Untergang einer Nostalgie
Irans Schuhindustrie leidet unter der Konkurrenz durch ausländische Hersteller, der Marktüberflutung durch illegal eingeführte Billigprodukte und dem einfallslosen Design inländischer Marken. Kombiniert mit dem Missmanagement der staatlichen Führung hat dies mittlerweile ein Generationen altes Handwerk zum Erliegen gebracht.
In den ersten fünf Monaten des Jahres 2015 wurden Schuhe im Wert von 110 Millionen Dollar aus China in den Iran importiert. Diese nur scheinbar harmlose Nachricht kursiert seit einigen Tagen in den iranischen Medien. Bei genauer Betrachtung jedoch bringt sie das zerschlagene Gesicht einer ganzen Industrie ans Licht: eine Industrie, deren Spuren bis in die fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zurückverfolgt werden können. Denn der Wert der gesamten jährlichen Einfuhr von Schuhen dürfte weit über 100 Millionen Euro liegen. Es wird nicht nur aus China importiert, sondern auch massiv geschmuggelt: von Billigprodukten bis zu Weltmarken.
Darunter leidet die inländische Schuhproduktion bereits seit Jahren. Iranische Schuhe werden hauptsächlich in kleineren Betrieben gefertigt, die Arbeit ist kaum automatisiert. Die Schuhe sind deshalb verhältnismäßig teuer. Und viele der zum Teil qualitativ hochwertigen Produkte treffen den Geschmack der jungen IranerInnen nicht. Zudem setzt die zum Teil veraltete Technologie und das Fehlen von anhaltender Zusammenarbeit mit großen internationalen Herstellern die Qualität vieler Produkte herab. Die iranische Produktion ist überwiegend regionalen und internationalen Ansprüchen nicht mehr gewachsen.
Der erlegte Elefant
Das war nicht immer so. Der Hersteller der Marke „Kafsche Melli“ („Der nationale Schuh“) war bis in die späten siebziger Jahre hinein einer der erfolgreichsten industriellen Betriebe des Landes. Der kleine Betrieb, anfangs bestehend aus einer aus der damaligen Tschechoslowakei importierten Maschine, zwei ausländischen Experten und ein paar einheimischen Arbeitern, nahm unter der Führung eines klugen Geschäftsmanns seine Arbeit in den fünfziger Jahren auf und entwickelte sich innerhalb von zwei Jahrzehnten zu einer Legende. „Kafsche Melli“ als erster Hersteller von Lederschuhen im Iran stieg kometenartig auf. Kurz vor der islamischen Revolution 1979 beschäftigte der Betrieb fast 10.000 MitarbeiterInnen und exportierte seine Produkte bis nach Osteuropa. Das Markenzeichen des schwarz auf gelben Hintergrund geprägten Elefanten hat sich in die Erinnerung von Millionen IranerInnen eingebrannt.
Nach der Revolution wurden im Zuge der Nationalisierung der Industrie private Betriebe enteignet und verstaatlicht, darunter auch „Kafsche Melli“. Doch das Missmanagement der staatlichen Führung und die im Land noch immer herrschende Vetternwirtschaft erlegten den Elefanten. Statistiken zufolge beschäftigt „Kafsche Melli“ heute nur noch etwa 700 MitarbeiterInnen. Die Zahl der Verkaufsfilialen liegt weit unter den 400, die es in der Blütezeit des Geschäfts gab. Und seit Jahren verkauft die Marke hauptsächlich Produkte von Zulieferern. Die eigenen Maschinen wurden verkauft, die riesigen Produktionshallen an die Autoindustrie vermietet. Selbst als sich nach dem Irak-Iran-Krieg die wirtschaftliche Lage des Landes verbesserte, konnte sich „Kafsche Melli“ nicht mehr beweisen. Mit dem Aufkommen neuer Konkurrenz und der Zunahme ausländischer Importe war die gute alte Zeit endgültig passé.
Die Furcht der Traditionshersteller
„Kafsche Bella“ (Bella-Schuh) und „Kafsche Wien“ (Wien-Schuh), die beiden anderen Schuhmarken Irans, erlebten das gleiche Schicksal. Auch kleinere Betriebe mussten aufgrund von schlechtem Design, schlechter Qualität, hohen Preisen oder schlechten Marketingmaßnahmen Marktanteile abgeben.
Die Stadt Täbris im Nordwesten des Iran ist traditionelle Heimatstadt vieler Schuhhersteller. Einige sollen sogar das Potenzial haben, sich zu internationalen Marken zu entwickeln. Aber auch bei ihnen ist die Angst groß. Die iranische Nachrichtenagentur MEHR zitierte Anfang März den Chef des Verbandes der Schuhverkäufer in Täbris. Alireza Dschabarian Fam appellierte an die Regierung, der Einfuhr von billigen und „qualitativ schlechten“ Produkten aus der Türkei und China etwas entgegenzusetzen und einheimische Hersteller mit günstigen Krediten zu versorgen. Aktuell arbeiteten die Betriebe in der „Hauptstadt der iranischen Ledergüter“ – wie Dschabarian Fam Täbris nennt – nur mit 30 bis 50 Prozent ihrer Kapazitäten.
Von der Konkurrenz durch chinesische Produkte ist allerdings nicht nur die iranische Schuhproduktion betroffen. Vor dem Wiener Atomabkommen war China aufgrund der internationalen Isolation des Iran der Hauptgeschäftspartner des Landes. Selbst Gebetssteine und Schaufelstiele wurden aus China eingeführt. Nach dem Ende der Sanktionen dürften die Geschäfte noch stärker wachsen. Der geistliche Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, betonte beim Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping im Januar in Teheran, dass die islamische Republik die Zusammenarbeit mit China während der Sanktionen nie vergessen werde. Und Präsident Hassan Rouhani kündigte an, dass sich die beidseitigen Geschäfte in den nächsten zehn Jahren von derzeit 40 Milliarden Dollar im Jahr auf 600 Milliarden jährlich erhöhen würden.
Die Bedeutung solch enger Zusammenarbeit ist bereits jetzt klar: Medien zufolge importiert selbst der Pionier der iranischen Schuhindustrie, „Kafsche Melli“, Billigprodukte aus China.