten folgen zu lassen.“
„Ein Kind kann niemals ein Bastard sein“
Auch die Kritik des einflussreichen konservativen Geistlichen Mohammad Mohammadi an der so genannten „weißen Ehe“ – dem Zusammenleben von Männern und Frauen ohne Trauschein – sorgt für Trubel im Netz. Mohammadi hatte gegen „diese große Schande“ gewettert und prophezeit, es werde im Iran bald eine „Generation der Bastarde“ geben (TFI berichtete). Der Regierungsbeauftragte für Jugendfragen, Mahmoud Golzari, bestritt dagegen kürzlich offiziell, dass es solche „weißen Ehen“ im Iran überhaupt gibt.
"... So sparen sich die Paare die hohen Kosten, die eine Eheschließung mit sich bringt“
„… So sparen sich die Paare die hohen Kosten, die eine Eheschließung mit sich bringt“

Beide Aussagen sorgen innerhalb der iranischen Internet-Community für großes Unverständnis: „Mein Cousin wohnt mit seiner Partnerin zusammen, mit der er jedoch nicht verheiratet ist. Aber Golzari, der sich tatsächlich ‚Beauftrager für Jugendfragen‘ nennt, sieht nicht, wie die jungen IranerInnen in Wirklichkeit leben“, schreibt Alireza, ein Besucher des Nachrichtenportals Fararu. Ähnlich äußern sich auch andere BesucherInnen von Fararu. So schreibt Gholam: „Herr Golzari, ich bin bereit, Sie nächste Woche mit meinem Freundeskreis und damit mit der Realität bekannt zu machen. Sie werden fünf unverheiratete Paare kennenlernen und dann hoffentlich die Erkenntnis gewinnen, dass es solche Paare in allen Alters- und Bildungsklassen gibt.“ Ein anonymer User antwortet: „Spar dir die Mühe. Einem Menschen, der sich blind stellt, kannst du nicht die Augen öffnen.“ Ein anderer anonymer User schreibt: „Golzaris Aussage ist genauso realitätsfern wie die Aussage Ahmadinedschads, im Iran gebe es keine Homosexualität.“
Auch Mohammadis Satz sorgt unter Internet-User für Unmut: „Ein Bastard ist einer, der auf andere Menschen schießt. Ein Bastard ist einer, der Menschen am Galgen baumeln lässt. Ein Bastard ist einer, der anderen Menschen erlaubt, eine Frau zu töten, deren Verschleierung nicht gut genug sitzt. Ein Bastard kann aber niemals ein neugeborenes Kind sein“, schreibt ein Besucher des Nachrichtenportals Radio Farda mit dem Pseudonym Ye Nafar az Iran. Auch Farzad ist wütend. Auf der Facebook-Präsenz von Deutsche Welle Farsi schreibt er: „Mohammadi bezeichnet die Tatsache, dass Unverheiratete zusammenleben, als Schande. Ich sage: Eine Schande ist, dass wir uns im 21. Jahrhundert von anderen Menschen vorschreiben lassen müssen, wie wir unser Leben zu führen haben. Wenn es etwas zu bedauern gibt, dann, dass wir Leuten wie ihm erlauben, unsere Kinder Bastarde zu nennen.“ Eine andere Besucherin der Facebook-Seite mit Namen Mahsa schreibt: „Nicht der Westen ist Schuld daran, dass die Ehe für uns IranerInnen ein immer unbeliebteres Konzept wird. Verantwortlich sind die politischen Amtsträger, deren Politik dazu geführt hat, dass wir nun zu arm sind, um zu heiraten.“
Teure Ehe
Ähnlich sieht das Ali. Auf Radio Farda schreibt er: „Dass sich immer mehr Menschen dazu entscheiden, außerhalb der klassischen Ehe zusammenzuleben, ist ohne Zweifel das Resultat der wirtschaftlichen Ängste der Menschen.“ Auch Mostafa sieht Geldsorgen als primären Grund, nicht heiraten zu wollen: „Wenn Menschen wirtschaftlich in die Enge getrieben werden, finden sie einen Weg, um ihr Leben trotzdem weiterleben zu können. Ein Zusammenleben außerhalb der Ehe ist eine Möglichkeit, wirtschaftlichen Problemen zu entkommen“, so sein Diskussionsbeitrag auf Al Arabiya Farsi. „Wenn die Voraussetzungen für eine Eheschließung nicht gegeben sind, dann leben Paare einfach so zusammen. So sparen sie sich die hohen Kosten, die eine Eheschließung mit sich bringt“, sagt auch der Twitter-User HAMED
„Mullahs sorgen sich um ihr Geld“
Manche IranerInnen können sich jedoch nicht so recht mit einem Zusammenleben ohne Trauschein anfreunden. So schreibt der Twitterer Sina Janfeshan: „Ich kann diesen Hype nicht nachvollziehen. Macht doch Nägel mit Köpfen. So ist das Leben für alle einfacher.“ Der Twitter-User Davood Baghdadi hat religiöse Bedenken: „Ich glaube, dass den Leuten letztlich nichts anderes übrig bleibt, als rechtlich zu heiraten. Und das ist auch besser so. Denn so geht man religiösen Verstößen aus dem Weg.“
Dass es allen KritikerInnen des nicht ehelichen Zusammenlebens aber um religiöse Regeln geht, bezweifelt manch einer. So schreibt Ali auf Al Arabiya Farsi: „Wenn man heiratet, muss man vor der Trauung einen Mullah bezahlen, damit die Ehe religiös abgesegnet wird. Letztendlich geht es bei dieser Diskussion nur um Geld.“ Azad stimmt ihm zu: „Das einzige, was die Geistlichkeit interessiert, ist Geld. Sie haben Angst, dass sie davon weniger in ihren Taschen haben, wenn die Menschen sich nicht mehr offiziell trauen lassen wollen.“
  JASHAR ERFANIAN