Iran, Gewinner der afghanischen Tragödie?

Vergangenheit ist vergangen

Es lebe die Zukunft, und die solle dem iranischen Regime in Afghanistan mehr Vorteile bringen, so der Tenor vieler iranischen Politiker und Regierungsberater. Die der Revolutionsgarde nahestehende Nachrichtenagentur Fars forderte am Montag die iranische Regierung auf, „die Chance“ in Afghanistan zu ergreifen und sich im wirtschaftlichen Chaos des „Bruderlandes“ Vorteile zu verschaffen.

Fars zitiert aus einem Brief, den Hossein Dor, Vorstandsvorsitzender der National Union of Petrochemical Downstream Industries, an Außenminister Zarif geschrieben hat. Darin weist er darauf hin, dass in den letzten Tagen Tausende afghanische Bürger*innen ihre Gelder aus den Banken abgezogen hätten und nach Investitionsmöglichkeiten suchten: „Milliarden von Dollars an afghanischem Kapital verlassen das Land und fließen nach Dubai, Indien und in die Türkei. Wenn wir diese Gelder in den Iran lenken und sie in den Export nach Afghanistan investieren könnten, würden wir sowohl Investitionen einbringen als auch Freundschaften stärken.“

Präsident Raissi hat angekündigt, seine Regierung werde mit den künftigen Machthabern im Nachbarland gute Beziehungen pflegen und sich für „die Stabilität in Afghanistan und das Wohlergehen des afghanischen Volkes“ einsetzen. Dafür werde er als Erstes alle politischen Gruppierungen im „Bruderland“ zwecks „nationaler Einigung“ nach Teheran einladen, so der Geistliche Raissi.

Die Taliban haben bereits ihr Interesse an engerer Zusammenarbeit mit Teheran bekundet. Bei seinem Besuch in Teheran im Januar hat Mullah Abdul-Ghani Baradar, Chef des Politbüros der Taliban, seine Bereitschaft dazu signalisiert. Die iranische Regierung macht sich über die Sicherung der gemeinsamen Grenzen sorgen. Baradar versprach Kooperation auch in diesem Bereich. 

Wenn auch nicht vordergründig, hat Teheran auch Interesse am Schutz der Schiiten in Afghanistan. Nach unterschiedlichen Statistiken sind bis zu 30 Prozent der Afghan*innen Schiiten. Die sunnitischen Taliban haben in der Vergangenheit vermehrt Anschläge gegen diese verübt und Teheran damit verärgert. 1998 standen beide Länder sogar kurz vor einem Krieg, als Taliban im iranischen Konsulat in Masar-e-Sharif acht iranische Diplomaten und einen iranischen Journalisten töteten.

„Gewandelte“ Taliban

Doch die heutigen Taliban vermitteln den Eindruck, als hätten sie einen Wandel vollzogen und würden anders handeln und regieren als in der Vergangenheit. Sie treten bei ihren Besuchen in den Nachbarländern oder auf Pressekonferenzen eher staatsmännisch denn als bedrohliche Terroristen auf. Im Juli traf sich Amir Khan Mottaqi, ein hochrangiges Mitglied des Führungsrats der Taliban, mit den schiitischen Stammesführern der Hazara – drittgrößte Ethnie in Afghanistan – und versprach, in dem von Taliban geführten „Islamischen Emirat Afghanistan“ werde es keine Repressalien gegen Schiiten geben.

Auch andere einflussreiche Mitglieder der Taliban wie etwa Soheyl Shahin haben Frieden und Sicherheit für alle Bürger*innen Afghanistans versprochen.

Ob sie sich nach der Machtübernahme an ihre Versprechen erinnern werden, wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen. Falls nicht, können sie sich auf das religiöse Gebot der „Taghieh“ berufen. Im islamischen Glauben ist es erlaubt zu lügen, wenn es einem höheren Ziel, insbesondere dem Islam und der islamischen Gemeinschaft dient. Von diesem Gebot hatte auch der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Chomeini Gebrauch gemacht. In seinem Pariser Exil versprach er: „Alle Menschen, Frauen wie Männer, werden in der islamischen Republik gleichberechtigt und frei sein.“

© Iran Journal

Zur Startseite

Diese Beiträge können Sie auch interessieren:

Der Iran und die Taliban

Irans Außenpolitik unter Raissi: neuer alter Kurs?