Die Revolutionsgarde meldet sich zu Wort

Die Proteste nach der Erhöhung der Benzinpreise im Iran gehen weiter. Die Revolutionsgarde will dagegen entschieden vorgehen. Bilder und Videos zeigen brutale Ausschreitungen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften. Das Internet wurde nahezu komplett lahmgelegt. Medien berichten von bis zu zwölf Toten.

Von Iman Aslani

Am vierten Tag der Unruhen im Iran hat sich die Revolutionsgarde zu Wort gemeldet. „Wir werden die Unruhestifter bekämpfen und allen Maßnahmen, die die Sicherheit des Landes gefährden, mit aller Entschiedenheit entgegentreten“, ließ sie am Montag in einer Erklärung wissen. Politische Beobachter sehen darin eine Bestätigung der Ernsthaftigkeit der Proteste, die seit Freitag in mehr als 100 iranischen Städten stattfinden. Denn in den vergangenen Jahren hat die Garde auf Unruhen zurückhaltend reagiert.
Bis Samstag hatten sich die Proteste gegen die Rationierung und Preiserhöhung von Benzin gerichtet. Doch seit Sonntag werden vielerorts auch Parolen gegen Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei und Präsident Hassan Rouhani laut.
Experten glauben, für viele Demonstranten sei die Preiserhörung nur ein Vorwand: Sie seien mit den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen des islamischen Regimes insgesamt  unzufrieden.
Am Sonntag hatte Khamenei die Entscheidung des Obersten Wirtschaftskoordinationsrates verteidigt. Der Rat, dem unter anderem der Staatspräsident, der Parlamentspräsident und der Justizchef angehören, soll in Absprache mit den wichtigsten Instanzen des iranischen Regimes die Entscheidung über die Erhöhung der Benzinpreise getroffen haben.
Khamenei forderte die Bevölkerung auf, „wachsam und scharfsinnig“ vorzugehen und „sich auch diesmal von denjenigen, die zerstören, zu distanzieren“. „Konterrevolutionäre und Feinde des Irans“ motivierten die Menschen zu den Protesten. Nach dieser Stellungsnahme des Staatsoberhaupts zogen einige Parlamentarier ihre Kritik an der Preiserhöhung zurück. Sie hatten am Samstag die „voreilige“ und „zeitlich unangebrachte“ Entscheidung der Regierung scharf kritisiert und eine gesetzliche Initiative dagegen angekündigt.

Video: Proteste in Karaj, Hamedan und einigen anderen Städten (am 16. November):

 
Mindestens zwei Tote

Währenddessen dauern die Unruhen auch am vierten Tag nach der Preiserhöhung an. In den Provinzen Isfahan und Fars wurden am Montag ohne Angabe von Gründen die Schulen geschlossen. Auch viele Händler des Teheraner Bazars blieben aus Protest zu hause. „Um Geschäfte zu machen, braucht man Ruhe“, sagte der Generalsekretär der Handelsverbände und des Bazars, Ahmad Karimi Isfahani, am Sonntag.
Zeitgleich kursieren in den sozialen Netzwerken Listen mit Namen von mindestens zehn Personen, die bei den Protesten der letzten Tage in verschiedenen Städten ums Leben gekommen sein sollen. BBC-Persian berichtet von zwölf Toten. Offiziell wurden bislang zwei Tote bestätigt: einer in der Stadt Sirjan und einer in der Stadt Shahriyar in der Nähe von Teheran.
In Kermanshah im Westen des Landes soll ein Polizeibeamter ums Leben gekommen sein, berichtet die örtliche Polizei.
Videos in den sozialen Netzwerken zeigen Sicherheitskräfte, die direkt auf Demonstranten schießen. „Sie schießen mit scharfer Munition“, schreien die Demonstranten in den Videos. Es gibt Bilder von Menschen, die am Kopf getroffen wurden. Sie sollen bei den Unruhen der letzten Tage getötet worden sein.
Auch über mehrere Fälle von Sachbeschädigungen wurden berichtet. In Teheran, Islamshahr und Behbahan wurden Banken in Brand gesetzt. Eine Religionsschule in Isfahan und eine Basis der Basidsch-Milizen in Karaj soll ebenso abgebrannt worden sein.
Die der Revolutionsgarde nahestehende Nachrichtenagentur Fars berichtete am Sonntag von mehr als 100 geplünderten Banken und Geschäften. Die „Aggressionen“ der letzten Tage seien „massiv“ und „organisiert“ gewesen, so Fars.
Über die möglichen Opfer der Unruhen wird in den inländischen Medien kaum berichtet. Sie hätten Anweisungen erhalten haben, auch über die negativen Konsequenzen der Benzinverteuerungen auf das Leben der Bevölkerung nicht zu berichten, erklären Journalisten in den sozialen Netzwerken. Ein Journalist veröffentlichte eine Karikatur über die Benzinverteuerungen per Twitter und schrieb dazu, dass er diese am Samstag nicht in der Tageszeitung Arman veröffentlichen durfte.

Eine Bank in der Stadt Behbahan wurde in Brand gesetzt
Eine Bank in der Stadt Behbahan wurde in Brand gesetzt

 „Gesteuert aus dem Ausland“

Die Machthaber im Iran verbinden jegliche Unruhen mit oppositionellen Gruppen im Ausland. Auch diesmal wurden schnell solche Verbindungen hergestellt.
Der Generalstaatsanwalt des Landes, Mohammad Javad Montazeri, behauptete am Samstag, dass die Protestierenden „in Verbindung zum Ausland“ stünden. „Die Opportunisten im In- und Ausland haben einen weiteren strategischen Fehler begangen. Der Iran ist weder der Irak noch der Libanon. Die US-Botschaft im Iran ist seit Langem geschlossen. Wir Iraner werden es nicht zulassen, dass die Söldner-Medien unser Schicksal bestimmen“, twitterte Hesamodin Ashena, Berater von Präsident Rouhani, am Samstag.
Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Ali Schamchani, habe am Sonntagmorgen in einer Sitzung im Parlament „Beweise“ dafür vorgelegt, dass ausländische und „konterrevolutionäre“ Oppositionsgruppen bei den Unruhen der letzten zwei Tage eine aktive Rolle gespielt hätten, berichtete ein Parlamentarier am Sonntag.

Friedlich und anders

Überwiegend verlaufen die Proteste jedoch friedlich. Die Methoden unterscheiden sich von bisherigen Demonstrationen. Bilder und Videos in den sozialen Netzwerken zeigen Autos oder teils tanzende und singende Menschenmengen, die Straßen blockieren. Die Bilder erinnern an die Proteste der Gelbwesten in Frankreich und die jüngsten Aktionen im Irak und im Libanon.
Die Parolen richten sich nicht nur gegen wirtschaftliche Entscheidungen der Machthaber. Mancherorts wurden Bilder des geistlichen Oberhaupts des Iran, Ali Khamenei, angezündet. In der Stadt Shahriyar wurde ein Monument des Ringes von Republikgründer Ayatollah Ruhollah Khomeini in Brand gesetzt. Auch Parolen gegen die von der Islamischen Republik unterstützten palästinensischen und libanesischen Milizen waren zu hören.

Internet liegt lahm

Das Internet im Iran wird seit Samstagabend massiv gestört. Es sollen nur Verbindung zu inländischen Internetseiten und Anbietern möglich sein. Nutzer schreiben, dass Verbindungen zum Ausland nur spärlich und über Universitäten oder staatliche Institutionen möglich seien. Auch die internationale Nichtregierungsorganisation NetBlocks, die den freien Zugang zum Internet in Echtzeit beobachtet, berichtet, dass die Internetverbindung im Iran während der Unruhen der letzten Tage massiv gestört worden sei.
Der US-Botschafter in Berlin Richard Grenell schrieb sonntagfrüh in seinem Twitter-Account, dass sein Land technisch dazu in der Lage sei, den zensurfreien Internetzugang im Iran zu ermöglichen. Er forderte Europa und Amerika auf, dies gemeinsam zu bewerkstelligen.
Die Maßnahmen zur Unterdrückung der Proteste können allerdings erweitert werden. Spätestens nach der Positionierung von Staatsoberhaupt Khamenei bleiben keine Zweifel daran, dass die Islamische Republik die Verteuerung des Benzins um jeden Preis durchsetzen will.
Nach einer ähnlichen Rede von Khamenei im Jahr 2009 wurden die anfangs friedlichen Proteste gegen das Endergebnis der damaligen Präsidentschaftswahlen mit einer beispiellosen Brutalität niedergeschlagen. Im ersten Freitagsgebet nach den Wahlen hatte er jegliche Vorwürfe bezüglich einer möglichen Wahlmanipulation zurückgewiesen und sich hinter Präsident Ahmadinedschad gestellt. Auch damals warnte Khamenei vor einer „Verschwörung der Feinde“.♦

© Iran Journal

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